01.01.2023
ein Neues Jahr erblüht/ virágzik az új év
25.12.2022
Alltag/ minden nap
24.12.2022
Karácsony
23.12.2022
pattern 07
20.12.2022
frame
11.12.2022
climate change
11.12.2022
Café Harrach Goethestraße
11.12.2022
"Gebündelte Zeit" | Marlene Gollner
Ausstellung im historischen Gewächshaus im Botanischen Garten in Graz: Marlene Gollner/ Installation und Bettina Paschke/ Zeichnungen
27.11.2022
Herbst im Weingarten/ szölö kert
24.11.2022
Schaffa, schaffa ...
... und wo bleibt die Übersetzung für die Weana ?
10.11.2022
Lichtgewitter
05.11.2022
Vorrat | Készlet
16.10.2022
Guesthouse Würzburg
13.10.2022
times they are a changing
08.10.2022
Ringelblumen | körömvirágok
01.09.2022
by, by studio 101 !
Gemeinsames Abschieds- und Ankommensfest von Lisa Zentner Architektur und Hellwach Architektur ZT GmbH : mehr Zeit im Garten für die Eine, mehr Raum zur Entfaltung der Produktivkräfte für die Anderen - Bernhard, Birgit, Jan und Max wollen es wissen und stricken nun in meinem Studio an ihrer Erfolgsgeschichte ... Viel Glück und frohes Schaffen !
27.08.2022
x corona x
13.08.2022
ernten und einkochen | aratni és főzni
22.07.2022
nix ohne Architektin
21.07.2022
ernten | aratni
12.07.2022
genießen | élvezd
07.07.2022
pálinka és sárgabaracklekvár
30.06.2022
Albizia julibrissin
Erst durch die Blüte im Nachbardorf Csehemindcent entdeckt: ein wunderbarer Baum ! Wie kleine bunte Fächer, die aus denZweigen spriessen, surreal. In der Nacht schliessen sich die Fiederblättchen. Eine Entdeckung !
p.s.: Im Herbst dann - der Baum ist weg. Umgeschnitten. War wohl zu mühsam, den jährlichen Blütenteppich zu entfernen.
28.06.2022
Sissiphus
27.06.2022
ernten | aratni
26.06.2022
ernten | aratni 01
25.06.2022
Überdachung fertig | kész !
23.06.2022
pattern 05
23.06.2022
Atelier im C.21 mit albicia julibrissin
Atelier Architekt Werner Neuwirth im Atelierhaus C.21, Maria-Lassnig-Straße 33, Wien Favoriten.
Das Atelierhaus des Architekten ist dar interessanteste Neubau der letzten Jahre, ein Meilenstein in Konzept und Durchformung.
So geht städtisches Wohnen und Arbeiten im 21. Jahrhundert.
>> Weiterlesen auf der Website Atelierhaus C.21
22.06.2022
... wer ich bin ?
17.06.2022
viel arbeit | sok munka
06.06.2022
Kater | hím macska
22.05.2022
pattern 04
25.04.2022
in der Vitrine
Hommage an Barbara Philipp "fresh meat"
24.04.2022
Petersilie en masse
16.04.2022
flüch ! fliehe !
03.04.2022
das Kreuz
28.03.2022
mein Pfirsichbäumchen blüht
25.03.2022
Ausruhen | pihenj
22.03.2022
Ankunft
12.03.2022
pattern 03
07.03.2022
alles was es braucht
05.03.2022
anlehnungsbedürftig | támogatásra szoruló
01.03.2022
Alle gegen Eine
14.01.2022
Nationalstein
12.01.2022
pattern 02
06.01.2022
Jakob Lena Knebl | John boy, Joan
Avantgarde und Gegenwart, die Sammlung Belvedere von Lassnig bis Knebl, Belvedere 21
02.01.2022
pattern 01
01.01.2022
Neujahrskarte 2022
14.09.2021
Images Of Light | A fény képei
Mücsarnok Budapest
László Haris – András Bán,
Curators of the 2nd National Salon of Photography 2021
14.08.2021
sleeping girl | alvó lány
Nationalgalerie Budapest | Magyar Nemzeti Galéria
Szillard Szödy ca.1907
14.08.2021
Paradise Lost | elveszett paradicsom
Nationalgalerie Budapest | Magyar Nemzeti Galéria
Miklos Ligeti, about 1908
14.08.2021
The Visitation | a látogatás
Nationalgalerie Budapest | Magyar Nemzeti Galéria
1509
14.08.2021
Ferenczy Karoly
Nationalgalerie Budapest | Magyar Nemzeti Galéria
Boys throwing stones 1890
Gardeners 1891
our favorite pictures of the exhibition
14.08.2021
Kassák Lajos | Monostory-Moller Pál | Barcsay Jenö
Nationalgalerie Budapest | Magyar Nemzeti Galéria
The Sun Is Up | Kassák Lajos, 1955
Flags | Monostori-Moller Pál, 1967
Picture Architecture In Brown | Barcsay Jenö, 1970
14.08.2021
Fehér László
Nationalgalerie Budapest | Magyar Nemzeti Galéria
Subway | Fehér László, 1978
12.08.2021
opposite the Jewish cemetery/ A zsidó temetővel szemben - Szeged
11.08.2021
Hungarians love shoes/ A magyarok szeretik a cipőket
10.08.2021
Premium Chocolate Brown Szolarium - Szeged
10.08.2021
Heti Piac Szeged
10.07.2021
garden jungle/ kerti dzsungel
09.07.2021
Dimitri Katerescu
11.06.2021
Free Style
03.05.2021
Je mehr du dich besitzt
text Giuseppe Gracia
In den westlichen Metropolen weht der Zeitgeist in die linke Richtung, mit grüner Fahne. Persönliche Freiheit und Selbstverantwortung gelten als Prinzipien der Vergangenheit. Nun ist die Rede von erzwungener Solidarität. Ob Klimakrise, Pandemiekrise, Demokratiekrise oder Geschlechtergerechtigkeit: Statt auf mündige Menschen setzt man lieber auf einen Staat als Vormund. Gesetze, Verbote, Quoten.
Aber eigentlich hatte die persönliche und politische Freiheit schon immer einen schweren Stand. Denn Freiheit ist kein Instinkt. Freiheit ist ein Wert, eine innere Haltung, das Ergebnis erfolgreicher Selbsterziehung. Eine Kultur der Mündigen und Selbständigen setzt Arbeit und Disziplin voraus – einen beharrlichen Willen zur Förderung der persönlichen Unabhängigkeit.
Das entspricht nicht dem menschlichen Instinkt. Rein anthropologisch gesehen sucht der Mensch nicht die Risiken der Freiheit auf der Wildbahn, wenn er nicht muss, sondern die Nestwärme, das Sicherheitsgefühl in der Horde. Der Mensch will behütet sein. Er will, dass jemand sich um ihn kümmert. Daher die anhaltende Anziehungskraft sozialistischer Modelle mit dem Versprechen, dass der Staat sich kümmert. Dass der Staat die Gefahren von Freiheit und menschlicher Willkür zu bannen vermag, kraft einer höheren Autorität.
(...)
Nestwärme und Herdentrieb kommen aus der Angst des Menschen vor den Risiken des Lebens. Diese Angst macht sich der Sozialismus zunutze. Der Sozialismus – wie auch immer er sich gerade nennt oder tarnt – setzt auf Zwang und Konformismus. In Anlehnung an die Religionskritik von Karl Marx könnte man sagen: Sozialismus ist das Opium der Ungläubigen. Genauer: das Opium der Ungläubigen in Bezug auf die Freiheit des Einzelnen.
Diese Ungläubigen suchen das Heil in einem Staat als Superinstanz, die alles lenkt, umverteilt, sanktioniert. Ein wenig wie bei einer langen, kollektiven Adoleszenz. Das passt zu manchen links-grünen Programmen, die so klingen, als kämen sie aus der Gedankenlandschaft von Jugendlichen, die im Heim ihrer wohlbestallten, kapitalistischen Eltern wohnen, wo sie alle Privilegien und Vorteile geniessen – und deshalb keine Hemmungen haben, anderen, weniger behüteten Mitmenschen Verzicht und Verbote aufzuerlegen. Jugendliche, die zugleich ihre erfolgreichen Eltern anklagen und verantwortlich machen für ein unmoralisches Leben.
(...)
Im Gegensatz dazu ist die persönliche Unabhängigkeit eine Frucht der Bereitschaft, sich selber in die Pflicht zu nehmen. Eine Frucht der persönlichen Reife. Der katholische Philosoph und Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1225–1274) formuliert es so: Freiheit ist ein «steigender Selbstbesitz». Frei werden bedeutet, sich selber besitzen zu lernen. Um eines Tages so zu handeln, wie man es wirklich will und vernünftig findet, statt nur den eigenen Antrieben zwischen Angst und Lust zu folgen. Dabei besitzt sich der Mensch natürlich niemals ganz (denn das ist nach Thomas von Aquin allein Gott vorbehalten). Aber er arbeitet ein Leben lang an der Steigerung des Selbstbesitzes.
(...)
28.03.2021
daffodil/ narcisz
25.03.2021
lampion/ lámpa
01.02.2021
snow bamboo/ télen bambusz
31.12.2020
Die gekränkte Gesellschaft | Konrad Paul Liessmann
Gastkommentar von Konrad Paul Liessmann
Es liegt im Wesen einer auf technologischen Fortschritt gebauten Gesellschaft, dass sie sich für unverwundbar hält. Die Corona-Pandemie aber macht unserem Machbarkeitsglauben einen dicken Strich durch die Rechnung.
Die oft gestellte Frage, was das Virus mit uns und der Gesellschaft, in der wir leben, macht, war immer schon falsch formuliert. Richtig müsste sie lauten: Wie reagieren wir auf die pandemische Bedrohung? Eine naheliegende, aber selten gegebene Antwort wäre: Wir sind gekränkt. All das, was die moderne Gesellschaft im vergangenen Jahr durchmachen musste, war in ihrem Fortschrittsprogramm nicht vorgesehen. Dieses orientierte sich an Parametern wie Wachstum, Beschleunigung, Optimierung, Sicherheit, Offenheit und Austausch. Seuchen gab es höchstens in Weltgegenden, die weder die europäischen Hygiene- und Gesundheitsstandards noch das unbedingte Vertrauen in eine aufgeklärte Wissenschaft kannten.
Dass ein Virus die Dynamik einer technologisch hochgerüsteten Gesellschaft bremsen, ja ausser Kraft setzen kann, überstieg unser Vorstellungsvermögen. Und dass nicht nur die vollmundigen Versprechungen der Trendforscher, sondern auch die besorgten Aufrufe der Klimaschützer von eher exotischen Begriffen wie Lockdown, Virenlast, Inzidenz, Übersterblichkeit, Superspreader, Maskenpflicht und Abstandsregel verdrängt wurden, hat den Nerv einer Gesellschaft getroffen, die wähnte, andere Sorgen zu haben.
Mit Recht ist angemerkt worden, dass wir dem Virus lange nichts anderes entgegenzusetzen wussten als jene Massnahmen, die schon die Seuchenbekämpfung des Mittelalters gekennzeichnet hatten: Absonderung, Kontaktvermeidung, Desinfektion. Schlimmeres, als in solch finstere Zeiten zurückgestossen zu werden, kann einer Zivilisation nicht passieren, die überzeugt davon ist, technisch und moralisch alle vergangenen Epochen überflügelt zu haben.
(...)
30.12.2020
Luigi Snozzi | Nachruf
Ich bin Luigi Snozzi nur ein Mal persönlich begegnet. Klaus Kada hatte den Wettbewerb Europäische Akademie Bozen gewonnen und ich konnte als Teil des Wettbewerbsteams an einer Beprechung in Bozen teilnehmen, an der Luigi Snozzi als Juryvorsitzender zugegen war. Ich erinnere ihn als Architekten, souverän und unbestechlich in seiner Argumentation, als Person abgeklärt, weise im Besten Sinne. Selten ist mir die Begenung mit einem Menschen so eindringlich in Erinnerung geblieben.
text | Gabriele Detterer
Luigi Snozzi – ein innovativer Querdenker
Er zählte zu den Erneuerern der Tessiner Architektur und war auch ein einflussreicher Theoretiker. Luigi Snozzi ist am 29. Dezember im Alter von 88 Jahren an den Folgen einer Coronavirus-Infektion gestorben.
Dem weitschweifigen Zerreden von Architektur gegenüber war er abgeneigt. Dies zeigen seine Aphorismen, die Luigi Snozzi in den siebziger Jahren verfasst und leicht verändert 2013 in Buchform veröffentlicht hat. Die emblematischen Text-Bilder sind ein Schlüssel zu den Leitlinien des architektonischen Schaffens von Luigi Snozzi, der 1932 in Mendrisio geboren wurde. Sie illustrieren sein Weltbild und behielten während der langen Zeit seiner Bau- und Lehrtätigkeit stets ihre Gültigkeit.
Zum Thema «Geduld in der Architektur» hat Luigi Snozzi zwar keinen Spruch formuliert, doch Geduld wurde ihm reichlich abverlangt. So wurde das von ihm 1993 entworfene, aus einem 100 Meter langen Bürohaus und einem turmförmigen Sitzungstrakt bestehende kantonale Bau- und Umweltamt in Bellinzona erst 2014 fertiggestellt. Die grossen Fensteröffnungen des halbovalen Turmbaus blicken auf die Anlage des Castel Grande. Ins Blickfeld rücken dadurch «Ruinen», die – so Snozzi – das bewahren, was nach dem Ende funktionaler Zweckdienlichkeit des Gebauten als Baukunst und Baukultur überzeitlich sichtbar bleibt.
«Es gibt nichts zu erfinden, alles ist wieder zu er-finden», meinte Snozzi lakonisch, wobei er den Schwerpunkt auf das Finden legte. Zur Gruppe der sich auf formale Ästhetik kaprizierenden Architekten gehörte der Tessiner Architekt, der in Locarno und in Lausanne Büros hatte, jedenfalls nicht. Die Besonderheit des Einzelbaus sollte sich immer in das Ganze der «città» und ihrer Bewohner einbetten. Demgemäss praktizierte Snozzi Architektur als eine Aufgabe, welche die Öffentlichkeit ebenso mit einbindet wie die sozialen Aspekte. Das verdeutlicht sein 1977 in Angriff genommenes Hauptwerk und Langzeitprojekt: die Neustrukturierung des zersiedelten Tessiner Dorfes Monte Carasso und die Erneuerung von dessen Dorfkern.
Für das Territorium
«Weiche der Verantwortung nicht aus. Setze dich mit der Form auseinander, in ihr wirst du den Menschen wiederfinden», lautete einer seiner Aphorismen. Wen Luigi Snozzi aus der Gesamtheit aller Menschen herausheben wollte, machte er ebenso deutlich: «lo sfruttato», den Ausgebeuteten. Diese Perspektive spiegelte die politische Haltung des Architekten und sein soziales Engagement wider, das mit dem Übergang der fünfziger in die sechziger Jahre seinen Anfang nahm. Das war die Zeit, in welcher der junge Tessiner Architekt mit dem 1957 erhaltenen Diplom der ETH Zürich in der Tasche in seiner Heimatregion tätig wurde und Weichen stellte, um die zeitgenössische Tessiner Architektur in neue Bahnen zu lenken.
(...)
>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“
28.12.2020
Haut zu, was das Zeug hält
text | Bernd NOAK
Es gibt sie ja kaum noch, weil jeder zu Hause längst so einen Klopfsauger oder Schaumreiniger hat, irgend so ein Ding mit Teleskoprohr, mit dem man im Vorbeigehen den Boden piekfein säubern kann. Der ist ohnehin meist ausgelegt mit Meterware, fest verklebt, oder er ist parkettversiegelt. Wenn da noch eine Brücke oder ein Läufer drauf liegt, dann macht sich freilich niemand mehr die Mühe, das verstaubte Stück aufzunehmen und die Treppe hinunter zu tragen, um es draussen in frischer Luft – auszuklopfen.
Ja, richtig gelesen: ausklopfen – ein altes Wort, mit dem heute nur noch wenige etwas anfangen können, zumal zu ihm eine Vorrichtung gehört, die auch aus unserer Wahrnehmung verschwunden ist. Die Teppichstange. Vom Design her schlicht, gehörte sie einst zur Stadtmöblierung. Kein Hinterhof, in dem nicht in einer Ecke dieses Gebilde aus drei Stahlrohren stand.
Es wird geklopft
Ein bisschen sah es aus wie ein unvollständiges Fussballtor, als das es von Kindern auch immer wieder genutzt wurde, wenn man sich nicht zwecks übermütiger Leibesübungen an die oberste Stange krallte, um sich nach dem Misslingen eines Felgaufschwungs und dem sicheren Absturz ein paar Knochen zu prellen.
Wenn aber die Mutter (selten der Vater) kam, mit dem Flokati unterm Arm und einem seltsamen Gebilde aus kunstvoll geflochtenen Weiden, höchst stabil in der Hand, war Schluss mit der Tollerei. Dann wurde das gute Stück über die Stange gewuchtet, und die Arbeit ging los: eine ewig dauernde Prozedur, bei der mit Schmackes und ebendiesem Klopfer auf den Teppich eingedroschen wurde.
Immer wieder schlug die Mutter zu, der feine Staub löste sich und tanzte durch die klare Luft. Schämte man sich eigentlich, wenn ganze Wolken aufstoben, weil die Nachbarn hätten sehen können, wie schmutzig es doch wirklich war im trauten Heim? Und war diese Aktion mehr als nur ein Reinigungsritual, weil sich die Klopferin ganz legal mittels heftigster Schläge einmal so richtig abreagieren durfte?
Die Teppichstange (manchmal hatte sie gar zwei Haken, an denen eine Schaukel für die Kleinsten befestigt wurde) war in den Höfen oft das einzige Einrichtungsstück neben den Mülltonnen, die aufgereiht an einer Wand standen. Ein fest verankertes, einbetoniertes Teil, um dessen zwei Stäbe im Boden mitunter gar ein bisschen Grün spriesste im tristen und steinernen Ambiente. So unscheinbar und unauffällig war es, dass man sich in der Nacht den Kopf daran stossen konnte. Aber das war harmlos im Vergleich zu der Geschichte, die Erich Kästner in seiner «Ballade vom Nachahmungstrieb» erzählt.
Das Ende der Stange
Darin spielen Kinder die brutale Welt der Erwachsenen nach – und aus dem Utensil, das sonst für Sauberkeit sorgt, wird ein Mordwerkzeug. Der kleine Fritz muss dran glauben: «Sie steckten seinen Kopf in eine Schlinge. / Karl war der Pastor, lamentierte viel, / und sagte ihm, wenn er zu schrei’n anfinge, / verdürbe er den anderen das Spiel. / Fritz Naumann äusserte, ihm sei nicht bange. / Die andern waren ernst und führten ihn. / Man warf den Strick über die Teppichstange. / Und dann begann man, Fritzchen hochzuziehn.»
Die Lynchjustiz der Kinder, die es von den Grossen nicht anders gelernt hatten, war sicher nicht ausschlaggebend für das Verschwinden der Teppichstange. Das hat allein der kabellose Power-Sauger mit einzigartigem Managementsystem, konstant hoher Akkuleistung, akkusparendem Ein-Aus-Schalter und einem Mechanismus für eine punktgenaue hygienische Behälterentleerung geschafft, dessen Systemleistung gemessen und in Echtzeit auf dem LCD-Display angezeigt wird, um einen noch besseren Überblick über die Reinigung zu geben. Da können drei schnöde Eisenrohre nicht mehr mithalten.
23.10.2020
Wieso es euch gefällt
text | Reto U. SCHNEIDER
(...)
Als Alice Hollenstein das hässlichste Gebäude der Schweiz erblickt, sagt sie: «Hoppla.» Der 15geschossige Betonturm beim Triemlispital in Zürich sieht ein bisschen aus wie ein Grabstein für Riesen. Hollenstein ist Architekturpsychologin beim Center for Urban & Real Estate Management der Universität Zürich und beschäftigt sich mit der Wirkung von Architektur auf das Wohlbefinden der Menschen. Und dazu trägt das ehemalige Personalhaus des Spitals nicht viel bei. «Das Gebäude weckt die Assoziation, dass man als Mensch kein Individuum ist, sondern bloss Teil einer Masse», sagt Hollenstein, während sie die 43 Meter hohe Fassade vergeblich nach einem Zeichen von Vielfalt absucht. Das Hochhaus ist aus gutem Grund die letzte Station unseres Stadtrundgangs auf der Suche nach den Regeln der Schönheit in der Architektur. Im Sommer 2018 ist es nämlich von 19000 Lesern der Pendlerzeitung «20 Minuten» zum hässlichsten Haus der Schweiz gekürt worden. Seinen Architekten Rudolf Guyer schien die Kritik nicht zu kümmern. «Dass Laien das Gebäude hässlich finden, ist mir egal. Hauptsache, den anderen Architekten gefällt es», sagte er einige Tage nach der Wahl.
Dass Schönheitsurteile von Laien und Experten auseinanderklaffen, ist nicht ungewöhnlich. Doch nirgends hat es grössere Folgen als in der Architektur. Sie drängt sich den Menschen in einer Weise auf, die sie von jeder anderen Form von Design unterscheidet. Das Hochhaus beim Triemli wurde 1966 gebaut. Was immer sein Architekt damals für richtig hielt, müssen Passanten jahrzehntelang ausbaden.
Noch heute entscheiden selbst bei Gebäuden, die der Steuerzahler finanziert, Experten über die Projekte. Wie im 19.Jahrhundert bestimmt eine kleine Elite darüber, was als schön gilt. Und wenn das Volk das anders sieht, muss es halt entsprechend erzogen werden. So forderte der Leiter der Kommunikation des Schweizer Heimatschutzes, Peter Egli, nach dem Artikel in «20 Minuten» nicht etwa eine andere Architektur, sondern «bessere Bildung im Bereich Baukultur für alle!».
Warum bloss hat in diesem Fall der sonst so zuverlässige Mere-Exposure-Effekt nicht gewirkt? 54 Jahre hätten doch reichen sollen, damit die Menschen sich an den grauen Block gewöhnen. Dafür gibt es zwei Gründe: Einerseits kann der Mere-Exposure-Effekt seine Macht nur ausspielen, wenn der erste Eindruck nicht negativ ist. «Wenn mich ein Hund jedesmal beisst, wenn ich ihn sehe, werde ich mich nicht an ihn gewöhnen», sagt Hollenstein. Guyers Hochhaus ist offenbar eine Art bissiger Hund der Architektur.
(...)
Wie sich Laien und Experten auseinanderleben, zeigt eine Untersuchung aus dem Jahr 2011. Sie ermittelte, wie sich die Schönheitsurteile von Architekturstudenten abhängig von ihrem Ausbildungsjahr unterscheiden. Die Therme Vals von Peter Zumthor etwa legte auf einer Notenskala von eins bis sechs kontinuierlich einen ganzen Punkt zu, während andere Gebäude einen Punkt oder mehr verloren. Von den sechs untersuchten Universitäten neigten die Studenten der ETH am Ende des Studiums zu den stärksten Abweichungen vom Laienurteil. Man hatte ihnen ihr intuitives Schönheitsideal gründlich ausgetrieben. Vergessen hatten sie es aber nicht, kam doch eine andere Studie zum Schluss, dass «Architekten das Urteil von Nichtarchitekten relativ adäquat vorhersagen können». Oft wissen sie also, dass sie Häuser bauen, die den Menschen nicht gefallen.
Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Auch gegen den Eiffelturm formierte sich 1887 Widerstand. Der Protest von Intellektuellen begann mit dem Satz: «Wir Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Architekten und leidenschaftliche Liebhaber der bisher unangetasteten Schönheit von Paris protestieren im Namen des verkannten französischen Geschmacks mit aller Kraft gegen die Errichtung des unnötigen und ungeheuerlichen Eiffelturms im Herzen unserer Hauptstadt.» Lange Zeit war unsicher, ob das heutige Wahrzeichen von Paris wieder abgerissen würde.
(...)
20.09.2020
Quellwolken voller Zweifel
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 188
text | ARMIN THURNHERR
…
Zerhaut den Knoten! Wer nicht für mich ist, ist gegen mich! Sagt, was ist!
Nein. Manchmal muss man gestehen, dass man es nicht sagen kann, weil man es nicht weiß. Was dann? Dann kann man nur versuchen, seine Quellen fair und genau zu beurteilen. Wer spricht, in welchem Interesse, wo, zu welchem Zweck, mit welchen Voraussetzungen? Werden Aussagen korrekt wiedergegeben? Wer widerspricht? Was könnte eine Hidden Agenda sein? Je weniger man von der Materie versteht, desto mehr enthalte man sich vorschneller Stellungnahmen, zu denen auch laut gestellte Fragen gehören. Mut zu zweifeln bedeutet nicht, zu verzweifeln. Vielmehr sollten wir den Zweifel als Form der Erkenntnisgewinnung preisen.
…
Die große Schwester des Generalismus (dem auch ich anhänge) ist die Ahnungslosigkeit. Im Übrigen: „Wer nichts zu sagen hat, der trete vor und schweige“ (Karl Kraus).
15.08.2020
Die Regierenden als Diskurszerstörer
Kommentar: Christian Kern
...
"Flood the zone with shit" ist eine Taktik, die sich "clevere" Kommunikationsexperten von der amerikanischen radikalen Rechten abgeschaut haben: Antworte nicht auf Fragen, führe demokratische Kontrolle als Sache für Naivlinge vor, verleumde die Justiz als parteiisch, mach dir die Presse gefügig, gib ja keinen Fehler zu und reagiere auf jede Kritik mit einer Gegenattacke.
...
Ziel der Populisten ist nicht der Zusammenhalt der Gesellschaft, sondern die Zuspitzung. Nichts funktioniert im Social-Media-Zeitalter so gut, wie Angst zu schüren und Freund-Feind-Schemen zu strapazieren. Da wir, dort die anderen. Flüchtlinge, Arbeitslose, die EU – was auch immer, Hauptsache ein Feindbild. Die Polarisierung ist nicht geduldeter Nebeneffekt, sondern Schmiermittel ihrer Strategie.
Der Populismus ist keine Ideologie, sondern eine Kommunikationsstrategie. Er hat keine Werte, er hat Umfragen. Die werden regelmäßig ins Kanzleramt geliefert und gelten als Ultima Ratio. Daraus entsteht ein Politikmix der rechts und links vereint, der neoliberale Elemente und im selben Atemzug staatsinterventionistische Züge aufweist. Damit lösen sich die klassischen konservativen Parteien auf. Zwischen Margaret Thatcher und ihrem späteren Nachfolger Boris Johnson liegen politische Welten, zwischen Ronald Reagan und Donald Trump gibt es wenig politische Kontinuität und ebenso zwischen Sebastian Kurz und Wolfgang Schüssel. Es geht nicht mehr um das Durchsetzen eines politischen Wertekanons, sondern um die flexible Adaption der jüngsten Meinungsbefragungen in der Tagespolitik.
...
Christian Kern ist Eigentümer der The Blue Minds Company. Von 2016 bis 2017 war er Kanzler, bis 2018 SPÖ-Chef.
>> Weiterlesen auf der Website „Der Standard“
18.06.2020
AUSSTELLUNG STUDIO 101 | Artist: HEINRICH PEISZER
18.6. bis 3.7.2020 Mi bis Fr 16 - 19:00 und nach telefonischer Voranmeldung 0676 9383038 Lisa Zentner
Heinrich Peiszer wurde 1957 in Eisenstadt geboren und studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien in der Meisterklasse Carl Auböck Produktgestaltung. Nach mehreren Aufenthalten in NY entstehen die ersten Zeichenserien. Er war unter anderem als Modellbauer in verschiedenen Architekturbüros tätig und hatte bis 2000 eine kleine Werkstätte für Design im Burgenland. Dort gestaltete er vorwiegend Beleuchtungen und Kleinmöbel. 2010 verlegte er sein Atelier nach Wien in die Porzellangasse und widmet sich seither neben dem Lampenbau auch vermehrt dem Zeichnen.
In dieser Ausstellung wird versucht, Leuchten und Bilder zusammen zu führen, ihnen eine Korrespondenz zu ermöglichen und im Idealfall eine neue Einheit, etwas Eigenständiges zu schaffen.
STUDIO 101 | Lisa Zentner
01.06.2020
Das Glück der Nähe
Karl-Markus Gauß
Interview: Wolfgang Paterno
WP.: Wie nach Corona leben ?
KMG: Möglichst rasch wieder heraus aus dem digitalen Lebensvollzug! Und die Verheißungen, wir würden unsere Zukunft besser bewältigen, wenn wir uns digital inniger vernetzten, als Propaganda fürs schlechte Leben durchschauen und anprangern. Anerkennen, dass Glück auf unsere körperliche Präsenz in der Welt und inmitten anderer Menschen angewiesen ist !
Original-Magazin Ausgabe 26/ Juni 2020
19.04.2020
Virtuelle Teams performen schlechter
Jetzt, wo wir uns nur noch online begegnen, ist es hilfreich, sich an Forschungs-Ergebnisse zu erinnern, die schon etwas länger zurück liegen. Daher hier ein Artikel aus dem "Leadership-Standard" vom August 2018.
Forschung
Teams, die nur online kommunizieren, zeigen schlechtere Leistung
Kollegen, die sich nur online austauschen können, schneiden nachweislich schlechter ab. Managementprofessor Thomas Schneidhofer hat untersucht, warum.
text | Lisa BREIT
Läuft der Kontakt ausschließlich online, sind Teams nachweislich weniger erfolgreich.
Längst arbeiten Teams nicht mehr notwendigerweise an einem Ort zusammen, sondern sind auf mehrere Städte, Länder oder gar Kontinente verteilt. Führungskräfte stellt das naturgemäß vor Herausforderungen. Dass virtuelle Team schlechter performen als solche, die persönlichen Kontakt haben, konnte Thomas Schneidhofer nachweisen. Der Professor für Personalmanagement & Organisation an der Privatuniversität Schloss Seeburg versuchte herauszufinden, woran genau es hakt.
Zum Einsatz kam die "Everest Leadership and Team Simulation", eine in Harvard entwickelte Computersimulation. Die Probanden werden in Teams eingeteilt, bekommen Rollen zugewiesen. Ziel ist es, gemeinsam den Mount Everest zu besteigen. "Auf jeder Etappe sind Entscheidungen zu treffen", erklärt Schneidhofer. Er führt die Tests gemeinsam mit Kollegen seit 2012 durch, zunächst an der Wirtschaftsuni Wien und später an der Privatuniversität Schloss Seeburg. Bisher haben insgesamt knapp 740 Studierende daran teilgenommen.
Ein Teil der Gruppen konnte sich persönlich abstimmen, der andere nur online, etwa über Skype oder Whatsapp, kommunizieren. Wie sich zeigte, schneidet Ersterer deutlich besser ab.
Körpersprache und verbale Nuancen
Der Grund ist laut Schneidhofer die sogenannte psychologische Sicherheitsüberzeugung: "Jeder und jede in der Gruppe hat das Gefühl, seine Meinung frei äußern zu können, ohne die Befürchtung, zurechtgestutzt zu werden." Dieses Gefühl könne in Teams, die face-to-face miteinander arbeiten, leichter vermittelt werden, etwa durch Körpersprache "oder durch verbale Nuancen".
Bei virtuellen Teams funktionieren sie naturgemäß weniger gut. Die Folge: Die psychologische Sicherheitsüberzeugung sinkt – und dadurch die Leistung der Gruppe, denn: "Man traut sich nicht zu sagen, wenn etwas nicht stimmt." Auch interessant: Je mehr Kommunikationskanäle genutzt wurden, desto schlechter schnitten die Gruppen ab. "Meine Vermutung ist, dass es viele unrund macht, dass Kollegen hinter ihrem Rücken miteinander reden könnten", sagt Schneidhofer.
Zuhören, nicht sofort bewerten
Aufbauen lasse sich die psychologische Sicherheitsüberzeugung aber auch im Onlinekontakt – durch inklusive Führung. "Wichtig ist, jeden Einzelnen und jede Einzelne individuell anzusprechen." Besonders jene, die sich seltener einbringen. Führungskräfte sollten eine Art Moderationsrolle einnehmen.
Essenziell sei zudem, allen in der Gruppe zu vermitteln: "Wir brauchen dich." Es gelte, Vorschläge anzuhören, ohne sie sofort zu bewerten. Ziel ist, dass sich die Teammitglieder aufgehoben fühlen und wissen, "dass sie ihre Meinung sagen können ohne negative Konsequenzen". (Lisa Breit, 30.8.2018)
19.04.2020
Interview Virologin Karin Mölling
NZZ
Interview | ANNA SCHNEIDER
Frau Mölling, wie erleben Sie als Expertin für dieses Thema die Quarantäne?
Mir geht es gut. Ich schreibe ununterbrochen, weil ich momentan an meinem nächsten Buch arbeite. Es beschäftigt sich mit multiresistenten Keimen und damit, was Viren dagegen tun können. Bald bin ich fertig, die Quarantäne dauert ja schon lange.
Die Quarantäne macht Ihnen also nichts aus?
Mein Leben war auch davor schon sehr von Home-Office geprägt. Natürlich kann ich gerade – wie jeder – nicht verreisen, dabei müsste ich längst einmal wieder nach Zürich. Also ja, natürlich ist es auch für mich eine Einschränkung, aber es ist kein Problem. Ich bekomme viele Anrufe, auch von erkrankten Personen.
(...)
Im Allgemeinen werden Viren als Krankmacher definiert und ihr Verhalten mit Kriegsvokabular beschrieben. Sie halten in Ihrem Buch «Supermacht des Lebens – Reisen in die erstaunliche Welt der Viren», das 2014 erschienen ist, dagegen. Weshalb?
Viren gehören zu unserem Ökosystem, zu unserem Leben, zu unserer Umwelt, zu unserer Verdauung. Rund 50 Prozent des menschlichen Erbguts stammt von Viren! Sie sind allgegenwärtig und wahnsinnig viele – es gibt 10 hoch 33 Viruspartikel auf diesem Planeten. Viren stehen ganz am Anfang der Evolution, sie sind die Treiber der Evolution, nicht primär Krankmacher. Sie führen nur dann zu Krankheiten, wenn sich in der Umwelt etwas verändert und die Viren dadurch die Chance bekommen, diese Veränderung zu nutzen. Sie können also krank machen, aber daran trägt der Mensch sehr oft eine grosse Portion Schuld.
Das müssen Sie erklären.
Ich sage nicht gerne «Schuld» oder «Krieg», diese Vokabeln passen nicht zur Beschreibung der Evolution oder der Viren. Viren sind Opportunisten: Sie nutzen Situationen und Chancen aus. Auf dem Markt in Wuhan gab es vielleicht keinen anderen Wirt als den Menschen, auf den das Virus übergehen konnte. Das ist eine rein opportunistische Verhaltensweise. Vielleicht zahlen wir nun einen hohen Preis für die Errungenschaften, die wir so schön finden: Städte mit grosser Bevölkerungsdichte wie New York, aber auch Reisen. Beides bietet den Viren kurze Wege an, diese Gelegenheit lassen sie sich nicht entgehen. So breiten sie sich aus. Niemand ist schuld daran, dass sie das machen. Das Coronavirus ist ausserdem von ungeheurer Fitness. Unsere Hoffnung kann sein, dass sich diese Fitness zurückentwickelt. Vielleicht verschwindet dann das Virus. Jedenfalls wissen wir bis heute nicht, wo das Sars-Corona-Virus aus dem Jahr 2003 geblieben ist.
Verfallen wir im Umgang mit dem Coronavirus in Panik?
Ich habe mich vor ein paar Wochen zu dieser Frage geäussert, aufgrund der zu jenem Zeitpunkt vorhandenen Informationen. Da habe ich die jetzige Pandemie mit der Influenza des Jahres 2018 verglichen – in jenem Jahr sind in Deutschland 25 000 Menschen an der Grippe gestorben, und niemand hat darüber gesprochen. Ich habe mich gewundert, warum das so ist. Inzwischen kann ich es mir erklären: Das Endstadium ist anders. Die Menschen, die 2018 an der Influenza erkrankt und gestorben sind, brauchten keine Beatmungsgeräte. Bei der Influenza 2018 haben die Krankenhausbetten gereicht, das war kein Thema in der Presse, es gab auch keinen Shutdown der Ökonomie. Die Corona-Berichte aus Italien lösten hierzulande Panik aus. Daran wird hochgerechnet, wie schlimm es noch werden könnte, darauf müsse man unbedingt vorbereitet sein. Wir kommen bis jetzt sehr glimpflich davon. Durch meine Äusserung, dass Panikmache ein Problem sei, wollte ich die drohende Ausgangssperre verhindern. Denn dafür gab es in China ganz andere Gründe als in den europäischen Städten. Dazu zählt die hohe Bevölkerungsdichte und die Luftverschmutzung. Es gibt einen «Peking-Husten», alle husten dort, und das ist ein Risikofaktor für Chinesen. Vielleicht war auch die schmutzige Luft in der Lombardei ursächlich für die vielen schweren Verläufe. Dort war vielleicht auch noch ein Fussballspiel ein explosionsartiger Auslöser.
Empfinden Sie die momentan geltenden Beschränkungen als legitim, oder hätte man auch anders reagieren können?
Die Entscheidung, die für Deutschland getroffen wurde, war bezüglich der Ausgangssperre nicht so streng, wie ich befürchtet hatte. Wir haben eine Kontaktsperre. Mein Motto lautet: Die Sonne tötet und die Luft verdünnt das Virus. Die Sonne enthält ultraviolettes Licht, das zerstört Viren. Darum machen auch wir nachts im Labor UV-Lampen an. Diese wären auch sonst vielleicht ganz praktisch: UV-Licht steigert die Immunität. Und drinnen ist die Virusmenge viel grösser als draussen, auch in Supermärkten, wo man die Luft nur umwälzt. Wofür ich deshalb seit Monaten und Wochen plädiere, ist der Mundschutz: Wir tragen ihn schliesslich auch im Labor, Zahnärzte auch. Es wurden ja beinahe Glaubenskriege um den Mundschutz geführt. Dabei gab es wohl nur nicht genug. «Selber nähen», haben sich dann viele Leute gesagt. Denn die Tröpfcheninfektion ist nun mal die vorherrschende Übertragungsart dieses Virus. Jede Maske hilft da mehr als keine.
(...).
Noch sind wir von einer Herdenimmunität weit entfernt. Ist sie nur durch kontrollierte Durchseuchung erreichbar?
Wieso denn «kontrolliert» – nein! Der Begriff der Herdenimmunität wird sehr oft missverstanden. Eine Durchseuchung ordnet man nicht an und kontrolliert sie nicht. Die Idee ist, dass sich die Menschen untereinander immunisieren, unabsichtlich. Manche, besonders junge Leute, die ja auch weniger erkranken, sind mutiger als andere und setzen sich dem Risiko vielleicht eher aus – das können sie selbst entscheiden. Es geht also nicht um Zwang. Dabei bleiben die Gebote des Abstandhaltens und der Kontaktsperre aufrecht, uralte seuchenhygienische Massnahmen. Alte Menschen und jene, die multifaktoriell belastet sind, sollten zu Hause bleiben.
(...)
14.04.2020
Corona und die Werte
Warum es um viel mehr geht als nur um eine gesundheitliche Krise
text | Martin BLOMS
Die Corona-Epidemie könnte sich zur schwersten globalen Krise ausweiten, die die Welt seit Jahrzehnten gesehen hat. Dies liegt aber nicht nur – und noch nicht einmal zuerst – an der medizinisch-biologischen Dimension des Geschehens, so ernst diese auch zweifellos zu bewerten ist. Diese gesundheitlichen Folgen des Geschehens sind, wenn auch mit erheblichen Anstrengungen, letztlich in den Griff zu bekommen. Die viel grössere und nachhaltigere Gefahr geht aus von den gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und nicht zuletzt moralischen Sekundäreffekten des Geschehens, die sich im schlimmsten Fall von dem Fortgang der eigentlichen Seuche entkoppeln könnten. Sie könnten auch dann noch virulent bleiben, wenn das biologische Virus einmal medizinisch im Griff ist.
Denn die Corona-Epidemie trifft – gerade in den westlich-liberalen Gesellschaften – auf einen moralisch und politisch schwer vorerkrankten Patienten, der bereits vorher an allen Symptomen litt, die die gegenwärtige Epidemie nun exponentiell hervortreibt: einem hohen Mass an Orientierungslosigkeit und Verunsicherung, gepaart mit Vertrauensverlust gegenüber etablierten politischen und wirtschaftlichen Strukturen; einem durchgreifenden Hang zur Dystopie, dem der Zukunftshorizont in immer düstereren Farben erscheint und der den klassischen Fortschrittsoptimismus des liberalen Weltverständnisses freiheitsbedrohlich in sein Gegenteil verkehrt; einer Erosion des Konzepts objektiver Wahrheit, die noch den letzten festen Boden allgemein anerkannter Tatsachen ins Wanken gebracht hat.
All diese ideellen Entwicklungen fokussieren sich in der Corona-Krise – angefeuert vom Brandbeschleuniger eines zunehmenden wirtschaftlichen Drucks – wie in einem Brennglas: Das Virus erscheint geradezu als objektivierte biologische Verkörperung einer viel allgemeineren ideellen Krise, die nun ihren gestalthaften Exponenten gefunden hat. Es steht viel mehr auf dem Spiel als die allein schon herausfordernde Aufgabe der gesundheitlichen Bekämpfung einer globalen biologischen Epidemie. Die Corona-Krise zeigt die hohe Anfälligkeit global vernetzter Systeme – aber auch die Notwendigkeit einer solidarischen Zusammenarbeit und des Austauschs auf internationaler und innergesellschaftlicher Ebene.
Jetzt muss sich zeigen, ob das für die Architektur der liberalen Systeme schon immer sensible Verhältnis zwischen Eigeninteresse und Gemeinwohlverantwortung, das in letzter Zeit immer mehr in Richtung der Vereinzelung, Isolierung und Abschottung umgekippt ist, noch tragfähig ausgelotet ist. Denn die Corona-Krise wird sich nur bewältigen lassen auf dem Boden eines Werteverständnisses, das das Eigeninteresse gerade dadurch befördert sieht, dass es sich am Gemeininteresse orientiert und darin aufgehoben ist: eine Wertevorstellung, die ursprünglich sowohl der liberalen Marktordnung als auch dem politischen und gesellschaftlichen Liberalismus als Ausdrucksformen eines umfassenden Humanismus eingeschrieben war. (...)
30.03.2020
Virologen regieren die Welt
Politiker gebärden sich als ihre Erfüllungsgehilfen: Dabei bleibt viel Vernunft auf der Strecke
text | Reinhard K. SPRENGER
Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts. So lautet das neue Credo im Zeichen von Corona. Doch verbergen sich hinter der neuen Beschwörung von Alternativlosigkeit gleich mehrere folgenreiche Denkfehler.
Was man nicht rechnen kann, muss man entscheiden. Die Milchglasscheibe, der offene Ausgang, die unkalkulierbare Konsequenz, das ist es, was zur Entscheidung drängt (im Unterschied zur Wahl, die sich fakten- oder wertbasiert zu einer Seite neigt). Führung zieht ihre Existenzberechtigung aus genau diesen dilemmatischen Situationen – wenn es gute Gründe für die eine Seite gibt und gute Gründe für die andere. Im strengen Sinne weiss man erst im Nachhinein, was man entschieden hat. Führungskräfte sind, so gesehen, Krisenparasiten.
Häufig sind sie jedoch nicht auf der Höhe der Komplexität, die zu bewältigen sie bezahlt werden. Dann ziehen sie Berater herbei, die so lange Daten sammeln, bis die Dinge eindeutig und konfliktfrei scheinen. Also nicht mehr entschieden werden müssen. Das entlastet. Der Preis dafür ist Verantwortungsdiffusion bis hin zur Delegitimierung der Führung.
Genau das passiert gerade im grossen Massstab. Die Politik hat abgedankt, Virologen regieren die Welt. Man mag diese Differenzierung für spitzfindig halten. Aber Politiker treten bevorzugt in Begleitung von Wissenschaftern auf und begründen ihre Massnahmen mit dem Verweis auf Forschungsergebnisse. «Alternativlos!» signalisiert das, der Konflikt zwischen Freiheit und Gesundheit ist moralisch vorentschieden, Widerspruch ist tabu. Man kann sich ja gar nicht genug fürchten. Schnell wird vergessen, dass wir Menschen uns zwar dem Sachzwang beugen können, aber nicht beugen müssen. (...)
22.03.2020
Zeitalter der Angst
Wir leben im Zeitalter der Angst: Wie wir von ihr genesen – und die Zeit zu Hause am besten nutzen
text | Norbert BOLZ
Der Geist ist eine mächtige Ressource, in Zeiten von Corona noch mehr als sonst. Um stark zu sein, muss er verstehen, was geschieht. Und er braucht ständig Nahrung. Nur welche?
Nach dem goldenen Jahrzehnt zwischen dem Fall der Mauer und dem 11. September hat das Zeitalter der Angst begonnen. Erst der islamistische Terror, dann die Massenmigration, dann der Klimawandel – und nun das Virus. Doch während wir den Terror und die neue Völkerwanderung zumeist durch den Bildschirm geschützt betrachten und die vorhergesagte Klimakatastrophe erst in (un)absehbarer Zukunft droht, betrifft uns das Virus hier und jetzt.
Es droht uns allen – aber doch in sehr unterschiedlicher Weise. (...)
Die Lage ist so ernst, dass man von einem Ausnahmezustand sprechen muss. Das hat zwei Implikationen – eine existenzielle und eine politische. Das Virus konfrontiert die meisten Bürger unserer Wohlstandsgesellschaft wohl zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem echten, ernstgemeinten, ernsten Überleben. Und es führt uns alle an den Ursprung des Staates zurück: zu der von Thomas Hobbes definierten Relation von Schutz und Gehorsam. (...)
Der grosse französische Philosoph und Mathematiker Pascal meinte: «Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.» Der Mensch ist nämlich das endogen unruhige Wesen, ständig auf Betätigung, Zerstreuung und Ablenkung bedacht – und zwar aus Angst vor der Selbstbegegnung. Er kann es mit sich selbst nicht aushalten. (...)
Mit den Ultramobilen wird jetzt die Probe auf die grosse Verheissung der neuen Medien gemacht: Telekommunikation statt Mobilität. Bleiben Sie zu Hause, und arbeiten Sie gefälligst im Home-Office! (...)
Norbert Bolz ist emeritierter Professor für Medienwissenschaften an der TU Berlin. Zuletzt sind von ihm die Werke «Zurück zu Luther» (2016) und «Philosophie nach ihrem Ende» (2015) erschienen (beide im Wilhelm-Fink-Verlag).
>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“
16.03.2020
Büro-Wohnen statt home-office
Architekturbüro im STUDIO 101 - nicht zu Hause arbeiten sondern in der Arbeit zu Hause sein. Lebendige, anregende Umgebung, Blick in den Innenhof zu den spielenden Kindern. So kann Büro auch sein.
Lisa Zentner Architektur und Interior Design
09.03.2020
Stylish Home Offices
Schöne Beispiele von Interior-Designern in den USA.
Quelle: 25 inspiring Home Offices
1stdibs Editors
15.02.2020
Poesie der Dinge #03
13.02.2020
Modell bauen
für Wettbewerb Altarraumgestaltung Leobersdorf
14.12.2019
Poesie der Dinge #02
02.11.2019
Poesie der Dinge #01
12.10.2019
Herbst/ ösz #01
05.10.2019
Himmel über dem Öreg Hegy #02
04.10.2019
Mond über dem Öreg Hegy
02.08.2019
Unerwartet
12.07.2019
Sommer/ nyár
08.11.2018
#building site 11/18
project: house for a family, PAG 36, 1190 Wien - Enddokumentation Innenräume
30.08.2018
Virtuelle Teams performen schlechter - Thomas Schneidhofer
Text LISA BREIT
Forschung
Teams, die nur online kommunizieren, zeigen schlechtere Leistung.
Kollegen, die sich nur online austauschen können, schneiden nachweislich schlechter ab.
Managementprofessor Thomas Schneidhofer hat untersucht, warum.
Läuft der Kontakt ausschließlich online, sind Teams nachweislich weniger erfolgreich.
Längst arbeiten Teams nicht mehr notwendigerweise an einem Ort zusammen, sondern sind auf mehrere Städte, Länder oder gar Kontinente verteilt. Führungskräfte stellt das naturgemäß vor Herausforderungen. Dass virtuelle Team schlechter performen als solche, die persönlichen Kontakt haben, konnte Thomas Schneidhofer nachweisen. Der Professor für Personalmanagement & Organisation an der Privatuniversität Schloss Seeburg versuchte herauszufinden, woran genau es hakt.
(...)
Der Grund ist laut Schneidhofer die sogenannte psychologische Sicherheitsüberzeugung: "Jeder und jede in der Gruppe hat das Gefühl, seine Meinung frei äußern zu können, ohne die Befürchtung, zurechtgestutzt zu werden." Dieses Gefühl könne in Teams, die face-to-face miteinander arbeiten, leichter vermittelt werden, etwa durch Körpersprache "oder durch verbale Nuancen".
Bei virtuellen Teams funktionieren sie naturgemäß weniger gut. Die Folge: Die psychologische Sicherheitsüberzeugung sinkt – und dadurch die Leistung der Gruppe, denn: "Man traut sich nicht zu sagen, wenn etwas nicht stimmt." Auch interessant: Je mehr Kommunikationskanäle genutzt wurden, desto schlechter schnitten die Gruppen ab. "Meine Vermutung ist, dass es viele unrund macht, dass Kollegen hinter ihrem Rücken miteinander reden könnten", sagt Schneidhofer.
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24.03.2018
Ich wohne in einem Haus mit Jahresringen
Michael Muhr leitet das Kulturforum Südburgenland in Eberau. Wenn im Salon nicht gerade Gäste ein- und ausspazieren, nutzt er ihn als eigenes, öffentliches Wohnzimmer – und blättert in der Geschichte.
Protokoll: Wojciech Czaja
...
Das Haus wurde 1904 errichtet, und zwar auf den Resten eines alten Bauernhauses. (...)
Anfang der Neunzigerjahre diente das Haus dann als Lager für die Grenzsoldaten des Bundesheers. Hier unten standen die Feldbetten der Grenzschutzkompanie. Oben im ersten Stock, in den kleinen, verwinkelten Räumen, wohnten die Offiziere.
Zuletzt stand das Haus ziemlich lange Zeit zum Verkauf. Kein Wunder! Wer kauft schon ein Haus am Rande des Landes mit 600 Quadratmetern Wohnfläche? Niemand. Außer ich halt. Ein Freund rief mich damals an und sagte: ,Du, Michael, pass auf, ich habe da ein verrücktes Haus, das niemand haben will. Ich denke, das wäre perfekt für dich.‘ Und ja, in gewisser Weise hatte er recht. Als ich den Raum das erste Mal betrat, das war 2008, war ich schockiert, denn der Zustand war desolatest – und doch fühlte ich mich von der allerersten Sekunde an irgendwie daheim. Das Haus mit seinem Charme und seinem großen Katalog an Geschichte passt einfach zu mir. Es ist ein Haus mit Jahresringen. (...)
Die Sanierung war ein Drama: Boden rausreißen, Heizung installieren, Toiletten einbauen, Putz zum Teil abschlagen, Mauern trockenlegen, neue Stromkreise einziehen, Böden einbauen, Sicherheitsvorkehrungen für Veranstaltungen treffen und so weiter. Heute kann ich sagen: Die Sanierung hat locker noch einmal so viel gekostet wie das Haus an sich. Da fließen die Tausender nur so in Strömen! Aber ich mag das Resultat, sehr sogar. Am liebsten habe ich den alten Ofen, der aus einer alten Wiener Villa stammt. Ich wärme mich gerne an diesem Ofen. Und wenn hier nicht gerade Veranstaltungen stattfinden und fremde Menschen ein- und ausgehen, dann nutze ich den Salon als mein eigenes öffentliches Wohnzimmer und sitze in diesem Fauteuil und lese stundenlang in historischen Büchern.(...)
17.03.2018
Hinterm Hauptbahnhof zieht Leben ein
reportage: Marietta ADENBERGER
Das Sonnwendviertel wird gern damit beworben, dass es viele innovative Gemeinschaftseinrichtungen gibt. Fünf Jahre nach dem Einzug der ersten Bewohner zeigt sich: Manches funktioniert schon recht gut.
Rasant kreuzende Rollkoffer, gut besuchte Geschäfte - an einem Freitagnachmittag scheint der Hauptbahnhof zu brodeln. Kaum zu glauben, dass wenige hundert Meter weiter überraschende Stille herrscht, und das in einem von Wiens größten Neubauvierteln. Besucher und Bewohner des Sonnwendviertels tauchen in eine andere Welt ein, wenn sie die neu gebauten Hotels und die Hektik der Reisenden hinter sich gelassen.
Bei genauerem Hinsehen ist es aber gar nicht so ruhig. Auf dem Weg ins Viertel gibt es eine Abkürzung, die unter einem geförderten Wohnbau durchführt. Dort in der Passage hat sich Lisa Zentner mit ihrem Architekturbüro Studio 101 niedergelassen - gleich gegenüber einer Praxis eines Neurologen und neben einem italienischen Lokal. "Ich mag es, dass die Leute auf dem Weg zu den öffentlichen Verkehrsmitteln bei mir vorbei kommen und ich das Leben hier vom Büro aus mitbekomme." Durch die Glaswände ist umgekehrt auch die Architektin bei der Arbeit gut zu sehen. Sie bereut es nicht, ihr Büro hierher verlegt zu haben. Vor der Tür stehen ein Tisch, Sessel und bepflanzte Blumenkisten, die verraten, dass sie gerne draußen sitzt.
Die Passage ist ein gutes Beispiel für eine belebte Erdgeschoßzone, die für solche neuen Stadtquartiere wichtig ist. Dennoch ist es für Einzugswillige nicht einfach: "Es scheitert oft an Kleinigkeiten wie etwa fehlender Beschattung, die man aber auch nicht installieren darf", weiß Zentner aus eigener Erfahrung.
...
>> Weiterlesen auf der Website „Immobilienstandard Region Wien“
08.03.2018
HAUS RIN spado_architects
spado architects
Klagenfurt - Wien
st. veiter strasse 146 | A - 9020 klagenfurt | alfred adler strasse 12/1/101 | A - 1100 wien
EINZIGARTIGE LAGE
... Der Ausblick ist atemberaubend. Man überblickt die südlichen Bergketten Kärntens, zu Füßen liegt der Ossiacher See und direkt gegenüber das Stift Ossiach.
Die Reaktion auf das Gelände ist ein dreigeschossiger Baukörper. Die einzelnen Ebenen reagieren mit unterschiedlichen Drehrichtungen auf das Gelände und schaffen durch ihre Positionierung spannende Raumabfolgen und geschützte Außenbereiche.
Der Sockel des Gebäudes wird als massiver, erdberührter Baukörper in das Gelände eingeschnitten. Um das Gebäude mit der Umgebung optimal zu verweben, wurde der Sockel parallel zu den Schichtenlinien und der die beiden Wohngeschoße beinhaltende Baukörper quer zu den Schichtenlinien positioniert. Durch diese Verdrehung entsteht im Bereich des Mittelgeschoßes eine hofartige, nach Süden und Westen hin offene Terrasse, die vor ungebetenen Blicken schützt, Winde abhält und einen geborgenen, privaten Außenraum mit herrlichem Panoramablick schafft.
Im Sockelgeschoss sind der Gästebereich, eine Wellnesszone und eine Bar samt Billardtisch untergebracht.
Das Erdgeschoß mit den Funktionen Wohnen, Kochen und Essen ist dreiseitig verglast. Die Ausblicksmöglichkeiten werden maximiert.
Die Raumaufteilung im Obergeschoss, welches die Schlafzimmer und Bäder beinhaltet, folgt den Prinzipien des "offenen Wohnens". Die Bäder und Ankleiden werden ohne Gänge den Zimmern zugeteilt, es entstehen „fließende“ Räume.
07.03.2018
Pritzker-Preis für Architektur geht an Inder Balkrishna Doshi
Wojciech Czaja
Mit seinen Wohn-, Kultur- und Bildungsbauten will der 90-jährige Inder nicht zuletzt den Ärmsten in der Gesellschaft dienen
Chicago/Wien – Es war nur eine Frage der Zeit, bis der sogenannte "Nobelpreis der Architektur", nachdem er 2012 an den chinesischen Architekten Wang Shu vergeben wurde, endlich auch einmal an das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt gehen würde. Heuer ist es so weit: Der renommierte, mit 100.000 US-Dollar dotierte Pritzker-Preis 2018 geht an den indischen Architekten Balkrishna Vithaldas Doshi.
Doshi steht seit fast 70 Jahren im Beruf und arbeitete in den 1950er Jahren bereits mit Le Corbusier zusammen. Zahlreiche Fotos aus dieser Zeit – der Schweizer Meister mit Anzug, Hut und Rundbrille, an seiner Seite der noch junge Doshi – zeugen von der intensiven Kooperation. "Ich verdanke diese Auszeichnung nicht zuletzt Le Corbusier, der mich gelehrt hat, Identitäten zu hinterfragen und neue Ansätze für ein ganzheitliches, nachhaltiges Wohnen und Leben zu erarbeiten", so der Architekt und Stadtplaner, der heute in Ahmedabad lebt.
Doshi ist bekannt für seine an die Moderne angelehnten, oft brutalistischen, in Ziegel und Sichtbeton errichteten öffentlichen Bauten wie Konzerthallen, Universitätsgebäude und Administrationsbauten. Zu seinen wichtigsten Werken zählen das Institut für Indologie (1962, siehe Foto), die Tagore Memorial Hall (1966), die CEPT University (1966), an der er fast 50 Jahre lang weitergebaut hat, die Premabhai Hall (1976), das in grauem Stein errichtete Indian Institute of Management in Bangalore (1977), sein eigenes, 1980 errichtetes Sangath-Studio sowie die unterirdische Kunstgalerie Amdavad Ni Gufa (1994).
Low-Cost-Housing Gleichzeitig aber, als würden zwei Seelen in seiner Brust schlagen, setzt sich der 90-Jährige, ewig jung Gebliebene schon seit Anbeginn für die Ärmsten in der Gesellschaft ein und entwickelt einfache Konzepte für Low-Cost-Housing – darunter etwa eine Wohnsiedlung für Textilarbeiter in Ahmedabad (1960), eine soziale Wohnhausanlage für die Life Insurance Corporation (1973) sowie die wie ein fröhlicher Punschkrapfen gestrichene Aranya-Siedlung in Indore (1989). "In seinen über 100 realisierten Projekten vereint Doshi die Tradition der indischen Architektur mit lokaler Arbeit, mit Vorfertigung und mit einem Bewusstsein für Geschichte und Kultur", heißt es im Jury-Statement. "Meine Arbeit ist eine Art Verlängerung meiner Lebensphilosophie, meines eigenen Körpers, meiner insgeheimen Träume", sagt Doshi, der von 2005 bis 2007 selbst schon Pritzker-Juror war und den Preis nun vor allem dazu nutzen möchte, die indische Regierung zum Nachdenken anzuregen. "Die Regierung, die Behörden, die Städte und die Entscheidungsträger werden sich nun damit auseinandersetzen müssen, dass es auch so etwas wie gute Architektur gibt." Und die, meint der Architekt, der sich selbst 1954 den Eid abgerungen hatte, seine Arbeit nicht nur, aber auch der niedrigsten Einkommensklasse zu widmen, sei essenziell wichtig: "Architektur verwandelt Hütten zu Häusern, Gebäude zu Gesellschaften, und Städte zu Magneten voller Möglichkeiten." Der Pritzker-Preis, der bereits seit 1979 jährlich vergeben wird, wird am 16. Mai im Aga Khan Museum in Toronto übergeben. (Wojciech Czaja, 7.3.2018) - derstandard.at/2000075660776/Pritzker-Preis-fuer-Architektur-geht-an-Inder-Balkrishna-Doshi
04.02.2018
erlebte Bau-Qualität und Nachhaltigkeit
Gebäude: Wiedner Hauptstraße 46
Architekt: Fellner und Helmer, Fellner Ferdinand und Hermann Helmer, gegr. 1973
Errichtet: 1895
Bautyp: Gründerzeit, Straßentrakter
Quelle: Wien Kulturgut Gebäudedatenbank
Das Atelier Fellner und Helmer war auf den Bau von Theatern spezialisiert und insgesamt am Bau von 48 Theatergebäuden in Europa beteiligt. Die fast schon monopolartige Stellung der Architekten in Österreich-Ungarn lässt sich darauf zurückführen, dass die Bürogemeinschaft hohe Qualität bei niedrigen Kosten und schneller Durchführung, Zuverlässigkeit, Berechenbarkeit und Professionalität garantieren konnte. Sie planten nicht nur Theater, sondern auch Kaufhäuser, Banken, Hotels, Palais, Landschlösser sowie Landhäuser und Villen, insgesamt sind mehr als 200 Bauten dokumentiert.
Trotz vieler Kriege und Brände sind fast alle Theater heute noch in Betrieb und dienen dem kulturellen Leben in vielen Städten Europas – ein Zeichen, wie zukunftsweisend die Wiener Architekten bereits im 19. Jahrhundert gebaut haben.
geplante Gebäude u.a.:
Volkstheater Wien
Etablissement Ronacher
Opernhäuser unter anderen in: Odessa, Zürich, Graz
Stadttheater unter anderen in Baden, Graz, Klagenfurt
Akademietheater Wien
Konzerthaus Wien (mit Ludwig Baumann)
Palais Rothschild,
Universitätssternwarte Wien
Warenhaus Kastner & Öhler
Schneenberghotel, Puchberg / Schneeberg
Hotel Panhans, Semmering
Quelle: Wikipedia
06.01.2018
Winter am Oreg Hegy
29.12.2017
Wer Gedichte liest, taugt nicht zum Populisten
text ROBERTO SIMANOWSKI
In der Mehrdeutigkeit liegt die Kraft
Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Diese Worte des deutschen Dichters Hölderlin aus dem Jahre 1803 bilden einen guten Satz, um einen Text über die nun überall empfundene Bedrohung durch den Populismus zu beginnen.
Es ist ein guter Satz, nicht weil er den üblichen Aufruf, die Demokratie zu verteidigen, mit der nötigen Portion an Optimismus ausstattet, sondern weil er selbst schon den Kampf austrägt.
Es ist ein Satz, der einen Widerspruch als Maxime ausgibt: Die Gefahr ist gleichsam das Rettende. Und es ist ein Satz mit ungewissen Wörtern: Was genau bedeutet Gefahr und was Rettung? Und wie ist das Wachsen gemeint? Der Satz mag mit seiner Auskunft beruhigen, kommunikationspsychologisch verunsichert er durch seine Mehrdeutigkeit. Er bringt die Gefahr des Missverstehens mit sich. Genau darin liegt das Rettende, wenn es um den Populismus geht. Denn die Gefahr, die der Populismus bedeutet, ist das Schwarz-Weiss-Denken. Es gibt das Volk, das die Populisten zu vertreten vorgeben, und die Elite, gegen die sie das Volk schützen müssen. Es gibt die Guten und die Bösen. Es gibt Gefahr auf der einen, Rettung auf der anderen Seite.
Eindeutigkeit ist eine Illusion
Die Ein- und Ausschliessungen des Populismus basieren auf einer Homogenitäts- und Eindeutigkeitsillusion. Es fehlen die Zwischentöne und Schattierungen, wenn es um Zuordnung geht oder um Werte und Argumente. Es fehlt die Mehrdeutigkeit, die ein Satz wie dieser aus Hölderlins Hymne «Pathos» mit sich bringt – und die der Hymne insgesamt eigen ist, allen Gedichten Hölderlins, der Dichtung, der Sprache. Aber eben nicht der Mathematik.
Die symbolische Form des Populismus ist die Mathematik, und zwar zunächst in ihrer reduzierten Form als 0 und 1, dem binären Grundmodell der digitalen Medien. Dass der Populismus gerade in diesen Medien (denen wir heute das Wort «Filterbubble» verdanken) so erfolgreich ist, liegt nicht daran, dass die Kommunikation hier im 0/1-Modus steckenbliebe. Aber die meisten Interaktionen in sozialen Netzwerken sind durchaus genau dies: keine sprachlichen Kommentare oder gar poetischen Anrufungen, sondern Ja/Nein-Entscheidungen.
...
16.12.2017
„Nostalgie interessiert mich nicht“ Anupama KUNDOO
interview MAIK NOVOTNY
Die indische Architektin Anupama Kundoo entwickelt ressourcenschonende Materialien für den Selbstbau. Wie man aus lokalen Traditionen ganz ohne Lehmhüttenromantik etwas Neues schafft, erklärt sie im Interview.
Sie pendelt zwischen Indien und Spanien, sie sorgte auf der Architekturbiennale in Venedig 2016 mit ihrem Selbstbauhaus aus bunten Faserbetonplatten für Aufsehen. (...) Mit dem STANDARD sprach sie über die Wohnungskrise und die Dualität von Tradition und Innovation.
Standard: Sie sprechen in Wien bei einem Symposium zum Thema Wohnbau. Wo sehen Sie die globalen Herausforderungen, wenn es ums Wohnen geht?
Kundoo: Wir befinden uns zurzeit in einer extremen Krise auf allen Ebenen: Die Umwelt ist in Schieflage, der soziale Zusammenhalt ist bedroht, und die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Die Wohnungsfrage war bis vor kurzem keines dieser Probleme. Fragt man ein Kind, was „Wohnen“ ist, sagt es: ein Zuhause. Fragt man heute einen Erwachsene, sagt er: eine Investition. Früher wohnte man eben und verdiente sein Geld für die anderen Lebenshaltungskosten. Heute nehmen Investoren und Bewohner riesige Bankkredite auf, und die Banken, die davon profitieren, tun so, als ob sie ihnen damit einen Gefallen tun. Noch dazu sind die Standards im Wohnungsbau so hoch geworden, dass günstige traditionelle Baumethoden gar nicht mehr zulässig sind. Das betrifft längst nicht mehr nur die Armenviertel. Wenn sich selbst die, die einen guten Job haben, das Leben in Städten nicht mehr leisten können, dann läuft etwas grundsätzlich falsch.
...
Kundoo: Viele Gebäude vermitteln heute kaum noch ein Gefühl für den Ort, an dem sie stehen. Ob in Singapur oder Dubai, man sieht immer dieselben Glastürme. Je mehr sich die Städte global entwickeln, desto mehr Glastürme gibt es, weil diese Städte sich nicht auf ihre Tradition besinnen. Aber wie toll wäre es, wenn man an einem Ort die Verbindung zwischen der Kultur und ihren Baumaterialien erkennt! Die Fähigkeiten der Leute haben sich aus dem entwickelt, was in der Region vorhanden war, und daraus können wir eine Architektur erzeugen, die an ihrem Ort verwurzelt ist.
Standard: In der Architektur wird immer öfter über Social Design geredet. Fühlen Sie sich in dieser Kategorie zu Hause?
Kundoo: Architektur ist nicht Sozialarbeit. Wenn mein Ziel Sozialarbeit ist, gebe ich den Bedürftigen einfach direkt das Geld. Ich sehe mich eher in der klassischen Rolle der Architektin, und dazu gehören Technologie und der richtige Umgang mit Ressourcen. In Indien wohnt ein Sechstel der Weltbevölkerung, aber wir verfügen nur über 2,4 Prozent der Landmasse. Das heißt, der Boden ist unser kostbarstes Gut. Wenn europäische Architekten den Energiebedarf ihrer Häuser um 25 Prozent senken, nennt man das ökologisch. Aber wenn wir diesen Verbrauch auf Schwellenländer übertragen, bräuchten wir sechs oder sieben Planeten. Das heißt, was wir heute ökologisch nennen, ist nicht ökologisch genug. Wir müssen viel sparsamer mit Ressourcen umgehen, und dazu brauchen wir eine Balance zwischen Hightech und Lowtech.
...
foto: Eleganz aus Zement und Maschendraht: Mit dem von Kundoo entwickelten Baukastensystem Full Fill Homes kann ein Zuhause binnen fünf Tagen errichtet werden. Die Wände dienen gleichzeitig als Stauraum.
foto: Hightech meets Lowtech: Das Wall House im indischen Auroville ist nicht nur das eigene Wohnhaus von Anupama Kundoo, sondern auch Experimentierlabor für ihre Forschung an neuen Materialien.
foto: Anupama KUNDOO
13.12.2017
Niemand will ein Opfer sein
text HELMUT KÖNIG
Warum haben Menschen, die sich benachteiligt fühlen, Donald Trump gewählt? Arlie Russell Hochschild sucht nach Erklärungen
Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA lässt auch noch ein Jahr später den politischen Puls überall in der Welt schneller schlagen. Trotz ausbleibenden Erfolgen ist die Zustimmung zu Person und Amtsführung im eigenen Land nach wie vor sehr hoch. Verwundert stellt man auf der liberalen Seite des politischen Spektrums fest, dass die Anhänger Trumps offenbar unbegrenzt leidensfähig, unbelehrbar und enttäuschungsresistent sind.
Die 2016 in Amerika publizierte und jetzt auf Deutsch vorliegende Studie der Soziologin Arlie Russell Hochschild bietet eine wunderbare Möglichkeit, sich auf profunde Weise darüber zu informieren, was in den Köpfen und Seelen der amerikanischen Rechten eigentlich vorgeht.
...
Da wird klar, dass nicht das Wissen die Sichtweisen und Standpunkte der Leute bestimmen, sondern dass es umgekehrt eine emotional tief verankerte Haltung zur Welt ist, die den Ausschlag dafür gibt, wie sie die Geschehnisse wahrnehmen und welche Konsequenzen sie aus ihnen ziehen.
...
Natürlich fragt sich der liberale Beobachter: Warum um alles in der Welt begehren sie nicht andersherum auf? Warum stellen sie keine Forderungen an den Staat? Warum machen sie nicht gemeinsame Sache mit denen, die hinter und vor ihnen in der Schlange stehen, um endlich öffentliche Förderprogramme für gute Schulen und staatliche Umweltauflagen für die allmächtige Ölindustrie durchzusetzen? Die Antwort ergibt sich aus der Tiefengeschichte: Das würde auf fundamentale Weise ihrem Selbstbild widersprechen. Sie wollen nämlich auf gar keinen Fall als hilfsbedürftige Opfer erscheinen. Das widerspräche zutiefst ihrem Stolz, der ihnen über alles geht.
...
13.12.2017
Genie ist kein Freibrief
text ANDREA KÖHLER
Die USA schlagen das nächste Kapitel in der Sexismus-Debatte auf. Soll man Künstler und Kunstwerk auseinanderhalten?
...
Die Frage ist nicht so absurd, wie sie klingt, wurde die Forderung doch jetzt bei einem anderen Bild im selben Museum laut: beim 1938 entstandenen Gemälde «Thérèse rêvant» von Balthus, einem jener allerdings ungeschminkt voyeuristischen Mädchenporträts, die den Maler von Kindern auf der Schwelle zur Pubertät schon immer dem Verdacht der Pädophilie aussetzten. Es ist dies ein nicht nur von ihm selbst, sondern zuweilen auch von Kunsthistorikern bestrittener Verdacht, der direkt ins Zentrum der gegenwärtigen Missbrauchsdebatte im Umfeld der schönen Künste führt: Sind die Kunstwerke für die sexuellen Neigungen ihrer Schöpfer zu verurteilen?
Der Fall Balthus beschäftigte die New Yorker Öffentlichkeit schon vor vier Jahren, als das Metropolitan Museum unter dem niedlichen Titel «Girls und Cats» eine grosse Retrospektive dieses Motivs ausrichtete; die Ausstellung wurde von einer Polaroid-Dokumentation in der Gagosian-Galerie begleitet. Die explizit sexuelle Natur sowohl dieser Fotografien als auch der Gemälde kann nur ein Blinder bestreiten wollen. Genauer gesagt: Es geht in Balthus’ Gemälden um nichts anderes als den – nicht selten direkt zwischen die Beine – gelenkten erotischen Blick.
Man mag diese Bilder anstössig finden, sie haben in ihrer zwischen Begehren, Unschuld und Obszönität changierenden Mischung eine abgründige Faszination. Das Merkmal von Kunst ist Ambivalenz, und dazu gehört auch das Verstörende, Grausame, Unappetitliche. Das heisst nicht, dass der Zweck alle Mittel heiligt. Doch trifft die erotische Motivierung des voyeuristischen Blicks auch auf viele Madonnen-Darstellungen zu, deren milchweisse Brüste durchaus nicht nur den mütterlichen Instinkt ansprechen. Der Moment, wo die Forderung laut wird, die Mutter Gottes vor den lüsternen Blicken der Museumsbesucher zu schützen, scheint derzeit nicht mehr weit.
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>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“
13.08.2017
szölöskert
15.07.2017
In der Falle
text PETER TRUSCHNER
Woran scheitern Frauen im Kunstbetrieb? An Herrenklubs? Nicht nur, es gibt noch andere, komplexere Hindernisse für Frauen, die nicht zur Sprache kommen. Sie sind weniger offensichtlich und partiell sogar mit Tabus behaftet.
Im Vorfeld der Verleihung des Deutschen Filmpreises (bei dem sie mit Toni Erdmann sechs Preise einheimste) hat sich die Regisseurin Maren Ade – nicht als Erste – für eine Einführung von Quoten im deutschen Film starkgemacht. Immer noch werden viel zu wenige Filme von Frauen gemacht, meint sie, eine Quote von 50 Prozent wäre wünschenswert, 30 Prozent wären schon ein Erfolg.
Dabei gibt es gar nicht so wenige Frauen im Filmgeschäft, und noch mehr drängen von den Hochschulen aus hinein, nicht anders als in anderen Kunstsparten. Mara Delius hat demzufolge in der Welt festgestellt: „In der deutschen Bücherwelt wimmelt es nur so von Frauen.“ Aber: „Die Mehrzahl der Entscheider sind Männer: Herausgeber, Verleger.“ Im Film ist das noch einmal ein größeres Problem, weil selbst bei überschaubaren Filmproduktionen ungleich höhere Summen im Spiel sind als im Buchhandel.
Wenn es gelänge, den Herrenklub zu sprengen, der (nicht nur) im Film über die Vergabe der großen Summen und Mittel entscheidet, würde es unbestreitbar mehr Filme von Frauen geben. Wer häufig mit Frauen in künstlerischen Berufen zu tun hat, wunderte sich auch nicht über die Erfahrungsberichte, die im Zuge von Anne Wizoreks „Aufschrei“ öffentlich wurden – die Art und Weise, wie vor allem Berufseinsteigerinnen in der Branche nicht ernst genommen und deren Sichtweisen bagatellisiert werden. Die Kostümbildassistentin, die vom Regisseur „Baby“ genannt wird? Die Cutterin, die bei der Besprechung vom Produzenten zum Kaffeeholen geschickt wird? Business as usual.
Dennoch gibt es in der Kunst noch andere, komplexere Hindernisse für Frauen, die weniger offensichtlich, partiell sogar mit gewissen Tabus behaftet sind, weshalb sie im konformistischen Strom der Medien untergehen oder erst gar nicht zur Sprache kommen. Sie gehen außerdem über das hinaus, was Delius (nicht als Einzige) als den Alleinschuldigen ausgemacht hat: „das Männersystem“. (...)
02.07.2017
GARTENFREUDEN #1
22.06.2017
Bauen gegen das grassierende Vergessen
text PAUL ANDREAS
Der chinesische Architekt Wang Shu rettet bewährte Traditionen in seine modernen Bauten
Neue Architektur in China – das war in den letzten dreissig Jahren vor allem eine grosse Abriss-Show: Die mit dem Wirtschaftswachstum im Gleichschritt wachsende neue Mittelklasse wurde in oft seelenlosen Funktionsstädten untergebracht, die quasi über Nacht aus dem Boden gestampft wurden. Einige entstanden mitten im Niemandsland – die meisten aber auf den Trümmern oft über Jahrhunderte gewachsener Siedlungen und Kulturlandschaften. Das Bauen mit der Abrissbirne galt lange als Standardantwort auf Architekturtraditionen und daran geknüpfte soziale Identitäten.
Vor fünf Jahren bekam Wang Shu den renommierten Pritzkerpreis verliehen – als erster in China ausgebildeter und dort auch wirkender Architekt. Er wurde damit für ein überschaubares Œuvre geehrt, das jedoch durch seine kulturelle Eigen- und Widerständigkeit überzeugt: Anders als viele seiner chinesischen Kollegen, aber auch viele globale Stars, die sich in China in ihren Bauten oft an vage Formmetaphern klammern, knüpft der Architekt aus Hangzhou, der einstigen Kaiserstadt Südchinas, bei den konkreten Orten und dem lokalen Kontext seiner geplanten Bauten an. Sowohl in der Material- als auch in der Formensprache flimmern dabei die unter der «Planiermoderne» oft verschütteten autochthonen chinesischen Bau- und Handwerkstraditionen wieder auf – ohne dass dabei gegenwartsvergessene Imitate und kitschige Surrogate entstünden. (...)
Chinesische Landschaftsmalerei eröffnet Blicke auf die Natur, die im Gegensatz zur vereinheitlichenden westlichen Zentralperspektive in einer topologischen Struktur paralleler Perspektiven verankert sind: Die Berg- und Flussmotive in der Tuschmalerei werden aus unterschiedlichen Nah- und Fernsichten und damit zusammenhängenden emotionalen Geisteszuständen der Versenkung dargestellt – oft sind es Wolken und Nebelschwaden, die die Übergänge zwischen diesen in der Vertikalen angeordneten Welten herstellen.
Dieser Raumstruktur des Disparaten spürt auch Wang Shu in seinen Bauten nach – etwa wenn er wie im 2013 eröffneten Wa-Shan-Gästehotel des Xeishan-Campus die Funktionen in Sichtbeton-Boxen unter einem gigantischen Faltdach versammelt, das von einer überstehenden, wolkenartigen Holzsparrenkonstruktion getragen wird. Der Besucher wird von den labyrinthisch durch das Gebäude mäandrierenden Erschliessungswegen immer wieder an unerwartet pittoreske Aussichtspunkte geführt – abseitige Platzsituationen, Wasserbassins, Durchsichten in die Natur –, bis er dem langgestreckten Bau gar aufs Dach steigt: Eine über das Ziegeldach im Zickzack geführte Gangway macht die Neigungen und Steigungen physisch erlebbar und setzt sie in kontextuelle Beziehung zu den Hügeln am Horizont. (...)
13.06.2017
Männer bauen Raketen
text ADRIAN DAUB
Höchstens halbe Visionäre: Elon Musk, Donald Trump und die Kunst des Silicon-Valley-Schwenks
Unter den Milliardären aus dem Silicon Valley hat sich eine Art Arbeitsteilung etabliert. Es gibt diejenigen, die nur dann öffentlich auftreten, wenn es ein neues Produkt vorzustellen gilt. Dann sind da zweitens jene, die sich bemühen, öffentlich vorzumachen, wie das Silicon Valley erwachsen wird: Mark Zuckerberg postet Babyfotos, während seine Frau zur Arbeit in die Klinik fährt. Und schliesslich machen jene von sich reden, die in die Welt der Klatschpresse, des Glamours, der Medien drängen, mehr Howard Hughes als Warren Buffett. (...)
Eigentlich nicht weiter überraschend, dass Musk, der mit dem Elektroautobauer Tesla und dem Solarzellenhersteller Solar City auf erneuerbare Energie setzt und damit viel Geld verdient, öffentlich mit Trumps Regierung bricht. Und dass der passionierte Raketenbauer und Weltraumträumer über die Wissenschaftsskepsis des Präsidenten nicht gerade erfreut ist. Aber Musk wurde auch gefragt: Wieso eigentlich erst jetzt? Warum hat er es so lange in Trumps Beratergremien ausgehalten?
Die Antwort darauf hat mit Musks Selbstverständnis zu tun, und mit dem Selbstverständnis der Avantgarde des Silicon Valley. Die neuen Unternehmer, die diskret der klassischen Genie-Ästhetik huldigen, inszenieren sich als über dem Partikularen, über dem Politischen schwebende Visionäre. Es geht ihnen angeblich nicht um sich, sondern um das grosse Ganze. Sie sehen sich als jene, die berufen sind, ihre Träume zu verwirklichen und damit Kalifornien, die USA, ja den ganzen Planeten zu erlösen.
Die Rhetorik der Revolution
In seiner Biografie des Milliardärs stellt der Wirtschaftsjournalist Ashlee Vance Musk als Macher, Bastler und Schöpfer dar, sozusagen als einen Henry Ford des digitalen Zeitalters. Anders als die Software-Schrauber des Silicon Valley, die auf schnelles Geld schielten, gehe er Risiken ein, die sich erst in Jahrzehnten rechneten. Anstatt sich zu überlegen, wieso die Pizza nicht schnell genug ins Haus oder das Babyfoto nicht schnell genug unter die Leute komme, suche er die Antworten auf die grossen Herausforderungen von übermorgen.
Das Silicon Valley verspricht gerne Revolutionen, Weltverbesserung, aber am Schluss zaubern die Herren oftmals bloss ein Telefon aus dem Ärmel oder eine App mit schicker User-Experience und verkaufen diese als Zukunft. (...)
Ihrem Selbstverständnis nach ist die Denkart der wahren und echten Ingenieure des Silicon Valley darauf ausgerichtet, Probleme zu identifizieren und zu lösen. Musk stilisiert sich zum Denker, der die ganz fetten Probleme angeht. Der sieht, was benötigt wird, und der die Ressourcen bereitstellt, wenn der Staat sich einmal mehr sein Scheitern eingestehen muss. (...)
Den realen Stresstest für den Planeten scheint Probsts Vorbild Elon Musk erst einmal vermasselt zu haben. Er meinte, er könne auf Trump Einfluss ausüben, derweil entschiedene Opposition dem Klimaschutz wohl eher gedient hätte. Sosehr Musk sich als visionäres Vorbild verkauft, so sehr ist auch er im Grunde genommen für das Silicon Valley auf ganz andere Weise bezeichnend. Enthusiasmus und gute Absicht wird ihm keiner absprechen, aber Anspruch und Realität klaffen, auf sehr Silicon-Valley-typische Weise, auseinander. (...)
10.05.2017
Reformen in der Eurozone
text András SZIGETVARI
Wien/Brüssel – Die Ideen sprudeln nur so aus Emmanuel Macron heraus. Der frischgewählte französische Staatspräsident will die Eurozone kräftig umbauen. Er möchte einen Eurofinanzminister installieren und ein gemeinsames Budget aufstellen, das sich aus Steuereinnahmen aller 19 Euroländer speist. Zudem soll die wirtschaftliche Koordination verstärkt werden. Macron will auch in Berlin für mehr Investitionen zugunsten Europas werben.
Das Kernziel des Franzosen ist es, das Wachstum anzufachen und damit die Ungleichgewichte in Europa abzubauen. Um die Schieflage zu erkennen, reicht ein Blick auf die Arbeitslosenstatistik.
Die Arbeitslosenquote ist in Deutschland, den Niederlanden und Österreich im Vergleich niedrig. Zugleich sind die Quoten in Europa nirgends so hoch wie im Süden, in Italien, Spanien, Griechenland und in Frankreich. Die wirtschaftliche Erholung hat überall eingesetzt. Aber in weiten Teilen Südeuropas und in Frankreich verläuft der Aufschwung so schleppend, dass sich an der sozialen Misere kaum etwas ändert.
Aber können die Reformideen Macrons die Probleme lösen? Der STANDARD hat eine Reihe von Ökonomen befragt. Einen Konsens gibt es nicht, aber ein Hindernis sehen fast alle: Deutschland.
(...)
04.05.2017
Gericht in Albanien stoppt Staudammprojekt an Vjosa
Tirana/Wien – Das Staudammprojekt „Poçem“ wurde überraschend gestoppt. Die Naturschutzorganisation Riverwatch gab am Mittwoch bekannt, dass die Richter des albanischen Verwaltungsgerichtshofs in Tirana einer Klage der Projektgegner in erster Instanz recht gegeben hätten. Umweltministerium und Baufirma haben nun die Möglichkeit, zu berufen. Die Kläger hatten das Prüfverfahren für das Kraftwerksprojekt bemängelt. Die Vjosa gilt als der letzte unregulierte Wildfluss Europas außerhalb von Russland.
ÖkoStandard "Der Standard" 4.5.2017
01.05.2017
Verantwortlich wem oder was gegenüber?
text Christian FASCHINGEDER
(...)
Wenn die Diskussion darüber auch nie abgeschlossen sein wird, so kann sie doch zuerst eröffnet werden: Welche Interessen vertreten Ziviltechniker? Ziviltechniker sind keine Gewerbetreibenden (ZTG § 4 Abs. 5), dagegen können sie öffentliche Urkunden im Rahmen ihrer Befugnis ausstellen. Es ist also nicht das wirtschaftliche Interesse, das im Kern der Profession steckt, sondern das besondere Verhältnis zwischen konkretem Auftrag und der Wahrung bestimmter Allgemeininteressen.
Es gilt demnach, nicht nur die Verantwortung einem bestimmten Auftraggeber gegenüber zu wahren: Die Befugnis zeugt von einem Vertrag mit der Gesellschaft. Unsere arbeitsteilige Gesellschaft profitiert von solchen Verein barungen, da sie jeweils bestimmten Gruppen einige ihrer schwierigeren ethischen Dilemmata anvertraut. Sie erkennt die Vorteile einer Kooperation, die aus einer Spezialisierung und aus der Delegierung der Befugnis an jene resultiert, die eine solche im Rahmen ihrer Expertise am besten ausüben können. Deren Legitimität ist trotzdem sehr umstritten, da die Gesellschaft im Gegenzug Privilegien verleiht; darunter das ausschließliche Recht, bestimm-
te Aufgaben auszuführen, sowie das Recht auf Selbstbestimmung, auf Autonomie. Architektur etwa ist nicht nur eine technische, sondern auch eine künstlerische Disziplin: Sie folgt darin Werten und Regeln, die sich von jenen einer Mehrheit unterscheiden können. Zeigt dies nun die Grenzen der architektonischen Freiheit auf oder jene von Mehrheitsentscheidungen? Es ist durchaus möglich, dass die öffentliche Meinung kurzfristigere Interessen verfolgt als eine Profession, deren Kernkompetenz in der Planung liegt: Ein Projekt ist immer auch eine Projektion, in die Zukunft, ins Ungewisse; wofür fundiert Spekulationen angestellt werden. Entsprechend müsste eine berufliche Ethik die Auswirkungen sozialer, wirtschaftlicher und politischer Systeme im Blick behalten, innerhalb derer die ethischen Fragen verhandelt werden.
(...)
>> Weiterlesen in derPlan 41, die Zeitschrift der Kammer der ZiviltechnikerInnen für Wien, NÖ und Burgenland, Mai 2017
23.04.2017
Albanien - Studienreise
Tirana - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - TIRANA
22.04.2017
Albanien - Studienreise
Tirana - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - BERAT - Onufri Museum - Tirana
22.04.2017
Albanien - Studienreise
Tirana - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - TIRANA
21.04.2017
Albanien - Studienreise
Tirana - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - IONISCHE KÜSTE - DHERMI - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - Tirana
20.04.2017
Albanien - Studienreise
Tirana - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - BUTRINT - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - Tirana
19.04.2017
Albanien - Studienreise
Tirana - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - QEPARO - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - Tirana
18.04.2017
Albanien - Studienreise
Tirana - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - GJIROKASTRA - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - Tirana
17.04.2017
Albanien - Studienreise
Tirana - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - PERMET - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - Tirana
16.04.2017
Albanien - Studienreise
Tirana - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - KORCA - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - Tirana
15.04.2017
Albanien - Studienreise
TIRANA - Shkumbin Tal - Ohridsee - ELBASAN - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - Tirana
14.04.2017
Albanien - Studienreise
TIRANA - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - Tirana
14.04.2017
Albanien - Studienreise
TIRANA, Sou Fujimoto Serpentine Gallery Pavillon - Shkumbin Tal - Ohridsee - Elbasan - Lin - Korca - Germenji Nationalpark - Vjosa - Nemerçka - Benja Thermalquellen - Permet - Leusa - Gjirokastra - Blaues Auge - Butrint - Qeparo - Ionischen Küste - Dhermi - Llogara Pass - Berat - Onufri Museum - Tirana
09.04.2017
Kreativ und risikofreudig ist nicht genug
text NORBERT REGITNIG-TILLIAN
Zorica Zagorac-Uremović untersucht die Denkstile von Unternehmensgründern
Vaduz – Viel wurde in der Businessliteratur schon in die erfolgreiche Unternehmerpersönlichkeit hineininterpretiert: dass dafür ein besonderer Charakter ausschlaggebend sei. Dass man dafür eine genetische Veranlagung brauche. Dass man besonders kreativ und risikofreudig sein müsse, um innovative Geschäftsideen zu spinnen. Zorica Zagorac-Uremović haben diese Ansätze seit jeher eher stutzig gemacht.
Die Vorarlbergerin, die 1989 mit ihrer Familie aus Bosnien-Herzegowina nach Österreich kam, hat ihre eigene Hypothese. „Es ist die kognitive Flexibilität, die für das Erkennen von innovativen Geschäftsgelegenheiten notwendig ist.“ Die 33-Jährige hat in unterschiedlichen Unternehmen gearbeitet und erkannt, dass erst die kognitiven Ressourcen von Menschen Innovation und Unternehmenserfolg ermöglichen.
Im Rahmen ihrer Dissertation an der Universität Liechtenstein hat sie nun ihre These näher erforscht und die Denkstile dutzender erfolgreicher Unternehmensgründer analysiert. Zum einen in Tiefeninterviews, zum anderen mit psychologischen Diagnoseinstrumenten. Wie ticken Menschen, die eine Geschäftsgelegenheit nicht nur erkennen, sondern diese auch weiterentwickeln – bis hin zum erfolgreichen Start-up? „Die Ergebnisse sind für angehende Gründer oder weniger innovative Unternehmer sehr ermutigend“, sagt Zagorac-Uremović.
Denn entgegen dem Klischee ist das Erkennen innovativer Geschäftsgelegenheiten nicht nur den Kreativen und Risikofreudigen vorbehalten. Im Gegenteil: „Wer nur kreativ denkt und zu risikofreudig ist, hat ein Problem.“
In den psychologischen Tests zeigte sich, dass die Erfolgreichen neben dem kreativen Denken, das man in der Kognitionspsychologie auch „divergentes“, offenes und ideengenerierendes Denken nennt, auch noch einen anderen Denkstil gut beherrschen: das logisch schlussfolgernde Denken, auch konvergentes Denken genannt.
Zwar gilt der konvergente Denkstil in der Gründerszene gemeinhin eher als „unsexy“. Jedoch hat die Studie gezeigt, dass für das Erkennen innovativer Geschäftsgelegenheiten beide Denkstile notwendig sind. (...)
05.04.2017
Innovative Ideen ohne Wirkung
text ANDRÁS SZIGETVARI
Der technische Fortschritt befeuert das Wirtschaftswachstum nicht mehr so wie in den vergangenen Jahrzehnten. Ein IWF-Papier findet viele Ursachen dafür. Google, Amazon und Co sind nicht allein schuld.
Wien – Es ist verflixt. Selbstfahrende Autos, Roboter, neue Apps und Softwareprogramme: Fast jeden Tag vermelden Unternehmen Fortschritte bei der Entwicklung innovativer Technologien. Doch die wirtschaftliche Realität hält mit diesen Jubelmeldungen nicht mit. Das Wirtschaftswachstum in Industrieländern hat sich zwar in
den vergangenen Monaten beschleunigt. Doch von den Wachstumsraten vergangener Jahrzehnte ist man in Europa, Japan und den USA weit entfernt.
Warum wirken sich die Innovationen nicht stärker auf Wachstum und Wohlstand aus? Kaum eine Frage wird derzeit unter Ökonomen so hitzig diskutiert. Ein Teil der Wissenschafter glaubt, dass es fehlende Reformen und zu viel Bürokratie sind, die Unternehmen daran hindern, durchzustarten. Andere denken, dass der Welt schlicht die Ideen ausgegangen sind, die Wachstum bringen.
In diese Debatte hat sich nun der Internationale Währungsfonds (IWF) in Washington eingeschaltet. IWF-Ökonomen haben ein Forschungspapier („Gone with the Headwinds: Global Productivity“) veröffentlicht, in dem sie dem Konnex von Innovation und Wachstum nachgehen. Das Ergebnis bietet für beide Seiten etwas. (...)
Hinzu kommt eine Reihe von Faktoren, die nichts mit der Krise zu tun haben. Google, Apple, Facebook und Co haben kaum sichtbare Spuren im Wirtschaftswachstum hinterlassen. Die Neuerungen der Informations- und Kommunikationstechnik haben laut IWF nur für eine kurze Zeit Ende der 1990er-Jahre zu einem Produktivitätsschub geführt.(...)
05.04.2017
Einsamkeit als Sehnsuchtsort
text ANDREA SCHURIAN
Eduard Angeli gilt als Meister der Stille und des Lichts. Die Wiener Albertina würdigt den österreichischen Maler anlässlich seines 75. Geburtstags mit einer umfangreichen Retrospektive.
Wien – Das Museum: ein Ort der Stille. Der Stille? Ja, war einmal. Und, so ist man geneigt ganz platt hinzuzufügen, war einmal schön. In unserer durchmedialisierten Welt ist Aufmerksamkeit ein knappes Gut und Kunst ein dauererregendes, täglich frisch befülltes Unterhaltungstool, so viel Spaß muss sein. Das Leise, Konsequente, Nachdenkliche und nachdenklich Machende hat allerbeste Aussichten, übersehen zu werden.
Doch Friedrich Nietzsche schrieb: „Die größten Ereignisse – das sind nicht unsre lautesten, sondern unsre stillsten Stunden.“ Auch insofern ist die Ausstellung von Eduard Angeli in der Albertina derzeit eines der großen Kunstereignisse in Wien.
Denn Angeli malt die Stille. In aller buchstäblichen Ruhe und geradezu skandalösen Klarheit entfaltet seine Kunst ihre ganze magische Wirkmacht: messerscharfkantige Mauern; mysteriöse Dachlandschaften; tote Städte; Geisterstrände; grau in graue Häuserfassaden mit verriegelten Fenster- und Türläden, jedes Detail übrigens mit geradezu altmeisterlicher Präzision gemalt; gespenstische Hafenszenen; Bars, hinter deren verschlossenen Türen sich die Verlorenen und Vergessenen tummeln mögen; pastellene Wasserspiegelungen von betörender Zartheit; leergefegte Gassen: Bühnenbilder, die noch auf den Auftritt der Darsteller warten. Seit fast vierzig Jahren lässt Angeli weder Mensch noch Tier in seine Kunstwelten. Sogar sich selbst hat er aus seinem Studio verbannt, nur ein verloren vor der bleichen Wand stehender Hocker lässt vermuten, wo sich der Künstler befunden hat, als er das Bild gemalt hat.
Einsamkeit als Sehnsuchtsort. Dabei, sagt Angeli, sei er eigentlich ein geselliger, optimistischer Mensch, „aber diese melancholischen Stimmungen interessieren und faszinieren mich“. Auch beim Arbeiten suche er die vollkommene Ruhe, keine Besuche, keine Musik als Stimulans. Stattdessen Konzentration auf das Wesentliche: die Kunst. (...)
05.04.2017
Blumentopfstreit beim Heer
text MICHAEL MÖSENEDER
Wien – Wenn eine Richterin „Hat der noch gelebt?“ fragt, wird gemeinhin ein Schwerverbrechen verhandelt. Im Prozess wegen schwerer Körperverletzung gegen Eva M. ist das nicht der Fall. Die Besorgnis von Richterin Nicole Baczak gilt einer Pflanze. Die soll die 44-jährige Angeklagte samt Topf einer Untergebenen auf den Fuß geschmissen haben, infolgedessen die Frau einen Knochenbruch erlitten hatte.
Schauplatz ist eine Kanzlei des Verteidigungsministeriums. Frau M. ist dort Amtsdirektorin, bis zum Vorfallstag, dem 8. August 2016, teilte sie sich mit Frau J. das Zimmer. Die scheint eine Pflanzenliebhaberin zu sein, vier Stück, darunter zwei Birkenfeigen, besser bekannt unter dem Namen Ficus, und ein Elefantenfuß, stellte sie ins Büro.
Im Sommer war Frau J. auf Urlaub. „Es war so heiß, da habe ich die Pflanzen von der Fensterbank genommen, damit man lüften kann, und einen Ficus umgestellt. Da habe ich bemerkt, dass der Lichteinfall viel besser geworden ist“, sagt die Angeklagte.
Am Tattag kam die Kollegin aus dem Urlaub zurück. „Sie ist in die Teeküche gegangen, die ist geputzt worden. Dann hat sie gleich gefragt, wer ihre Sachen umgeräumt hat“, erzählt die Unbescholtene. Dramatisch wurde es, als Frau J. in ihrem Zimmer den 1,60 Meter hohen Ficus nicht sah, der neben der Tür stand.
Aus Sicht der Besitzerin ein schlechter Platz, sie wollte ihn offenbar wieder näher ans Licht stellen. „Ich habe ihr dann eine Dienstanweisung erteilt, dass sie die Stöcke wegstellen muss“, erinnert sich die Angeklagte. „Eine Dienstanweisung?“, fragt Bazcak ungläubig. Nicht nur das hat sie, sie wollte auch den Vorgesetzten um eine letztinstanzliche Entscheidung bezüglich des Pflanzenstandorts bitten.
„Bis dahin wollte ich den Stock von der Fensterbank nehmen. Er ist mir aber auf den Boden gefallen.“ Frau J. habe sie dabei nicht getroffen. Dann habe die Kontrahentin alle Blumentöpfe ins Auto getragen und sich krankgemeldet.
„Als ich gekommen bin, war eine ganz eigenartige Stimmung, eher feindselig“, erzählt Frau J. dagegen schluchzend. Als sie ihren Ficus auf seinen angestammten Platz stellen wollte, sei die Situation eskaliert. „Sie ist herübergestürmt und hat mit der Hand den Blumentopf vom Fensterbrett geschmissen“, behauptet die 49-Jährige. Der rund fünf Kilo schwere Topf habe sie mit der Kante dann am Fuß erwischt. Im Spital sei diagnostiziert worden, dass das sogenannte Sesambein gespalten sei.
„Waren Sie früher sportlich?“, stellt der medizinische Sachverständige Christian Reiter eine zunächst überraschend klingende Frage. „Ja, ich bin gelaufen, geklettert, gewandert“, bekommt er als Antwort. Ein Umstand, der eine Rolle spielt, als Reiter sein Gutachten erläutert. „Die Dreiteilung des Sesambeins muss deutlich vor dem 8. August passiert sein“, stellt er nämlich fest. „Eine derartige Verletzung kann auch eine Ermüdungsfraktur sein, die bei Läufern vorkommt.“ – „Vereinfacht gesagt: Da war kein Blumentopf?“, bringt die Richterin es auf den Punkt. „Ich würde mit wesentlich schwereren Verletzungen rechnen, wenn es einen gegeben hätte“, antwortet der Experte.
Die logische Folge ist ein nicht rechtskräftiger Freispruch.
>> „Der Standard“
28.03.2017
Augen auf!
text PHILIPP MEIER
Claude Monet malt die Halluzinationen auf seiner eigenen Netzhaut: Der Meister ist in der Fondation Beyeler neu zu entdecken
Warum eigentlich hängen wir immer noch Bilder an unsere Wände? Wäre das nicht längst passé? Bilder, um das nackte Gemäuer zu schmücken, damit die Leere uns nicht von der Wand herab anstarrt? Vieles davon ist oft Dekoration, die gut zum Sofa passen soll. Deshalb wohl machen ernsthafte Künstler bisweilen einen Bogen um Pinsel und Leinwand, sie machen stattdessen Installationen oder gar Computerkunst. Solch sperrige und virtuelle Dinge haben keinen Platz im Wohnzimmer. (...)
Monet schlug eine entscheidende Bresche für das, was in der Kunst noch kommen sollte. Die moderne Malerei fand ihre Grundlage bei ihm, der zur Vaterfigur für Rothko, Pollock, Sam Francis, ja wohl auch Cy Twombly wurde, wie Ausstellungen nach der Jahrtausendwende in Riehen und in München aufzeigten.
Was aber malte Claude Monet denn eigentlich, wenn er die Landschaft, das Meer, die Felsen, Strände, Kathedralen, Alleen, Mohnfelder, Gärten, Teiche, Brücken – und die berühmten Seerosen malte? Monet malte all dies, und malte es auch nicht. Er malte nicht einmal Abbilder von all dem, wenn man genau hinschaut. Um selber genau hinschauen zu können, schaute Monet oft am Motiv vorbei, als wollte er eine Wahrheit desselben in der Unschärfe finden, in dessen Schattenlöchern entdecken. Um nicht einfach nur Kopist der Wirklichkeit zu sein, nahm er als Sujet bei jeder Gelegenheit bereits immer schon Abbilder in den Blick. (...)
04.03.2017
Der Wandaufbau bestimmt den Geruch
text MARTIN PUSCHÖGL
Im Forschungspark eines Baustoffherstellers werden seit knapp zwei Jahren verschiedene Bauweisen miteinander verglichen. Dabei wird klar: Nicht nur auf die wesentlichen Dinge, auch auf Nebensächlichkeiten kommt es an.
Ein Häuschen gleicht dem anderen: Die Firma Baumit hat 2015 mit den Messungen in den neun Forschungsobjekten begonnen, kürzlich wurde eine erste Bilanz gezogen.
...
Geruch Was die beteiligten Forscher – neben der FH Burgenland noch das IBO (Österreichisches Institut für Baubiologie und Bauökologie) und die Med-Uni Wien –, aber auch Lorenz echt erstaunt hat: Trotz des bereits erwähnten dreimal täglichen Luftaustauschs über einen langen Zeitraum bleibt ein anfänglicher bauweisentypischer Geruch oft sehr lange im Haus. Die Gipskartonhäuser beurteilten Besucher noch nach 17 Monaten als olfaktorisch „auffällig“, und auch im Holzmassivhaus riecht es nach wie vor stark nach Holz. In den Beton- und Ziegelhäusern wurde der Geruch schon nach wenigen Monaten als „unauffällig“ bewertet.
_ Schadstoffe Die Belastung mit flüchtigen organischen Verbindungen (engl. Abkürzung VOC, Volatile Organic Compounds) erwies sich in allen Häusern mit Ausnahme des Holzmassivbaus nach zwei Jahren als unbedenklich. Allerdings war die Anfangsbelastung auch bei den beiden 25er-Ziegel-Häusern recht hoch. Als Grund dafür wurde später nicht die Wandkonstruktion, sondern ein bestimmter Abdichtungskleber ausgemacht.
Beim Holzhaus war die Belastung auch nach 17 Monaten noch sehr hoch. Grund dafür sind laut Lorenz die holzeigenen Terpene, die aber auch für den typischen, oft auch gewünschten Holzgeruch sorgen.
Der Umweltanalytiker Bernhard Damberger vom IBO, der im Auftrag von Baumit die Luftschadstoffmessungen durchgeführt hat, erklärt dazu im Gespräch mit dem Standard : Ja, die Werte seien stark erhöht gewesen; zurückzuführen sei das aber einerseits auf die hier verwendete Holzart (Kiefer), andererseits auf den geringen Rauminhalt der Häuser aufgrund der knapp bemessenen Kubaturen. „Dadurch wirkten sich die Harzausdünstungen natürlich umso stärker auf die Raumluft aus“, sagt Damberger. „Und mit Fichte oder Tanne hätte es ganz andere Ergebnisse gegeben.“ Generell sei die VOC-Belastung in Holzhäusern in den allermeisten Fällen unbedenklich.
Kleber als Schadstoffquelle
Auch Damberger weist auf die Probleme mit dem Abdichtungskleber hin. Dadurch seien die Ergebnisse mancher Häuser leicht verfälscht worden. Für den Experten resultiert daraus wiederum eine sehr wichtige Erkenntnis: „Wer besonders umweltbewusst bauen will, sollte neben den großen Entscheidungen unbedingt auch sehr auf die eher nebensächlichen Dinge achten.“ Ein Kleber, über den man sich nicht so viele Gedanken macht, und der unter Umständen auch ohne Wissen eines Bauherren von Handwerkern sorglos verwendet wird, kann sich auf die Luftqualität verheerend auswirken und damit fast noch entscheidender sein als die gewählte Bauweise.
...
Das Projekt Viva-Forschungspark war von Baumit für zunächst drei Jahre angelegt und kostete den Konzern bisher rund drei Millionen Euro. Im Frühjahr werden direkt angrenzend an die bisherigen Forschungshäuser aber auch noch zwei „Gründerzeithäuser“, gebaut mit Backsteinziegeln wie vor hundert Jahren (siehe Foto), in Betrieb genommen. Eines davon wird lediglich verputzt, das zweite bekommt eine Dämmung samt Außenputz. „Hier werden wir der Frage auf den Grund gehen, ob eine nachträgliche Wärmedämmung beim Gründerzeithaus sinnvoll ist und wie sie sich auf die Substanz auswirkt“, so Schmid.
Auch in den neun schon bisher verwendeten Forschungshäusern werden noch weitere Tests stattfinden. Lorenz berichtet von geplanten Luftionenmessungen. Mit welcher Bauweise kann Feinstaub am besten aus der Luft gefiltert werden? Mit dieser Thematik will man sich demnächst in Wopfing eingehend beschäftigen.
Fotos: Putschögl, Baumit Bild oben: Zwei „Gründerzeithäuser“, gebaut mit Wänden wie vor 100 Jahren, werden in dem Forschungspark demnächst in Betrieb genommen. Auf dem unteren Bild ist die versetzte Bauweise der Häuser zu sehen, damit sie sich nicht gegenseitig beschatten.
03.03.2017
Bauzeit und Miete rekordverdächtig gering
text JUTTA BERGER
Mit „Wohnen 500“ schafft die gemeinnützige Vogewosi, was in Vorarlberg lange unmöglich schien: leistbares Wohnen für 500 Euro pro Monat in guter Architektur und mit wenig Umweltbelastung.
Dornbirn – Aus der Vorgabe des Landes, rasch und günstig Wohnraum für Konventionsflüchtlinge zu schaffen, hat die Vogewosi ein inklusives Pilotprojekt für leistbares Wohnen gemacht. Die ersten Beispiele für „Wohnen 500“ sind zwei Wohnanlagen in Mäder (Bezirk Feldkirch).
Die beiden dreigeschoßigen Mehrfamilienhäuser mit je zehn Wohneinheiten stehen an der Ortsgrenze zu Altach. „Ideal gelegen für Fußballfans, zum Stadion sind es nur ein paar Meter zu Fuß“, freut sich einer der jungen Bewohner. In der neuen Anlage leben seit Dezember des Vorjahres sechs Flüchtlingsfamilien aus Syrien und Afghanistan, 13 Familien aus Mäder und Umgebung, darunter neun alleinerziehende Mütter und zwei Wohngemeinschaften.
Das vom Dornbirner Architekturbüro Johannes Kaufmann und der Bregenzerwälder Firma Kaufmann Bausysteme entwickelte Modulsystem habe die Premiere bravourös bestanden, freut sich Vogewosi-Geschäftsführer Hans- Peter Lorenz: „Die Rekordbauzeit von nur drei Monaten wurde pünktlich eingehalten.“ „Wohnen 5002 steht für Drei-Zimmer-Wohnungen, die 65,2 Quadratmeter groß sind und inklusive Nebenkosten monatlich nur 500 Euro Miete kosten. Die für Vorarlberger Verhältnisse „rekordverdächtig niedrigen“ Mieten werden durch Einsparung bei den Errichtungskosten möglich, erklärt Lorenz.
Gespart wird durch die Modulbauweise. Jedes Zimmermodul in Massivholz wird im Werk vorgefertigt, inklusive der Installationen. An Ort und Stelle werden die Zimmermodule zu Wohnungen um das zentrale Stiegenhaus gruppiert. Man möge nicht von Containern sprechen, wünscht sich Lorenz. „Die Gebäude sind langfristig angelegt, auf 80 Jahre plus. Das sind keine Container, die man gleich abreißt.“ (...)
Um niedrigere Bau- und Wohnkosten zu erreichen, wurde klug eingespart. Verzichtet wird auf einen Lift, die barrierefreien Wohnungen befinden sich im Erdgeschoß. Die Gebäude sind nicht unterkellert, haben keine Tiefgarage. Stauraum gibt es dennoch: Die Wohnungen haben eine Abstellnische, im Erdgeschoß steht jeder Einheit ein Kellerabteil zur Verfügung, zusätzlich allgemeine Fahrrad- und Trockenräume.(...)
23.01.2017
Reise zum Mittelpunkt der Leere
Was passiert, wenn Knappheit selber knapp wird? Wir erleben derzeit das Ende der Narrationen, die unsere aufgeklärte Demokratie und Volkswirtschaft von innen getragen haben. Gastkommentar von Fritz Breithaupt und Martin Kolmar
«Du bist der Held deiner eigenen Geschichte.» Der Optimismus des Mythenforschers Joseph Campbell in seinem Satz von 1949 klingt heute wie ein unerreichbarer Anspruch. Wo ist die Geschichte, in der ich als Held auftreten kann? Wo sind die erzählerischen Angebote unserer politischen Ordnung, die Platz für uns haben?
Wenn wir die grossen, ökonomisch-politisch wirksamen Narrative der Vergangenheit anschauen, zeigt sich, dass eine Mehrzahl Geschichten des Mangels und der Abwesenheit waren. Ökonomisch gewendet waren es Erzählungen der Knappheit. Ein Held ringt mit dem Schicksal, um einen Mangel auszugleichen und das Glück zu erringen. In den Robinsonaden und Utopien musste aus einer kleinen Welt ohne Zivilisationsgüter eine neue Welt gebastelt werden.
Besonders wirkungsmächtig war die Narration der protestantischen Ethik. Weil man nicht wusste, wie Gott am Jüngsten Tag richten würde, forderten sich die frühen protestantischen Helden vorsichtshalber in allen heiklen Verhaltensweisen Enthaltsamkeit ab. Die auf das Jenseits verlegte Darstellung wurde, so Max Weber, dann auch auf das Diesseits gelenkt. Auch im Wirtschaften versagten sich die Protestanten schnelle Wunscherfüllung, sie arbeiteten hart und sparten. Anders gesagt: Sie zwangen sich dazu, die Güter als knapp zu sehen, und erhoben Askese zur Struktur ihres Handelns.
Das Paradox der Demokratie
Narrationen der Fülle haben einen Ausnahmecharakter und verweisen damit zurück auf Erzählungen der Knappheit als Grundstruktur. Dies geschieht in der Vision des Schlaraffenlands, aber auch den Eskapaden des feudalen Adels, der sich im Gegensatz zum Volk durch Verschwendung definiert. Gerade in diesen Erzählungen zeigt sich, dass der Inhalt der Knappheitsgeschichten die menschliche Arbeit war.
Doch was passiert, wenn Knappheit selbst knapp wird? Es ist ja eigentlich ein Treppenwitz: Wir nähern uns einer Welt an, in der Menschen von der Last unangenehmer Arbeit mehr und mehr entlastet werden können. Auch wenn es nicht der Wahrnehmung aller Menschen entspricht, präsentieren sich unsere westlichen Demokratien als erstaunlich gesättigt. Knappheit scheint eher ein Verteilungs- als ein Mengenproblem zu sein. Und dennoch: Was einmal als Utopie erschien, verwandelt sich zunehmend in eine Dystopie von Arbeits- und Sinnlosigkeit und den Grenzen des quantitativen Wachstums. (...)
In den Geschichten der Knappheit waren Lebenssinn und Wertschätzung an den Produktionswert geknüpft: Wir verdienen, was wir verdienen. Arbeit erlaubte nicht nur einer Elite Selbstverwirklichung, sondern prinzipiell allen. Doch mit einer Überwindung materieller Knappheit ist das gesamte Narrativ dysfunktional. Ohne materielle Knappheit funktioniert auch die Narration der protestantischen Ethik nicht mehr – insbesondere auch, weil in zunehmend säkular werdenden Gesellschaften keine Belohnung in der Ewigkeit mehr zur Verfügung steht. Sie wird höchstens noch zu einem sonderbaren mentalen Akt, sich künstlich zur Annahme von Knappheit zu zwingen. (...)
12.01.2017
bücher bauen - lars müller
Lars Müller zählt als Grafiker und Verleger zu den wichtigsten „Übersetzern“ von Architektur, Design, Fotografie, Grafik, Kunst und gesellschaftspolitischen Themen in das Medium Buch. Mit seinem 1982 gegründeten Büro gestaltet er Bücher, die nicht nur zum Anschauen und Lesen, sondern auch zum Fühlen und Berühren gedacht sind. Sein erstes Buch verlegte er 1983, seither sind im Verlag Lars Müller Publishers etwa 600 Titel erschienen, die thematisch alle Aspekte der Gestaltung umfassen, aber auch gesellschaftspolitische Fragestellungen aufgreifen.
In der Ausstellung "Bücher bauen" im aut zeigt Lars Müller eine Auswahl an 100 von ihm gestalteten wie verlegten Büchern, die einen konzentrierten Einblick in seine Welt des Büchermachens bieten. Ergänzt um von Lars Müller selbst verfassten Hintergrundinformationen und einem Interview mit ihm, werden Parallelen zwischen der Buchgestaltung und der Architektur sichtbar.
Eine Ausstellung von aut. architektur und tirol von
25. november 2016 bis 17. feber 2017
öffnungszeiten
Di – Fr 11.00 bis 18.00 Uhr
Do 11.00 bis 21.00 Uhr
Sa 11.00 bis 17.00 Uhr
an Feiertagen geschlossen
aut im Adambräu
Lois Welzenbacher Platz 1
6020 Innsbruck, Austria
t +43 (512) 57 15 67
06.12.2016
Blaufränkisch-Reben in Südspanien
text JAN MAROT aus Ronda/Spanien foto WOLFGANG STADLER
Dass Zweigelt- und Blaufränkisch-Reben in Südspanien gedeihen, ist das Verdienst des Österreichers Martin Kieninger. Der Autodidakt keltert daraus Spitzen-Cuvée-Weine.
Es ist glücklichen Zufällen und der Liebe zu verdanken, dass es Zweigelt- und Blaufränkisch-Reben nach Südspanien geschafft haben und im andalusischen Hügelland von Ronda (Málaga) gedeihen. Martin Kieninger, der 1960 in Ried im Innkreis geboren wurde, war der Pionier, der mit seiner aus Granada gebürtigen Ehefrau Ana Montenegro typisch österreichische Rebsorten zu Spitzen-Cuvée-Weinen in Barrique-Fässern ausbaut.
Dafür importierte Kieninger ab dem Jahr 2000 erst einmal 50, dann mehrere tausend österreichische Rebstöcke. Diese wachsen nun neben autochthonen Sorten wie der alten, in Westandalusien vor der Vergessenheit geretteten Rota Tintilla nebst Garnacha Tinta oder aber auch Klassikern wie Cabernet Sauvignon, Merlot oder Pinot Noir. „Besonders der Blaufränkische kommt mit der Hitze sehr gut zurecht. Dessen Trauben erreichen immer die volle Reife“, sagt der einstige Architekt und mittlerweile hauptberufliche Winzer Kieninger.
Vor mittlerweile 25 Jahren und auf knapp 3000 Meter Seehöhe in einer Skihütte der Sierra Nevada lernte er seine große Liebe Ana kennen. Nach acht gemeinsam in Österreich verbrachten Jahren zog es sie mit ihren zwei Kindern 1998 zurück in den Süden: „Meiner Frau was es zu kalt in Bad Ischl“, sagt Kieninger, der bei einer Rundreise zufällig auf ein Grundstück bei Ronda stieß. Sukzessive ließ er es zum Weingut werden: „Erst als Hobby mit ein paar Behältern und einer kleinen Presse im Keller.“
Rund 7000 bis 10.000 Liter Spitzenweine mit Ökosiegel produziert er mittlerweile jährlich – auf fast vier Hektar Weinbergfläche, umgeben von Hecken aus Granatapfelbäumen, Brombeersträuchern oder Wildrosen.
19.11.2016
Danila Tkachenko "Restricted Areas"
Artist Talk and Brunch during the ViennaArtWeek: November 19, 2016 at 11am
Exhibition goes from November 5, 2016 to January 31, 2017
The exhibition is part of EYES ON - Month of Photography Vienna
BROTFABRIK GalleryWalk on November 16, 2016, 6-9 pm
at AnzenbergerGallery
Absberggasse 27, 1100 Vienna
Opening hours: We - Sa 1 to 6 pm or by appointment
Danila Tkachenko (b. 1989 in Moscow) studied documentary photography at the Rodchenko School of Photography and Multimedia in Moscow. Besides the European Publishers Award for Photography he also won the Lensculture Exposure Award (2015) and the World Press Photo Award (2013). Lately, his works were exhibited in the following institutions: Finnish Museum of Photography, Helsinki (FI), Indira Gandhi National Centre for the Arts, New Delhi (IN), Center for Contemporary Arts, Santa Fe (US), and Gallery of Classic Photography, Moscow (RU).
19.11.2016
Viele Normen machen Wohnen teuer
text FRANZISKA ZOIDL
Sparen bis zur letzten Steckdose
Viele Normen und hohe Grundstückspreise machen Wohnen teuer. Ein Vorarlberger Bauträger hat ein Wohnkonzept für eine junge Zielgruppe erarbeitet, bei dem die Bewohner die Glühbirnen selbst auswechseln.
Wollen Sie einen Lichtschalter um jeweils 36 Euro rechts und links vom Bett – oder reicht einer in der Mitte? Und brauchen Sie als Bewohner des zweiten Stockwerks einen Lift, wenn sich dieser mit 40 Euro pro Monat auf die Betriebskosten niederschlägt?
Das wollte Wilfried Hefel, Geschäftsführer des Vorarlberger Bauträgers Hefel Wohnbau, von 500 Menschen im Alter zwischen 25 und 35 Jahren wissen. „Wir haben bis zur letzten Steckdose alles abgefragt und mit Kosten hinterlegt“, erzählt er von dem Projekt, das gemeinsam mit einem unabhängigen Expertenteam durchgeführt wurde.
Der Hintergrund: Für junge Menschen wird es angesichts steigender Immobilienpreise immer schwieriger, Eigentum zu begründen. Hefels Ziel bei der Gründung von Riva Home im Jahr 2012 war, bei den Planungs- und Errichtungskosten 30 Prozent einzusparen: „Wenn zwei Drittel der Zielgruppe bei der Befragung gesagt haben ‚so möchten wir’s‘, dann haben wir das so gemacht.“
Zwei Ausnahmen: Eigentlich haben sich die Befragten gegen die Planung durch einen Architekten und für eine billigere Bauweise mit damit einhergehenden höheren Betriebskosten ausgesprochen. Am Ende wurden aber vom Vorarlberger Architekten Carlo Baumschlager von Baumschlager Hutter Partners Niedrigenergiehäuser geplant. „Wir wollten eine gescheite Architektur und energetisch State of the Art sein“, so Hefel.
Drei fix und fertige Wohnhaustypen wurden entwickelt. So werden Planungskosten gespart. Zudem wird mit den Wohnungen erst nach deren Fertigstellung in den Verkauf gegangen. „Das bedeutet, dass das Bauträgervertragsgesetz nicht gilt, das Kunden vor dem Konkurs des Bauträgers in der Bauzeit schützt“, erklärt Hefel. So werden Kosten – etwa für Bankgarantien und Sachverständige – gespart. Die Planungsphase kann der Kunde so nicht beeinflussen, was das Bauen laut Hefel wiederum günstiger macht.
„Überhaupt werden die meisten Einsparungen durch Weglassen erreicht“, sagt Hefel. Den eingangs erwähnten Lift gibt es nicht. Dafür gibt es einen Liftschacht, der temporär als Stauraum für die Bewohner genutzt werden kann. Auch auf eine Unterkellerung oder eine Tiefgarage sowie auf große Terrassen oder eine Fußbodenheizung wurde verzichtet.
Außerdem wurde eine App entwickelt, die dabei helfen soll, die Betriebskosten zu senken. Stellt ein Bewohner fest, dass die Glühbirne im Stiegenhaus ausgebrannt ist, dann benachrichtigt er Bewohner und Hausverwaltung mittels App. Wenn sich binnen 24 Stunden kein Bewohner bereiterklärt, die Glühbirne auszuwechseln, dann schickt die Hausverwaltung einen Kostenvoranschlag. „So wird den Kunden klar, dass eine solche Maßnahme viel Geld kostet. Unsere Erfahrung ist: Die Leute wechseln dann alles selbst“, so Hefel.
12.11.2016
Meister der Irritation
Hermann Czech ist ein weltbekannter Name. Zumindest in der Architekturwelt. Im breiten Publikum jedoch, meint er, kenne ihn fast niemand. Dem wollen wir zum 80. Geburtstag abhelfen.
Interview: Wojciech Czaja
Standard: Sie haben sich gewünscht, vor unserem Gespräch einen Blick auf meine Fragen zu werfen. Jetzt sind Sie unglücklich.
Czech: Auf viele dieser Fragen finde ich keinen Einstieg. Ich bin etwas ratlos.
Standard: Sie haben Geburtstag. Wünschen Sie sich eine Einstiegsfrage!
Czech: In einer Ihrer Fragen ist von der Irritation in meiner Arbeit die Rede. Darüber würde ich gerne sprechen.
Standard: Bitte!
Czech: Ich höre oft, dass manche Menschen von meiner Architektur irritiert sind. Das ist eine begründete Beobachtung. Das ist aber kein Selbstzweck. Die Irritation kommt ja nicht daher, dass ich darüber nachdenke, womit ich irritieren könnte. Sie ist vielmehr eine unausweichliche Nebenwirkung meines Entwurfsansatzes, meiner Verfolgung von verschiedenen Gedankengängen auf verschiedenen Ebenen.
Standard: Zum Beispiel?
Czech: Das können ganz pragmatische Überlegungen sein – sagen wir aufgrund des Gebrauchs oder der Kostenersparnis. Das können aber auch beabsichtigte Raumwirkungen oder Assoziationen sein. Manchmal sind das auch Zitate aus der Architekturgeschichte oder aus der trivialen Alltagswelt.
Standard: Als ich das erste Mal das von Ihnen geplante Kleine Café am Franziskanerplatz betreten habe, habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, aus welcher Epoche das Lokal stammen mag.
Czech: Das höre ich immer wieder.
Standard: Sie spielen gerne mit der Zeit. Sie zitieren, verfälschen und führen den Betrachter mit Ihren Räumen und Häusern an der Nase herum.
Czech: Die Zeit ist eine Dimension, die man in der Architektur anspielen kann. (...)
Standard: Der „Falter“ bezeichnet Sie als heimlichen Stararchitekten, den keiner kennt. Wie geht es Ihnen damit?
Czech: Da ist was dran. Der deutsche Kunstvermittler Kasper König hat kürzlich über den Begriff „Artists’ Artists“ geschrieben, also von Künstlern, die nur Künstlern bekannt sind. Und er meinte, ich sei ein „Architects’ Architect“. Architekten kennen mich, auch international, aber für Medien und Publikum ist der Czech unbekannt.
Standard: Architekten vergeben keine Aufträge.
Czech: Eben! Aber mit Architektur kann man eh nicht wirklich reich werden. Philip Johnson meinte einmal, als Architekt müsse man von vornherein reich sein oder eine reiche Frau haben.
Standard: Und?
Czech: Weder noch.
Standard: Wie hat sich der Job des Architekten verändert? Ist er leichter oder schwerer geworden?
Czech: Schwerer. Und vor allem lästiger. Manchmal sind Bauvorschriften und Normen unnötig lästig.
Standard: Sind es nicht die Zwänge, die ...
Czech: ... doch, doch, Zwänge sind inspirierend und können zu innovativen Lösungen führen. Aber wenn man nur mehr gerade Treppen und 80 Zentimeter breite WC-Türen bauen darf, dann hört sich die Architektur auf. Dann beginnt die räumliche Verarmung. (...)
11.11.2016
Schillerndes Puzzle aus Wasser und Reis
Im Südwesten Chinas hat das Volk der Hani eine der aussergewöhnlichsten Kulturlandschaften der Erde geschaffen.
Mit ihren Terrassen trotzen die Reisbauern den Bergen fruchtbares Land ab.
text KARIN STEINBACH TARNUTZER
(...) Während der Sui- und der Tang-Dynastie begannen die Hani – aus dem Norden Chinas eingewanderte Bauern – die Hänge der Ailao- Shan-Berge zu terrassieren, um Anbauflächen zu gewinnen. Über die Jahrhunderte wuchs das Puzzle aus Terrassen höher und höher. Je steiler der Hang, umso kleiner wurden sie angelegt; vom Tal, das auf 150 Metern über Meer liegt, reichen die nahezu 3000 Stufen bis auf 2900 Meter hinauf. Zentrale Bedeutung kommt dem Wasser zu, wie Lin Chang erläutert: Über ein komplexes System von Kanälen fliesst es aus den oberhalb gelegenen Wäldern auf die Reisfelder. Durch die Mauern aus gestampftem Lehm werden Bambusrohre geschlagen, die mit einem Pfropfen verschlossen werden können. Auf diese Weise regulieren die Hani den Zufluss. Im Winter bleiben die Terrassen mit Wasser gefüllt, damit die Lehmwände nicht austrocknen. Ende März pflügen die Männer mithilfe von Wasserbüffeln den Boden. (...)
120 Tage dauert die Wachstumsphase des «roten Reises», den die Hani anbauen, im Unterschied zum Klebreis eine härtere Sorte mit leicht rötlicher Haut. Im September schneiden die Frauen den reifen Reis und schlagen noch auf dem Feld die Körner aus den Pflanzen, die Männer füllen sie in Säcke und transportieren sie zum Schälen in die Dörfer. Das Reisstroh wird, für die Wasserbüffel, in Garben auf den Feldern getrocknet oder aber verbrannt und die Asche als Dünger ausgebracht. Der natürlichen Düngung dient auch die Tierhaltung, denn in den Terrassen gedeiht nicht nur Reis. Die Hani züchten in ihnen Aale und andere Fische sowie Enten. Am frühen Morgen kann man Frauen begegnen, die ihre Enten in Körben auf dem Rücken zu den Wasserflächen tragen. Zusätzlich werden auf den Reisfeldern Pflanzen aus der Bohnenfamilie angebaut, die Bakterien binden und Stickstoff erzeugen. Eine spezielle Wasserschneckenart vertilgt im Wasser auftretende Schädlinge.
Weltkulturerbe
Diese nachhaltige Anbaumethode, von einer Generation zur anderen weitergegeben, hat dafür gesorgt, dass die Erträge trotz der Monokultur stets konstant blieben. Sie bewog 2013 die Unesco dazu, die Hani-Reisterrassen zum Weltkulturerbe zu ernennen. Die örtlichen Tourismusmanager argumentieren lieber mit der räumlichen Ausdehnung der Terrassen, ihrer langen Entstehungszeit und der Anzahl der Menschen, die sie angelegt haben. Sie bezeichnen die Landschaft als «das weltweit grösste Werk der bildenden Kunst» (...)
09.11.2016
Europas Wettbewerbsvorteil war die Gewalt
Die Händler der indischen Stadt Surat, der größten Hafenstadt des Mogulreichs, waren den Europäern lange Zeit überlegen, sagt der Historiker Sanjay Subrahmanyam. Ihr Erfolg werde im heutigen Indien zu wenig beachtet.
INTERVIEW: Eric Frey
Standard: Surat, eine Millionenstadt im heutigen nordwestindischen Bundesstaat Gujarat, war vom 16. bis zum 18. Jahrhundert nach Ihrer Beschreibung eine weltoffene, tolerante und dynamische Handelsstadt. Das ist ein Bild, das man eher mit europäischen Handelsstädten assoziiert. Wie ähnlich war Surat etwa Amsterdam?
Subrahmanyam: Amsterdam gilt für diese Zeit als eine Art Messlatte. Dabei war die Offenheit dort eher beschränkt. Da waren nur Protestanten, einige Juden, kaum Katholiken und keine Muslime. Viele Städte im Indischen Ozean waren diverser und offener. In Surat konnte sich jeder niederlassen.
Standard: Hat diese Offenheit Surat auch wohlhabend gemacht?
Subrahmanyam: Steuern und Zölle waren niedrig. Das Mogulreich war vor allem am freien Handel mit Edelmetallen interessiert, die wurden gar nicht besteuert. Die Reichsten in Surat waren sicher so reich wie die Händler in Amsterdam. Es war eine ungleiche Gesellschaft, aber die Ungleichheit war nicht so groß wie heute.
Standard: Wie global war dieser Handel?
Subrahmanyam: Schiffe aus Surat segelten bis nach China und nach Ostafrika. Dass sie nicht nach Europa kamen, lag daran, dass die Europäer das nicht erlaubt haben. Sie verteidigten ihr Handelsmonopol rund um Afrika.
Standard: Und Kolonialreiche wollten die Moguln nicht errichten?
Subrahmanyam: Nein, das taten nur die Westeuropäer, das waren seltsame Menschen. Sonst hat niemand daran gedacht, in die Welt hinauszusegeln und und ferne Kolonie zu gründen. Erobert wurden nur angrenzende Gebiete.
Standard: Aber die chinesische Ming-Dynastie baute im 15. Jahrhundert riesige Flotten.
Subrahmanyam: Ja, aber sie haben ihre Schiffe nie für die Eroberung von Kolonien genutzt. Sie segelten bis nach Ostafrika, sie demonstrierten ihre Macht und forderten Tribut. Aber sie blieben nicht.
Standard: Aber auch muslimische Reiche wollten Macht und den Glauben überallhin tragen.
Subrahmanyam: Das war anders. Muslime eroberten Indien und ließen sich dann dort nieder. Die Europäer hatten das nie vor. Für sie blieb die Metropole immer anderswo, sie schickten nur temporäre Vertreter.
Standard: Wie erklärt sich dieser Unterschied?
Subrahmanyam: Die Europäer betonten den Unterschied zu den anderen viel mehr. Sie waren nicht bereit, Teil einer anderen Gesellschaften zu werden, zumindest nicht, wenn sie Macht hatten. Das war eine andere ganz Vorstellung eines Imperiums. Jeder kann Muslim werden, aber man konnte kein Europäer werden und kein Weißer, wenn man nicht weiß ist. (...)
06.11.2016
Manierismus und Krise
Der Verlust der Mitte
text PETER BÜRGER
Die moderne Gesellschaft befindet sich – wie einst die Epoche des Manierismus – in einer Krise, die die Vorstellung eines sich automatisch vollziehenden Fortschritts hat fragwürdig werden lassen.
Walter Benjamins Gedanke, dass es eine geheime Korrespondenz von Epochen gebe, ja dass es einer jeden aufgegeben sei, eine Deutung der ihr korrespondierenden vergangenen zu finden, zu der nur sie den Schlüssel besitze, dieser Gedanke mag spekulativ sein; aber er enthält eine Anweisung, wie man der Ödnis einer archivalischen Geschichtsschreibung entkommen kann, die den lebendigen Bezug zur eigenen Gegenwart verloren hat. Gerade angesichts der Krise des geschichtlichen Denkens, die wir gegenwärtig erleben, kommt dem Benjaminschen Gedanken eine nicht zu überschätzende Bedeutung zu. Kann er uns doch helfen, eine Vorstellung von Gegenwart zu überwinden, die in der Aneinanderreihung von Jetztpunkten aufgeht. (...)
Es besteht kein Grund, die immanente Krise des Konzepts des künstlerischen Fortschritts, auf der Gombrich insistiert, von der Krise des Renaissance-Humanismus zu trennen, in der Arnold Hauser die Ursache des Manierismus sieht; vielmehr dürfte gerade das Zusammentreffen beider zum Entstehen der neuen Malerei beigetragen haben.
Auch die moderne Gesellschaft befindet sich seit geraumer Zeit in einer tiefgreifenden Krise, die die Vorstellung eines sich gleichsam automatisch vollziehenden Fortschritts hat fragwürdig werden lassen. Spätestens seit den ersten alarmierenden Berichten des Club of Rome Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts über die weltweit abnehmenden Ressourcen sind die Grenzen eines Wirtschaftssystems deutlich geworden, das einen verschwenderischen Umgang mit nicht ersetzbaren Energiequellen betreibt. In beiden Epochen verschafft das Bewusstsein einer Krise der eigenen Welt, dem keine konkreten Handlungsperspektiven entsprechen, sich Ausdruck im Habitus der Menschen.
So kann man die Formen autistischen Verhaltens, die sich heute immer häufiger beobachten lassen, wo Menschen aufeinanderstossen, die geradezu aggressive Verleugnung der physischen Gegenwart des andern, in den Bildern der Manieristen wiederfinden. (...)
04.11.2016
Bauherrenpreis 2016 für Ingrid Leodolter Haus
Wir freuen uns sehr über die Auszeichnung "Bauherrenpreis 2016" für unser Projekt Pflegewohnhaus Rudolfsheim/ Ingrid Leodolter Haus!
Ingrid-Leodolter-Haus, Pflegewohnhaus Rudolfsheim
Bauherr: GESIBA Gemeinnützige Siedlungs- u. Bau AG / KAV–Wiener Krankenanstaltenverbund
Architektur: wimmerundpartner architektur: wup ZT GmbH, Wien
Einrichtungsplanung: Lisa Zentner Architektur, Wien
Freiraumplanung: EGKK Landschaftsarchitektur, Wien
Am 4. November fand die Preisverleihung in der Anton Bruckner Privatuniversität in Linz statt.
Aus insgesamt 100 Einreichungen wurden zuvor 27 Projekte für die Shortlist ausgewählt. Daraus ermittelte die Hauptjury bestehend aus Julia Bolles-Wilson (Münster), Falk Jaeger (Berlin) und Martin Kohlbauer (Wien) sechs Preisträger_innen des ZV-Bauherrenpreises 2016.
Der Preis wird jährlich seit 1967 vergeben und honoriert Persönlichkeiten oder Personenkreise, die sich als Bauherr_in, Auftraggeber_in oder Mentor_in in besonderer Weise für die Baukultur in Österreich verdient gemacht haben. Dabei steht die architektonische Gestaltung sowie der innovatorische Charakter im Vordergrund. Die Bauten sollen einen positiven Beitrag zur Verbesserung des Lebensumfeldes leisten. Es werden beispielhafte Projekte gesucht, bei denen die intensive Zusammenarbeit zwischen Bauherr_innen und Architekt_innen zu außergewöhnlichen Lösungen geführt hat. Ausgezeichnet werden herausragende Bauten, die in den vergangen drei Jahren entstanden sind.
Siehe auch
>> Top Five, Einrichtungsplanung Pflegewohnhaus und Kindergarten | 136-11
02.11.2016
Neuer Optimismus am Atlantik
Lissabon feiert die zeichenhafte MAAT-Kunsthalle der Londonerin Amanda Levete und entdeckt dabei seine Uferzonen wieder
Text: Roman Hollenstein
(...) Schon vor sechs Jahren konnte zwischen dem neuen Jachthafen und der Torre Belém das vom Architekturbüro Risco geplante, aufgrund seiner schwebenden Form und den filigran-weissen Schiebeläden wohl schönste zeitgenössische Hotel der Stadt eröffnet werden. Ihm folgte ein nicht weniger heiteres Zeichen: das 2010 vom indischen Meisterarchitekten Charles Correa realisierte, der biomedizinischen und neurologischen Forschung verpflichtete Champalimaud Centre for the Unknown, dessen bei Modefotografen beliebte, auf den Atlantik ausgerichtete Platzanlage entfernt an Louis Kahns Salk Institute im südkalifornischen La Jolla erinnert. (...)
Dieses Ausstellungshaus wurde nun zum Museu de Arte, Arquitetura e Tecnologia (MAAT) erweitert, in welchem Teile der auf moderne portugiesische Kunst spezialisierten EDP-Sammlung gezeigt werden. Gleichzeitig erweiterte die Londonerin Amanda Levete den aus dem Jahr 1908 stammenden, denkmalgeschützten Baukomplex um einen muschelartig aus den Fluten des Tejo ragenden Neubau, der zurzeit halb Lissabon in Atem hält. Zu Tausenden pilgern die Hauptstädter zum MAAT und nehmen das neue, Kunsthalle genannte Haus stolz in Besitz. Staunend spazieren sie über die Dachwölbung des sich wie ein Aussichtshügel aufbäumenden, mit weissen Kacheln verkleideten Gebäudes, das dem Tejo sein gigantisches Haifischmaul entgegenhält. Dessen Gebiss erweist sich als das Fensterband der noch nicht zugänglichen Cafeteria. Dieser Glaswand und dem schlauchartig ins Innere führenden Gang ist es zu verdanken, dass das organische Gebäude überhaupt als Architektur erkennbar ist. Das Organische fasziniert die Architektin, die einst zusammen mit ihrem 2009 verstorbenen Partner Jan Kaplicky das Kultbüro Future Systems leitete und mit Entwürfen von phallusförmigen Hochhäusern für Aufregung sorgte, bis heute. Das beweist die MAAT-Kunsthalle ebenso wie das mit ihr verwandte Erweiterungsprojekt des Londoner Victoria & Albert Museum, das ebenfalls 2011 von Amanda Levete geplant wurde. Doch der Bau am Tejo übertrifft bei weitem das Londoner Projekt mit seiner abenteuerlichen Auskragung, die auf einer Hightech-Stahlkonstruktion in der Art einer Berg-und-Tal-Bahn basiert. Diese Bauweise ermöglichte erst den stützenlosen Zentralraum, die «Galeria oval». (...)
31.10.2016
Diese seltsame, strahlende Welt
Sie hat auch prominente politische Fans – ein Gespräch mit der amerikanischen Schriftstellerin Marilynne Robinson
Interview: Thomas David
(...)
Welches sind die «einfachen Tugenden» des kleinstädtischen Amerika, von denen Barack Obama sagte, dass er sie an Ihrem Werk besonders schätze?
Ich selbst hätte diese Formulierung nicht verwendet. Ich habe an allen möglichen Orten gelebt und wurde überall anständig und freundlich behandelt – gleich, welcher Hautfarbe die Menschen waren oder welcher Religion sie angehörten. Ich kann keinen Unterschied zwischen den Tugenden von Dorf- oder Stadtbewohnern ausmachen. Was mich jedoch sehr interessiert und sich für manchen Leser meines Werks vielleicht als «einfache amerikanische Tugend» offenbart, ist die calvinistische Vorstellung, dass jede Begegnung mit einem anderen Menschen eine Begegnung mit Gott ist. Dass jeder Begegnung die Frage innewohnt, was Gott von diesem besonderen Moment verlangt. (...)
18.10.2016
Es müsste eine Quote für Arbeiterkinder geben
interview: Simon MOSER mit Michael HARTMANN
Gibt es eine globale Elite, die im Hintergrund die Fäden zieht? Natürlich nicht, sagt der Soziologe Michael Hartmann. Konzernchefs und Reiche hätten nur so viel Macht, wie ihnen die Gesellschaft zugesteht.
Standard: In Ihrem neuen Buch entzaubern Sie den Mythos einer internationalen Elite von Superreichen und Konzernlenkern, die den Lauf der Welt bestimmen. Worauf begründen Sie das?
Hartmann: Ich habe die Bildungs- und Karrierewege von Spitzenmanagern der 1000 größten Unternehmen der Welt und der 1000 reichsten Personen der Welt
analysiert. Die Ergebnisse sind eindeutig: Der Ausländeranteil bei Vorstandschefs beträgt zehn Prozent, bei Aufsichtsratsvorsitzenden noch weniger. Und von über 1000 Milliardären wohnen gerade einmal 19 im Ausland. Es ist zum Beispiel falsch, dass russische Milliardäre alle außerhalb Russlands wohnen, in teuren Immobilien in London und der Schweiz. Von den 45 reichsten Russen wohnen zwei dauerhaft im Ausland. Gerade dort gilt: Man muss in Moskau sein und Kontakt zur politischen Führung halten, weil man sonst sein Unternehmen nicht zusammenhalten kann. (...)
Standard: Welche politischen Maßnahmen empfehlen Sie?
Hartmann: Was man machen kann, hängt natürlich von der Größe des Landes ab. Aber selbst Österreich kann mehr machen, als man gemeinhin denkt. Weil die Eliten und auch die Unternehmen im Kern national sind, kann man den Drohungen, sie würden einfach weggehen, viel gelassener gegenüberstehen. Länder wie Deutschland können es machen wie die USA. Von über 300 US-Milliardären unter den 1000 reichsten Menschen der Welt leben ganze drei im Ausland, von 67 Deutschen aber 19, davon 14 in der Schweiz. Die US-Behörden sagen, es ist uns egal wo jemand lebt. Solange er unsere Staatsbürgerschaft hat, zahlt er unsere Steuern. Und wenn er in der Schweiz weniger zahlt, zahlt er den Differenzbetrag bei uns nach. Und wenn er dann die Staatsbürgerschaft abgibt, muss er eine Exitsteuer zahlen von mehr als 20 Prozent auf sein gesamtes Vermögen. Das verringert den Reiz, ins Ausland zu ziehen, natürlich deutlich. (...)
Michael Hartmann (64) war Professor für Soziologie an der Technischen Universität Darmstadt. Zum Arbeitsschwerpunkt Elitenforschung hat er mehrere Bücher verfasst. Anlässlich des Erscheinens seines neuesten Werkes „Die globale Wirtschaftselite – eine Legende“ diskutiert Hartmann am 9. November um 19 Uhr an der Universität Salzburg (Kleine Bibliotheksaula, Hofstallgasse 4) mit Ö1-Redakteurin Renata Schmidtkunz und STANDARD - Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid.
>> Weiterlesen auf der Website "Der Standard"
14.10.2016
Der Globalisierungsjubel hat Kosten
Der Welthandel, ein Segen, der allen nützt?
Ein Satz, der sicher stimmt – aber eben nicht in jenem Maße, in dem es die globalen Eliten den Arbeitnehmern angepriesen haben.
Kommentar der anderen Daniel GROS
Auf den Jahrestagungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank in Washington wird sich die globale Finanzelite mit Sicherheit einem neuerlichen Aufruf zur Umkehrung des Rückzugs von der Globalisierung ausgesetzt sehen. Der stockende Handel, so die Prämisse, müsse ein negativer Trend sein, dem es zu begegnen gelte. Doch diese Annahme ist bestenfalls eine grobe Vereinfachung.
Das Problem besteht in einem mangelnden Verständnis der Auslöser, die die Zunahme des Welthandels während der vergangenen Jahrzehnte bedingt haben. Natürlich hat es Bemühungen gegeben, den aktuellen Abschwung zu verstehen. Der neueste „World Economic Outlook“ des IWF widmet dieser Frage ein Kapitel.
Doch bisher wurden keine wesentlichen neuen Handelsbarrieren ausgemacht. Stattdessen, so der IWF, sei der Abschwung beim Wachstum des Handels zu drei Vierteln durch eine „allgemeine Schwäche der Wirtschaftsaktivität“ bedingt, insbesondere der Investitionstätigkeit. Der Fonds macht zudem geltend, dass „das sich verlangsamende Tempo der Handelsliberalisierung und die jüngste leichte Zunahme des Protektionismus“ eine Rolle gespielt hätten, auch wenn diese nicht quantifizierbar sei.
Selbst ohne klare Erkenntnis, was die aktuellen Trends antreibt, fordert der IWF Maßnahmen, um den „Tugendkreis aus Handel und Wachstum“ neu zu beleben. Das Vertrauen in den Handel ist eindeutig sehr stark ausgeprägt. Das ist Teil des Problems. Blindes Vertrauen in die Globalisierung hat viele dazu verleitet, deren Vorteile zu übertreiben, was Erwartungen an die Handelsliberalisierung geweckt hat, die diese nicht erfüllen konnte. Deshalb fühlten sich viele Menschen getäuscht und lehnten den Freihandel ab.
Das soll nicht heißen, dass es keine empirischen Argumente für die Liberalisierung des Handels gibt. Der Abbau von Handelsbarrieren versetzt Länder in die Lage, sich auf Sektoren zu spezialisieren, in denen sie besonders produktiv sind, was zu mehr Wachstum und einem höheren Lebensstandard für alle führt. Und tatsächlich brachte der Prozess des Abbaus der nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Handelsbarrieren von den 1950er- bis in die 1980er-Jahre wichtige Vorteile.
Doch diese Vorteile versickerten. Die Wirtschaftstheorie geht davon aus, dass sich die zusätzlichen Vorteile, die der Abbau von Handelsbarrieren bringt, verringern, je stärker diese Barrieren fallen. Daher sollte es nicht überraschen, dass sich mit Anfang der 1990er, als Zolltarife und andere Handelshemmnisse ein sehr niedriges Niveau erreicht hatten, die traditionellen Vorteile der Handelsliberalisierung weitgehend erschöpft hatten. Die Beseitigung der letzten verbleibenden Handelshemmnisse hätte keine großen Auswirkungen mehr gehabt.
Was eine Auswirkung hatte, war ein zwei Jahrzehnte lang anhaltender Boom bei den Rohstoffpreisen. Hohe Preise versetzten die wichtigen Rohstoffexporteure in die Lage, mehr zu importieren und zu Hause eine wachstumssteigernde Politik umzusetzen – ein Segen für das weltweite Wachstum. Zudem trieben die steigenden Preise, weil ein großer Anteil des Welthandels auf Rohstoffe entfällt, dessen Gesamtwert in die Höhe.
Statt die Rolle der Rohstoffpreise bei der Steigerung des Handels und des Wachstums zu Beginn des Jahrhunderts anzuerkennen, führten die meisten Ökonomen und Politiker diese positiven Trends auf Maßnahmen zur Handelsliberalisierung zurück. Dabei stützten sie die Vorstellung, dass eine „Hyperglobalisierung“ der Schlüssel zu Vorteilen für alle sei. (...)
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13.10.2016
WIE HILFE UNMÖGLICH WIRD
Flüchtlingsbürokratie: Wie Hilfe unmöglich wird
Unterstützung und Integrationsleistungen, die Private in diesem Land erbringen, quasi von Amts wegen zu unterbinden ist zynisch, feig und menschenverachtend. Ein Fallbeispiel aus Wien.
Kommentar der anderen Alfred J. NOLL
E s ist ein typischer Fall, und er ist völlig unspektakulär: Vater, Sohn und Tochter, der Rest einer syrisch-christlichen Familie aus Aleppo, sind seit Ende November 2015 in der Pfarre Erlöserkirche im 23. Wiener Bezirk gut untergebracht. Eine österreichische Familie hat sie aufgenommen, sorgt für sie.
Der Vater, er besaß eine Fabrik für T-Shirts, schafft es, seine Tochter (25) und seinen Sohn (13) über die Balkanroute nach Österreich zu bringen. Die Mutter bleibt, krankheitshalber, zurück. In Griechenland werden sie registriert, Kroatien und Slowenien schieben sie weiter.
In Österreich stellen sie Asylanträge. Ehrlich geben sie bei der Befragung an, wie sie zu uns gekommen sind. Ein klarer Dublin-III-Fall – Österreich hat nur zu prüfen, ob wir sie nach Kroatien oder Slowenien „ausschaffen“ können, nach Griechenland darf nicht zurückgeschickt werden. Man erkundigt sich in Slowenien und Kroatien, Slowenien lehnt die Zuständigkeit ab, Kroatien „verschweigt“ sich, und also ist Kroatien zuständig, weil es drei Monate ab Anfrage keine Rückmeldung gegeben hat. Das behördliche Tempo nimmt zu: Bescheidmäßig wird festgestellt, dass es zu keiner Integrationsverfestigung gekommen und dass die Familie abzuschieben sei.
Dagegen wird Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht. Eine aufschiebende Wirkung hat dieses Rechtsmittel aber nur, wenn diese vom zuständigen Richter binnen acht Tagen gewährt wird. Er gewährt nicht – refugee-business as usual. (...)
Anfang Oktober steht die Polizei frühmorgens vor der Tür. (...)
Integrationsverdichtung
Hier bei uns sah die Sache anders aus: Alle drei Familienmitglieder waren eng in die Pfarrgemeinde integriert. Der Vater half beim Sortieren der Flohmarktartikel, die Tochter gab Flüchtlingskindern aus Syrien Nachhilfeunterricht – sie ist ausgebildete Englischdolmetscherin; der 13-jährige Sohn besuchte die dritte Klasse eines Gymnasiums im 23. Bezirk. Rasch entstanden Freundschaften. Die Pfarre unterstützte finanziell die Deutschkurse der Familie (als Nichtasylberechtigte hatten sie keinen Anspruch). Der Bub sprach durch seinen Besuch und die Integration in der Schule schon sehr gut Deutsch, die Tochter stand kurz vor der Ablegung der B1-Sprachprüfung. Der Bescheid sprach dennoch davon, dass es noch zu keiner „Integrationsverdichtung“ gekommen sei. (...)
Was ist das für eine Bürokratie, die den Österreicherinnen und Österreichern nicht zutraut, sich um Hilfesuchende zu kümmern? Welch unermessliche behördliche Ignoranz steckt hinter der „Ausschaffung“ von Menschen, die hier private Fürsorglichkeit, Anteilnahme und Hilfe schon gefunden haben – aber dennoch außer Landes geschafft werden? (...)
Alfred J. NOLL (Jahrgang 1960) ist Rechtsanwalt in Wien.
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08.10.2016
Jó étvágyat
08.10.2016
Perfektion ist absolut tödlich
Interview: Marion LÖHNDORF mit Edmund de WAAL
(...)
In «Die weisse Strasse» kommen Sie immer wieder auf den Begriff der Perfektion zurück.
De Waal: Eines der fabelhaften Dinge im Zusammenhang mit Porzellan ist, dass man Perfektion anstrebt, aber stets scheitert. Ich bin in Wirklichkeit nicht an Perfektion interessiert. Das ist eine Idee, die absolut tödlich ist. Ich interessiere mich für Vitalität, Wechsel und Wandlungsfähigkeit, die Beziehung zwischen einem lebenden Menschen und einem neutralen Material. Wenn die Idee der Perfektion funktioniert, treibt sie bestenfalls wissenschaftliche intellektuelle und ästhetische Fragen an. Schlimmstenfalls kann sie gefährlich sein. Sie ist nicht geradlinig, sondern ein schwieriges, gefährliches Konzept.
Was hat es mit der Farbe Weiss auf sich, die in Ihrer Arbeit als Töpfer und auch im neuen Buch eine so grosse Rolle spielt?
De Waal: Weiss ist eine Frage, ein Fragezeichen. Eine neue Möglichkeit, ein neuer Weg. Es kann auch negativ werden: verneinend, antiseptisch, es kann ein Problem werden, wie etwas, das ein Geschehen verhindert, das etwas anhalten kann, das etwas anderes übertüncht oder auslöscht – all diese Dinge. Aber für mich bedeutet es eine grosse Möglichkeit eines Beginns.
Weiss kann auch die Farbe der Trauer sein.
De Waal: Ja, denn Trauer ist eine extrem komplizierte Erfahrung. Es geht dabei um Verlust und ausschliesslich um Erinnerung. Manchmal ist Erinnerung nur schwer zugänglich. Und Bilder und Gedanken verschwinden in einem weissen Nebel.
Inzwischen machen Sie schwarze Gefässe.
De Waal: Ich benutze immer noch weisses Porzellan. Aber die Stücke werden zum Schluss schwarz glasiert. Dreierlei hat es damit auf sich. Schwarze Glasuren sind sehr giftig, bevor sie gebrannt sind. Der Prozess, toxisches Material zu benutzen, führt mich zur Alchemie. Mir gefällt, erstens, die Idee, dass dem bourgeoisen Porzellan diese Gefahr innewohnt. Zweitens erlaubt mir das Herstellen schwarzer Gefässe, mir Schatten ganz genau anzusehen. Jun'ichirō Tanizaki schrieb
darüber.
In «Lob des Schattens».
De Waal: Genau. Und drittens bezieht es sich auf Celans «schwarze Milch», das Gefühl, wenn ein Material durch Druck und Erinnerung in etwas anderes verwandelt wird. Wird es darüber ein neues Buch geben? Im Moment bin ich so glücklich, wie ich nur sein kann, und denke: keine Bücher mehr. Aber fragen Sie mich in fünf Jahren noch einmal.
Edmund de Waal: Die weisse Strasse. Auf den Spuren meiner Leidenschaft. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay-Verlag, Wien 2016. 464 S.
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05.10.2016
Wozu wissen? Lieber googeln!
Ein Mausklick genügt, und die Welt ist auf unserem Bildschirm. Doch Fakten erklären nichts. Wir müssen sie zum Reden bringen. Dazu braucht es Wissen. Und das kann man nicht auf Festplatten speichern. Von Thomas Ribi
(...)
Nur, ist das, was auf Festplatten und in Datenbanken gespeichert ist, wirklich Wissen? Die Frage stellt kaum jemand. Dabei ist sie zentral. Und die Antwort heisst: nein. Was in Computern verwahrt wird, ist nicht Wissen, sondern Information. Worte, Zahlen, Bilder. Eine unüberschaubare Flut von Daten. Damit daraus Wissen entsteht, müssen die Daten gesichtet, nach sinnvollen Kriterien geordnet, klug ausgewählt, gewichtet und interpretiert werden. So interpretiert werden, dass sie in einer sinnvollen Beziehung stehen zu den Problemen, die wir lösen wollen. Wissen ist mehr als eine Ansammlung von Daten. Und mehr als Information. Wissen heisst erkennen. Heisst, Informationen zu einer konsistenten Beschreibung der Realität verknüpfen. Dank Information finden wir uns in der Welt zurecht. Wissen hilft uns, die Welt zu verstehen.
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15.09.2016
Vernichtende Kritik an Cameron
Bericht zu Libyen-Intervention
text: Christian WEISFLOG
Zwei Monate nach dem kritischen Chilcot-Bericht über Tony Blairs Irak-Feldzug kommt nun ein parlamentarisches Komitee zum Schluss, dass David Cameron in Libyen in ähnlicher Weise versagt hat. Die Fehler hätten dazu geführt, dass Libyen heute ein gescheiterter Staat am Rande eines vollständigen Bürgerkriegs sei, heisst es im Bericht.
Der mittlerweile abgetretene Premierminister Cameron hatte die Libyen-Intervention von 2011 im vergangenen Januar mit dem Schutz der revoltierenden Bevölkerung in Benghasi verteidigt: «Ghadhafi drohte, die eigenen Bürger wie Ratten zu erschiessen.» Einer der zentralen Kritikpunkte des jüngsten Berichts ist jedoch, dass sich die Intervention nicht auf ihr ursprüngliches Ziel – den Schutz der Bevölkerung in Benghasi – beschränkte. Dieses Ziel sei innerhalb von 24 Stunden erreicht worden, sagte David Richards, der ehemalige Chef des britischen Generalstabs, aus. Danach habe die Regierung aber entschieden, weiterzugehen und Ghadhafis Diktatur zu beenden: «Eine limitierte Intervention zum Schutz von Zivilisten wandelte sich in eine opportunistische Politik des Regimewechsels mit militärischen Mitteln.» Dieser Entscheid und die darauffolgende Strategie hätten auf falschen Annahmen und einem unvollständigen Verständnis der Fakten beruht, heisst es in dem Untersuchungsbericht. Der Charakter des libyschen Aufstandes sei nicht sauber analysiert worden. Aufgrund der Erfahrungen in Afghanistan und im Irak hätte die Regierung wissen müssen, dass islamistische Gruppierungen in Libyen von der Revolution profitieren könnten. Zudem habe die Regierung die effektive Bedrohung der Zivilbevölkerung durch das Ghadhafi-Regime nicht verifiziert: «Sie hat Elemente aus Ghadhafis Rhetorik selektiv für bare Münze genommen.» Auch für die Zeit nach dem Sturz des Ghadhafi-Regimes hatte die britische Regierung gemäss dem Bericht keine wirkliche Strategie: «Wir verfügten nicht über ein wirkliches Verständnis von Libyen und einen wirklichen Plan für die Konsequenzen.» Für dieses Fehlen einer kohärenten Strategie macht der Bericht David Cameron persönlich verantwortlich.
Das britische Aussenministerium indes versuchte am Mittwoch die Verantwortung auf die internationale Staatengemeinschaft abzuschieben. «Die Intervention war eine internationale Entscheidung, gefordert von der Arabischen Liga und autorisiert durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen», sagte ein Sprecher. Er verwies zudem darauf, dass Grossbritannien dieses Jahr der libyschen Einheitsregierung mit zehn Millionen Pfund helfe, die politische und wirtschaftliche Stabilität im Land wiederherzustellen. Der Untersuchungsbericht kommt indes zum Schluss, dass London bisher nur halb so viel Geld in den Wiederaufbau gesteckt hat wie in die Militärintervention.
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10.09.2016
Rad der Zeit
03.09.2016
Bosco Verticale
interview: Michael HIERNER mit Stefano BOERI
Die etwa 780 Bäume wachsen auf dem Bosco Verticale – dem vertikalen Wald – in Mailand. Die beiden Wohnhochhäuser wurden vom italienischen Architekten Stefano Boeri geplant, der darin den Prototyp für eine biodiverse Architektur der Zukunft sieht.
Standard: Zeigt der Bosco Verticale die Zukunft der Architektur?
Boeri: Der Bosco Verticale zeigt ein mögliches Zukunftsszenario. Nicht nur der Mensch wird in den dichten Städten vertikal leben, sondern auch die Bäume. Es wird eine Symbiose zwischen uns und den Pflanzen geben. Für mich ist diese Architektur auch ein Experiment. Beim Bau mussten viele technische Probleme gelöst werden, etwa jenes, wie man Bäume mit Drähten gegen den Wind absichern kann. Die Gebäude zeigen, was technisch machbar ist und in welche Richtung es sich entwickeln könnte.
(...)
Standard: Welche Wirkung haben die Bäume auf sie?
Boeri: Wir haben eine ganz besondere Wirkung entdeckt: Menschen bekommen in Hochhäusern manchmal Höhenangst und Schwindelgefühle. Im Bosco Verticale sind diese Empfindungen aber für viele Betroffene wie weggeblasen, weil die Bäume Stabilität und Sicherheit ausstrahlen.
Standard: Ist der Bosco Verticale Ihr erstes Projekt, bei dem Sie Natur mit Architektur verbunden haben?
Boeri: Ich habe das schon bei anderen Projekten gemacht, jedoch nie in einem so großen Maßstab. Beim Bosco Verticale habe ich versucht, alles auf die Spitze zu treiben, war regelrecht besessen von der Idee, möglichst große Bäume zu verwenden. Ich glaube, dass Bäume Individuen sind und jeder eine eigene Identität hat.
Standard: Was hat Sie inspiriert?
Boeri: Mich hat ein Roman des italienischen Schriftstellers Italo Calvino sehr beeindruckt. In seinem Buch Il barone rampante (Der Baron auf den Bäumen) geht es um einen Mann, der eines Tages beschließt, den Boden zu verlassen, um auf Bäumen zu leben. Ich erinnere mich auch an Joseph Beuys, der 1982 auf der Documenta in Kassel 7000 Basaltsteine verkaufte, für die er dann jeweils eine Eiche in der Stadt anpflanzte und so den Stadtraum mit Bäumen veränderte. Die stärkste Inspiration kam aber von Friedensreich Hundertwasser, den ich 1973 bei der Triennale in Mailand sah, wo er mit einem riesigen Baum in der Hand durch die Straßen ging.
(...)
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29.08.2016
GARTENFREUDEN#5
10.07.2016
szölöskert
09.07.2016
falunap
09.07.2016
szerkezet
29.06.2016
runde Sache
23.06.2016
PACKEN
11.05.2016
GARTENFREUDEN #1
21.01.2016
Winterfeeling im Penthouse
04.12.2015
Der Gang der Koreaner
text HOO NAM SEELMANN
Den Bauch leicht nach vorne, schlurfend – ohne sich dessen bewusst zu sein, haben Völker und Kulturen eine je eigene Art zu gehen
Wie alles Menschliche ist auch das Gehen kulturell durchformt. Die Koreaner besitzen eine eigene Art zu stehen, von der aus sich auch ihr Gehstil ableitet. Es könnte sein, dass die Globalisierung dies ändert. (...)
Die Koreaner haben, ohne dass sich die meisten von ihnen dessen überhaupt bewusst sind, eine sehr eigene Art zu gehen. Natürlich nicht alle, aber doch die meisten. Ein aufmerksamer Beobachter kann das Anderssein nicht nur sehen, sondern auch hören. Denn die Schritte der Koreaner haben, vergleicht man sie mit denen der Europäer, einen anderen Klang, eine andere Rhythmik und Tonalität. Es ist kein leichter, heller Klang, sondern eher ein tiefer, bassartiger, in die Länge gezogener Laut, den man auf den Strassen Koreas vernehmen kann.
Schon beim Stehen zeigt sich bei den Koreanern eine eigentümliche Grundhaltung, die beim Gehen unverändert erhalten bleibt. Besonders deutlich ist sie bei den Männern mittleren Alters zu beobachten, da sie das kulturelle Muster voll verinnerlicht und auch einen gesicherten sozialen Status erreicht haben. Bei den Frauen ist die traditionelle Haltung heute weitgehend im Schwinden begriffen, da sie meist Schuhe mit Absätzen tragen. Diese wirken stark nivellierend auf den Gang. (...)
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04.12.2015
Gemalte Schrift zwischen Bild und Zeichen
text PHILIPP MEIER
Mangels anderer visueller Reize in dem dämmrigen, mit Strohmatten ausgelegten Hotelzimmer in Shigaraki, Präfektur Shiga, Japan, hat man sich auf das Schriftbild in der Wandnische zu konzentrieren begonnen. Breitbeinig, wie ein von Kraft strotzender Mann, steht es dort vor einem, mit einer Art Helm auf dem Kopf. Gerne hätte man gewusst, was es bedeutet – und erfuhr später, dass es das Zeichen für «Armut» sei. (...)
Wohl war mit dieser Armut die Schlichtheit des Raums gemeint, auf dessen karge Ausstattung das Schriftbild verweisen wollte. Oder auch die Selbstlosigkeit dieses Samurai-Kriegers, den man erkannt zu haben glaubte in der Kalligrafie. Jedenfalls beschlich einen, in Bann geschlagen von einer Schriftkunst, welche die eigene Schreibkultur weit übersteigt, einmal mehr ein Gefühl von Neid. (...)
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17.11.2015
Somushi Teahouse and Gallery, Katsumi YASUDA
Ein kultivierter Ort unweit des Ikenobo Headquarters, geschaffen vor 10 Jahren durch den Architekten Katsumi Yasuda, ist immer noch stimmig von Konzept und Raumlösung wie am ersten Tag. Die koreanischen Einflüsse des Bauherren sind unübersehbar und werden sowohl räumlich als auch in den angebotenen Speisen zu einer überzeugenden Fusion von Materialien und Zutaten gemischt. Sitzen an einem Tisch aus einer uralten Eichentüre mit raffiniert eingearbeiteten Holzergänzungen, die Füße auf einem gepolsterten Lederteppich in der Absenkung unter dem Tisch: so vergisst man bei feinem Curry und grünem Tee die Welt rundum vor lauter Behaglichkeit.
17.11.2015
Ryoan-ji, Kyoto
Der Hojo-Teien als der berühmteste Zen-Garten Japans im Tempelbezirk Ryoan-ji übt trotz zahlreicher Besucher seinen Zauber auf uns aus. Die herbstliche Szenerie des Gartens ist zart und berückend. Ein dreißig Jahre alter Traum hgeht in Erfüllung.
Japanische Schülerinnen interviewen uns und üben ihre beginnenden Englischkenntnisse, Roland gibt bereitwillig Auskunft.
16.11.2015
Kyoto, Bahnhof von Hiroshi HARA
Der Ende der 90er Jahre fertig gestellte Hauptbahnhof von Kyoto ist mit seinen Dimensionen und Funktionen ein Bauwerk der Superlative. Angefeindet ob seiner Größe - mit einer Fläche von 237.500 Quadratmetern, einer Länge von circa 470 Meter und bis zu fünfzehn Etagen hoch - erscheint er mir doch vor Ort sehr stimmig. Hiroshi Hara hat dieser gigantischen Bauaufgabe eine einzigartige Form gegeben: ein Spiel mit ins technoide überführten Zitaten aus der Natur (Teich, Wasserfall, Lotusfrüchte, Bambuswald und so fort) fügt sich zu einem luftdurchspülten, lichten Gebilde von großer Leichtigkeit, in dem man sich selbstverständlich bewegt, geleitet durch die Elemente der Architektur und des Lichts. Er hat eine außergewöhnliche und anspruchsvolle Aufgabe in eine überraschend selbstverständliche Form gekleidet. Befremdlich auf Fotos bleibt von diesem Gefühl vor Ort nichts übrig: es ist einfach gelungen. Erhaben ohne monumental zu sein, ein Ort wirklich geschaffen für die Bewegung von sehr vielen Menschen. Exzellent in der Detailausbildung, keine sichtbaren Alterungsspuren. Selten bin ich durch eigene Anschauung so sehr vom Gegenteil überzeugt worden wie hier. Ich habe große Achtung vor dieser Leistung.
16.11.2015
Ikenobo Autumn Tanabata Exhibition, kyoto
Ikenobo Headquaters liegen unmittelbar am Rokkakudo-Tempel.
Der Rokkaku-dō gilt als der Tempel, in dem Mönche zuerst Blumenarrangements als Tempelschmuck geschaffen haben. Daraus hat sich Ikebana entwickelt. Die Tempeltradition führt diese Kunst auf den ersten Abt Ono no Imoko zurück, der aufwendige Blumenarrangements auf seinen Missionen in China kennengelernt habe. Seine Hütte am See (池坊, Ike no bō) sei namensstiftend für die Ikenobō-Richtung des Ikebana gewesen. 1450 gründete Ikenobō Senkei im Rokkaku-dō die erste Ikebanaschule im eigentlichen Sinn.
Der letzte Tag der größten Ikebana-Ausstellung im Jahr beschert wunderbare Begegnungen: die Lebendigkeit der Pflanzen zu sehen, zu spüren in erhabenen, bescheidenen oder überschwenglichen Werken, jedes einzigartig und von endlicher Dauer.
16.11.2015
Das Schattenhaus, Kyoto
16.11.2015
Der Garten, Kyoto
15.11.2015
Kyu Hyuga Bettei (1936) - Atami Hyuga Villa designed by Bruno Taut
Die Kyu-Hyuga-Villa thront auf einem Berghang über der Sagamibucht in der Stadt Atami. Der Anbau der Villa, welcher unter dem begrünten Gartenhof liegt, wurde von Bruno Taut errichtet. Man spürt die Hingabe Taut‘s an die japanische Kultur und Tradition. Und vermeint das flair einer kultivierten 30er Jahre Gesellschaft zu spüren, die in dem privaten Tanzsaal mit versteckter Bar und zierlichen Sitzmöbeln der Musik gelauscht haben mag.
Es ist das einzige noch existierende Gebäude Bruno Tauts in Japan.
>> Kyu Hyuga Bettei (1936) - Atami Hyuga Villa designed by Bruno Taut
15.11.2015
Atami Kai-hourou-Villa designed by Kengo KUMA
Ursprünglich als Wochenendvilla für den Sohn einer Industriellenfamilie konzipiert, dient sie nun als Luxushotel mit Onsen. Die Materialien atmen den Geist der 90er Jahre und spiegeln die Vorlieben des Bauherren. Großzügig die Raumkonzeption, weitläufig. Jedes Deatil stimmt. Es stellt sich aber kein Behagen ein, alles ist kühl und distanziert. Man staunt! Keine Leichtigkeit, keine Noblesse.
Welch ein Kontast zur unmittelbar darunter gelegenen Kyu Hyuga Bettei mit dem Annex von Bruno Taut!
15.11.2015
Atami and Hikone Impressions
In den 50ger und 60ger Jahren eine angesagte Region, die man zu Flitterwochen und anderen besonderen Anlässen aufsuchte, ist Atami nun eine Stadt, welche ihre besten Zeiten schon lange hinter sich hat. Von hier aus erreicht man mit einem Regionalzug Hakone, ein Tal mit heißen Quellen und Ryokans.
15.11.2015
Hakone Shiunso Ryokan
Ein Ryokan am steilen Berghang, unmittelbar über dem tosenden Bach gelegen, empfängt uns mit malerisch verfärbten Laubwald, heißem Wasser und 10gängigem Menü. Traditionell bleibt man für eine Nacht und besucht das heiße Bad unter freiem Himmel vor und nach dem Essen. Wir sind zu dritt, zwei Japanerinnen und ich. Welch wunderbar weiche Haut nach dem Bad! Das Frühstück ist ebenfalls japanisch, 6-gängig, wird wie das Abendessen im Zimmer eingenommen und nährt einen Ochsen. Ich möchte gerne mit der Tradition brechen und mehrere Tage bleiben.
13.11.2015
Hiroshi Hara ateliers
Wir besuchen Hiroshi Hara in seinem Atelier in Shibuya, 10-3 Hachiyama-cho. Und diskutieren über das Projekt in Raiding, das "Hara Haus". Eines von mehreren experimentellen Bauten, die als bewohnbare Kunstwerke in Raiding, Burgenland geplant sind. Wir sind als Kontaktarchitekten mit Einreichplanung und Umsetzung vor Ort betraut. Nächstes Jahr soll es soweit sein: die Projektumsetzung wird beginnen. Davor gilt es, die Details der Umsetzung abzustimmen.
Im "Landgasthaus" Isshin bei 10-gängigem Menue wird später angeregt über Musik, Architektur und das Leben im Speziellen diskutiert.
13.11.2015
Tokyo Asakusa Senso-ji Temple
Am Ende der Meji-Linie an der Asakusa-Station liegt das Tempel-Areal Sensoji. Ein richtiger Rummelplatz, Jung und Alt. Schulklassen werden von "Tempel-Lehrerinnen" begleitet und belehrt. Die Gärtner rechen das herabfallende Laub, beschneiden penibel die Bäume. Es blühen die Camelien und Cosmea stehen noch in voller Blüte!
12.11.2015
SUNNY HILLS Kengo KUMA, Tokyo
Unweit der Omotesando, in einer Seitengasse Minami-Aoyama, ein kleines Gebäude mit hoher Präsenz: 2013 von Architekt Kengo KUMA für den taiwanesischen Hersteller Sunny Hills als Flagshipstore errichtet. Außen wie innen überraschend, perfekt bis ins letzte Detail. Fehlerlose Ausführungsqualität.
Ein sehr kleines Gebäude mit einem in sich ruhenden Verkostungsraum. Es wird wunderbarer grüner Tee serviert und dazu die von Sunny Hills erzeugten Pineapples Cakes gereicht. Die Taschen werden in eigenen Klappständern unter dem Tisch abgelegt und so entgeht man elegant dem in Japan verpönten Abstellen von Gegenständen auf dem Boden.
24.10.2015
Ausstellung VERSTECKT/hidden
Lisa Zentner Architektur, Hagenberg Studio, Gemeinde Raiding
Pressetext:
Der burgenländische Bauernhof in der Neugasse 39 in Raiding, Geburtsort von Franz Liszt, ist 90 Jahre alt, seine Mauern aus Ziegel, Kalkstein und Lehm. Links reihen sich Wohnung, Wirtschaftskammer, Weinkeller, Stall und Scheune. Rechts, in der „Sommerkuchl“, verbrachte die Familie die heissen Monate. Im Innenhof stehen Brunnen, Trockentoilette und ein verfallener Schweinestall aus Holz. Während der russischen Besatzungszeit (1945–1955) versteckten sich darin Frauen. Der Apfelbaum im Garten nebenan ist verkrümmt. Wie sich Herr Maimer, der Nachbar, erinnert, hat ihn ein russischer T-34 Panzer am letzten Kriegstag angefahren.
Seit Jahren steht der Bauernhof leer. Wir haben ihn gereinigt und den Müll entfernt. Gegenstände, die vom kargen Leben im Haus erzählen, sind geblieben: Ein vergilbtes Foto der Urgrosseltern zum Beispiel, ein Waschbrett, ein Schlachtmesser, Zeitungen aus den 60er Jahren, eine Plastikmadonna mit Weihwasser, ein angekratztes Hausnummernschild (als die Neugasse noch Dollfuss-Strasse hiess). In der Rohstruktur des Bauernhofs zeigen wir Arbeiten von 37 Künstlern aus aller Welt. Dabei verweist der Titel „Versteckt“ auf die unkonventionelle Platzierung der Kunstwerke im Gehöft, auf die Thematik der Arbeiten als auch auf jene Rauminstallationen, die eigens für dieses Umfeld geschaffen wurden.
Oder wie der New Yorker Kunstkritiker Edward M. Gomez im Ausstellungskatalog schreibt: „Sowohl buchstäblich als auch bildlich lenken die ausgestellten Arbeiten die Aufmerksamkeit auf die Vorstellung des Versteckens, Verdeckens oder Verschleierns. Einige Objekte wollen, dass wir nachdenken, wie wir Schweigen einsetzen können, um Gedanken und Emotionen zu verbergen, oder Verkleidungen, um unsere Identitäten zu verstecken, oder bestimmte Orte, um unser physisches Selbst zu verbergen. Andere der Exponate wiederum erinnern unser Bewusstsein daran, dass etwas in der Umgebung versteckt wurde, darauf wartet, entdeckt zu werden – oder dass es damit zufrieden ist, versteckt zu bleiben.“
Raiding hat 840 Einwohner und liegt eine Autostunde südlich von Wien unweit vom ehemaligen Eisernen Vorhang an der ungarischen Grenze. (Wenn dort in den letzten Monaten tausende Flüchtlinge versucht haben, versteckt oder sichtbar den Westen zu erreichen, entsteht damit – gewollt und ungewollt, ebenfalls ein Ausstellungsbezug.)
Das Franz Liszt Konzerthaus neben dem Geburtshaus von Franz Liszt eröffnete 2006. Zwischen den Gehöften der Weinbauern entstanden zudem in den letzten drei Jahren im Rahmen des „Raiding Projects“ die ersten experimentellen Bauten japanischer Stararchitekten: Das Storchenhaus von Terunobu Fujimori (ausgezeichnet mit dem Innovationspreis Tourismus Österreich) und der skulpturale Unterstand „Drei Wanderer“ von Hiroshi Hara. Dieser befindet sich gleich neben dem NG39 Art Space. Das sogenannte Hara Haus soll demnächst errichtet werden. Die erste von mehreren geplanten Freilandskulpturen wurde letztes Jahr aufgestellt und heisst „Birdman“. Gestaltet hat sie der Schweizer Künstler Karl A. Meyer.
Die Künstler:
Ai Wei Wei, China
Nobuyoshi Araki, Japan
Donald Baechler, USA
Ulrich Beckefeld, Germany
Stephanie Brody-Lederman
Konstantin Bessmertny, Russia
S. Teddy Darmawan, Indonesia
Nora Diehl, Austria
Michele Doner, USA
Terunobu Fujimori, Japan
Uli Gassmann, Germany
Gilbert & George, UK
Roland Hagenberg, Austria
Hiroshi Hara, Japan
Sumet Jumsai, Thailand
Joseph Koo, Austria
Philipp Kreidl, Austria
Kengo Kuma, Japan
Eduard Kutrowatz, Austria
Michael Landauer, Austria
Nikolai Makarov, Russia
Sheila Metzner, USA
Karl Meyer, Switzerland
Marti Moreno, Spain
Mari Nishida, Japan
Erwin Rittenschober, Austria
Alexander Rutsch, Austria
Sin Sin Man, Hong Kong
Tomas Soucek, Czech Republic
Angelica Steudel, Germany
Eva Teppe, Germany
Yoshiki Toda, Japan
Hiromi Utsui, Japan
Bob Yuditha Agung, Indonesia
Lisa Zentner/ Wolfgang Kathan, Austria
Bernd Zimmer, Germany
17.10.2015
MISSING link
Leitertreppe/ ladder stairs
Art Space NG 39 - Austria, Raiding, Neugasse 39
design: Lisa Zentner, Oktober 2016
Industriestahl, gewachst/ industrial steel, waxed
DOKA-Dreischicht-Schalungsplatten, unbehandelt / formwork panel, untreated
Umsetzung / realization: Wolfgang Kathan, Transformer Metallbau
Für das "fehlende Teil" muss eine schnelle, günstige Lösung gefunden werden: der Dachboden des alten farmhouse wird für die Eröffnungsausstellung in den Ausstellungsraum mit einbezogen, es braucht eine Treppe. Es gibt wenig Zeit und kein Geld. Die Lösung: Fertigung mit Materialien, die in einer Schlosserwerkstatt schnell verfügbar und billig sind.
Die räumliche Konzeption: skulptural, trotz Leichtigkeit Sicherheit vermittelnd und gerade so steil, dass man sie noch bequem begehen kann. Denn: der Raum, von dem aus der Dachboden durch die Treppe erreicht wird, dient als Vortragssaal und so soll sie wenig Platz einnehmen.
Die Lösung ist eine sich selbst tragende, vom Austrittspodest auskragende Leitertreppe mit 55° Steigung. Das Austrittspodest als "Kanzel" mit geschlossenen Wänden vermittelt Sicherheit in luftiger Höhe. Reling und Handlauf als minimaler Schutz schränken den Blick vom Vortragsraum in den Ausstellungs-Dachraum nicht ein.
30.08.2015
Luca ZANIER „Räume der Macht“
Corridors of Power
Luca Zanier (1966, Zürich) ist seit 1993 als freischaffender Fotograf tätig. Er hat zahlreiche Preise im In- und Ausland gewonnen. Luca Zanier ist regelmässig an internationalen Ausstellungen präsent. Die Serie «Corridors of Power» zeigt Machtzentren in der ganzen Welt wie zum Beispiel den Hauptsitz der UNO in New York oder den Exekutivrat des Internationalen Fussballverbands FIFA – Symbole eines global vernetzten Systems von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.
http://www.rsi.ch/la1/programmi/cultura/cult-tv/tutti-i-servizi/Luoghi-di-potere-4549594.html
Robert F. Kennedy Foundation und IG Halle Rapperswil präsentieren: 30. August – 8. November 2015
SPEAK TRUTH TO POWER
Eine Fotografie-Ausstellung zum Thema Macht und Menschenrechte
Eddie Adams «Speak Truth To Power – Human Rights Defenders
Who Are Changing Our World»
Luca Zanier «Corridors of Power»
Paolo Pellegrin «As I Was Dying»
Sammlung Lisa Zentner:
Confédération générale du travail CGT (Allgemeiner Gewerkschaftsbund), Architekt: Oscar Niemeyer (2011) Paris
6/7 80 x 120 cm
Siège du Parti Communiste Français, Architekt: Oscar Niemeyer (2010) Paris
5/7 80 x 120 cm
23.07.2015
Duft der Zeit
text BYUNG-CHUL HAN
(24,25) (…)
Sowohl die mythische als auch die geschichtliche Zeit besitzen eine narrative Spannung. Eine besondere Verkettung von Ereignissen gestaltet die Zeit. Die Erzählung lässt die Zeit duften. Die Punkt-Zeit ist dagegen eine Zeit ohne Duft. Die Zeit beginnt zu duften, wenn sie eine Dauer gewinnt, wenn sie eine narrative Spannung oder eine Tiefenspannung enthält, wenn sie an Tiefe und Weite, ja an Raum gewinnt. Die Zeit verliert ihren Duft, wenn sie jeder Sinn- und Tiefenstruktur entkleidet wird, wenn sie atomisiert wird oder sich verflacht, verdünnt oder verkürzt. Gerät sie ganz aus der sie haltenden, ja verhaltenden Verankerung, so wird sie haltlos. Gleichsam aus der Halterung gelöst, stürzt sie fort. Die Beschleunigung, von der heutzutage viel die Rede ist, ist kein Primärprozeß, der nachträglich zu unterschiedlichen Veränderungen der Lebenswelt führte, sondern eine Symptom, ein Sekundärprozess, nämlich eine Folge der haltlos gewordenen, atomisierten Zeit, einer Zeit ohne jede verhaltene Gravitation. Die Zeit stürzt fort, ja überstürzt sich, um einen wesentlichen Mangel an Sein auszugleichen, was ihr jedoch nicht gelingt, denn die Beschleunigung allein erzeugt keinen Halt. Sie läßt vielmehr den vorhandenen Mangel an Sein nur noch penetranter erscheinen.
(…)
>> „Duft der Zeit“, ein philosophischer Essay zur Kunst des Verweilens, Byung-Chul Han, 2009 transcript Verlag, Bielefeld
30.06.2015
Der Geträumte Duft
text JEAN-CLAUDE ELLENA
(109) Widerstand
Es ist nicht der Markt, der den olfaktiven Ausdruck nivelliert, sondern das, was wir ihm bieten. Als ich das begriffen habe, bin ich nach und nach in Widerstand getreten. Ich kämpfe gegen eine „vereinheitlichte“ Parfümerie, die gefällig sein will, auf Leistung setzt und sich selbst normiert, kann sich nicht regenerieren und erneuern.
Kein Manifest, keine wortgewaltige Statements; ich suche für das Parfum eine gelassene Präsenz. Für mich muss ein Parfum in die Nase flüstern, sich an das Intimste richten, sich mit dem Denken verbinden. Um es zu finden, ignoriere ich die Regeln des Marktes, umgehe das Dogma Feminin versus Maskulin. Ich habe nichts für die Bezeichnung „Unisex“ oder „gemischte“ Parfums übrig, die Anwendung definiert kein Genre. Ich biete Parfums an, die zu teilen sind, Parfum-Romane, Parfum-Novellen, Parfum-Gedichte.
(113,114) Stil
Da ich mich bemüht habe, den Stil meiner Kompositionen zu definieren, meine Art, ein Parfum zu schreiben, weiß ich, dass in einer allzu großen Treue mir selbst gegenüber eine Gefahr liegen kann. Die Wiederholung kann zur Stagnation, zu Stillstand, ja zur Karikatur führen. Wenn ich mich in einen bestimmten Ausdruck einschließe, setze ich mich dem Risiko aus, dass man nichts mehr von mir erwartet. Und wenn ich umgekehrt zu sehr auf die anderen höre, mich dem Einfluss der Tendenzen unterwerfe, fange ich an, mit dem „Zeitgeist“ zu schwimmen und meine Besonderheit zu verlieren. Es ist mir schon passiert, dass ich alles verkompliziert habe, wirre Formeln aufgestellt habe, um am Ende alles wegzuwerfen, zu vergessen und von vorne anzufangen, um mich wiederzufinden. Stets das Gleichgewicht eines Seiltänzers suchend, muss ich den anderen zuhören können, ohne blind auf sie zu hören. Wenn ich auch ein klares Bewusstsein habe von dem, was ich mache, so hege und pflege ich doch den Zweifel: Etwas Besseres, um Kreativ zu sein, kenne ich nicht.
„Der geträumte Duft, Aus dem Leben eines Parfumeurs“, Jean-Claude Ellena, aus dem Französischen von Lis Künzli, Insel-Verlag 2012
24.06.2015
Inside Syriza
text ROBERT MISIK
(...)
„Sag, wollt ihr hier eigentlich den Sozialismus aufbauen?“, frage ich Haris irgendwann. „Ja“, sagt sie, schnell und entschieden, als wäre es völlig absurd, so etwas überhaupt zu bezweifeln. Auch Dimitris Tzanakopoulos, dem Kabinettschef, hatte ich diese Frage schon gestellt. Der antwortet etwas diplomatischer, dies „sei eine heikle Frage“, es gehe auch überhaupt nicht um Begriffe wie „Sozialismus“ oder „Sonstwas-ismus“. „Zunächst wollen wir die neoliberale, konservative Hegemonie in Europa brechen.“ Und dann sagt er lächelnd einen Satz, der lange in meinen Ohren klingen wird: „Die einzige Grenze ist der Himmel – the only limit is the sky!“
Es sind diese Momente, in denen ich mich bei dem Gedanken ertappe: „Sind die verrückt geworden?“ Leben in dem Land, das von einer Krise verheert ist, in dem Not und Elend endemisch geworden sind, stehen an der Schwelle zum Staatsbankrott, im Merkel-und-Schäuble-Europa – und glauben, der Sozialismus winkt um die nächste Ecke? Aber sofort schiebt sich in meinem Kopf eine andere Frage vor diese Frage: Was, wenn in Wirklichkeit wir verrückt geworden sind?
Wir, also die, die schon froh sind, das Schlimmste zu verhindern, wir, die wir Panik vor der kleinsten Veränderung haben, ja vor der kleinsten verwegenen Idee. Plötzlich bin ich mir nicht mehr so sicher, wer spinnt: Die? Oder vielleicht wir?
(...)
23.06.2015
Natural Resistance
interview CLAUS PHILIPP regisseur JOMATHAN NOSSITER
Heiter gegen die Unvernunft
(...)
NOSSITER: Egal ob im Kino, im Journalismus, oder woanders: Sich seine Unabhängigkeit zu bewahren ist immer schwieriger geworden und gemeinsam mit anderen Regisseuren arbeiten wir jetzt an einem Projekt, das wir offiziell im Laufe des Jahres vorstellen werden und das inspiriert ist durch das, was die Bioweinbauern gemeinsam in den letzten Jahren zustande gebracht haben.
Was haben diese Weinbauern bei Ihnen inspiriert?
NOSSITER: Die sogenannte Krise in Europa und Nordamerika ist lediglich ein Euphemismus, verbreitet von jenen, die in den letzten Jahren nichts verloren haben. Sie dient einzig und alleine dazu, den Schock abzumildern, den wir dieser neuen ökonomischen und sozialen Ordnung verdanken. Unter den Opfern befinden sich auch die authentischen, freien, traditionellen Handwerke, die immer mehr zerstört werden. Wie durch ein Wunder haben sich diese Weinbauern gefunden – Reiche und Arme, Rechte und Linke, Bürgerliche und Anarchisten – die zusammenhalten und damit überraschenderweise Erfolg haben. Ich habe mich viele Jahre gefragt, ob meine Kollegen aus der Filmwelt diesem Beispiel nicht hätten folgen sollen. In den letzten 10-15 Jahren haben diese Biobauern laufend die chemische Manipulation des konventionellen Weins aufgezeigt. Und tausende von neuen und alteingesessenen Bauern widmen ihr Leben der Herstellung von Wein und einer Landwirtschaft, die großen Respekt für die Geschichte und die Gesundheit des Ortes, in dem sie leben und arbeiten vermittelt. Sie missachten diesen bürokratischen, zynischen Kompromiss eines Zertifikats als „Biologischer Wein“, da die Regeln dafür sowohl in der EU als auch in den USA von der Pharmazie und Chemieindustrie diktiert werden. Diese Bioweinbauern hingegen kultivieren eine Methode, die schon 8000 Jahre lang wunderbar funktioniert hat. (…) Für mich ist Natural Resistance eine Liebes-erklärung an die Macht des Kinos und der Landwirtschaft als Akt des fröhlichen Widerstands.
(...)
15.06.2015
Mies van der Rohe Preis 2015
interview BRIGITTE KRAMER foto SIMON MENGES
Die Architekten Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga sind Träger des europäischen Mies-van-der-Rohe-Preises 2015. Ausgezeichnet wurde ihre Philharmonie im polnischen Stettin. In der Schweiz arbeiten sie derzeit an drei Projekten in Chur, Lausanne und Zürich.
(...)
Veiga: (...)Sagen wir es ganz ehrlich: Die Bauzeit war für uns eine sehr harte Geduldsprobe. An einem anderen Punkt unserer Karriere hätten wir das Ganze wohl abgebrochen.
Wieso haben Sie durchgehalten?
Veiga: Als uns klarwurde, worauf wir uns da eingelassen hatten, motivierten wir uns gegenseitig mit dem Satz: «Wie oft in unseren Leben werden wir noch eine Philharmonie bauen können?»
Wie konnten Sie die Unterschiede überwinden?
Barozzi: Wir nähern uns immer auf dieselbe Weise einem Ort: Erst wollen wir ihn verstehen, dann ein Gefühl für ihn entwickeln und schliesslich all das in unsere Arbeitsweise übersetzen. Wir suchen immer das Spezifische. Stettin forderte von uns Kraft und Ausdruck, dort fehlte alles. (...)
Wie ist es für Sie, in der Schweiz zu bauen, auch im Vergleich mit Polen?
Veiga: (...) Generell kann man aber sagen, wenn man das Bauen in der Schweiz mit jenem in Polen vergleicht, dann ist es in Polen wie Segeln auf offener See ohne Kompass. Man weiss nie, ob man im Hafen ankommt. Bauen in der Schweiz hingegen ist wie Segeln mit GPS. Generell weist man in der Schweiz der Architektur grosse Bedeutung zu. Die Diskussionen sind wichtig, die Beteiligten kompetent und die Bauten makellos. Alles funktioniert auf sehr hohem Niveau.
Fühlen Sie sich in der Schweiz unter Druck?
Veiga: Nicht mehr als anderswo, generell haben spanische Architekten im Ausland einen guten Ruf. Wenn man in der Schweiz etwas verbessern sollte, dann vielleicht die exzessive Standardisierung der Prozesse. Etwas, wofür es kein Protokoll gibt, ist nicht möglich. Manchmal scheint es, Bauen in der Schweiz sei nur noch das Zusammenfügen vorgegebener Elemente. Der Weg ist klar und deutlich, aber davon abkommen darf man nicht. Massgeschneiderte Bauwerke, wie man sie in Portugal oder Spanien noch bauen kann, sind fast unmöglich. Die Stettiner Philharmonie hätten wir in der Schweiz so nicht bauen können. Dazu kommt die Vernachlässigung des öffentlichen Raums. Schweizer Städte sind voll grossartiger Gebäude, die isoliert nebeneinander dastehen. Das wollen wir bei unseren drei Projekten vermeiden.
(...)
17.05.2015
Museum of Contemporary Art SKOPJE
Permanent Exhibition: Solidarity - An Incompleted Project?
22.02.2014 - 22.02.2016
„Skopje is not a film, not a thriller where we guess the chief event. It is a concentration of man’s struggle for freedom, with a result which inspires further struggles and no acceptance of defeat.“
Jean-Paul Sartre, 1963
When Skopje was destroyed by a strong earthquake fifty years ago, the tragedy that struck the city was not only the day’s top headline (to be substituted the following day by a newer, even more traumatic top story) but an event that mobilized an enormous wave of sympathy and solidarity. This potential carried within itself a utopian aspect: the aspiration was not only for Skopje to be rebuilt but for it to become a modern city. The plan of the Japanese architect Kenzo Tange for a new Skopje was conceived as the start of a new future, while the creation of the Museum of Contemporary Art was a type of symbolic passage into the future intended to serve as a promise, as an expectation of a projected, utopian fervour.
The exhibition Solidarity – an incomplete project? is conceived as a symbolic repetition of the act of the Museum’s creation through a re-enactment of that act of giving, as well as the purchasing policies of the museum’s team of experts. This re-enactment in a way reconstructs the formation of the Museum’s collection from the period of its establishment in 1964 to the present. However, repeating the creation of the Museum does not denote a return to nostalgia for the past but stands as an attempt to emphasize the importance of this event not just in the context of the past but, more importantly, in the context of the present. Here the reference to the past is not а historical overview made for the sake of history itself; rather it addresses the importance of past events for our present and future. It also highlights the importance of asking ourselves if it is still possible to believe that somewhere within us lies a utopian spark worth preserving: a spark necessary not only for great changes but sometimes needed in order to persevere and to continue to defend the abandoned or forgotten idea of solidarity.
16.05.2015
SKOPJE 2014
...
Das seit Jahren umstrittene Projekt "Skopje 2014", das viele anfangs für einen Witz hielten, hat sich als ein Grundstein der nationalen Politik von Premier Nikola Gruevski herausgestellt. Die Mazedonier hat es in verbissene Gegner des "sauteuren nationalistischen Größenwahns" und Befürworter der "Politik des nationalen Stolzes" gespalten. Während dieses "Disneyland" gebaut werde, stehe im Rest des verarmten Landes mit einer Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent alles still ...
15.05.2015
TETOVO impressions
Des östereichische Schriftsteller Ilir FERRA liest aus seinem neuen Roman "Minus" im Hamam in Tetovo.
06.05.2015
Erst Maribor – dann Athen
text MARTIN WOKER foto
Marx und Varoufakis
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Er weiss um die Wirkung seines Auftretens – und er weiss um die Wirkung seiner Worte. Luka Mesec ist Sloweniens politischer Jungstar. Seine Partei Vereinigte Linke stellt seit den Wahlen im letzten Sommer mit sechs Abgeordneten die viertstärkste Kraft im Parlament in Ljubljana dar und verdrängte gar die Sozialdemokraten. Im Rampenlicht stehen Mesec und seine Genossinnen und Genossen wegen ihrer Nähe zur griechischen Syriza-Partei. Alexis Tsipras war beim letzten Kongress der Vereinigten Linken zugegen, und Luka Mesec feierte in Athen Syrizas Wahlsieg im Kreise Gleichgesinnter. Enge Kontakte bestehen auch zur spanischen Bewegung Podemos, der bei den Wahlen in diesem Jahr ein gutes Abschneiden prognostiziert wird. Ist Europa im Begriff, von einer neuen, undogmatischen und wenig strukturierten Linken vereinnahmt zu werden? Luka Mesec sieht es so: «Athen ist das neue Maribor.» ...
29.04.2015
EUR - Esposizione Universale Roma
text ROMAN HOLLENSTEIN foto ANDREA JEMOLO
Sie fand nie statt: die von Mussolini für das Jahr 1942 geplante Weltausstellung E'42 in Rom. Doch ihre Monumentalbauten bildeten nach dem Zweiten Weltkrieg den Kern der zukunftsweisenden Neustadt EUR. Dieser widmet nun das Ara-Pacis-Museum in Rom eine sehenswerte Schau
Die durch Säulenhallen, Alleen, Gärten und einen künstlichen See belebte Expo-Stadt hätte den grandiosen Höhepunkt jener baukünstlerischen Repräsentation markieren sollen, an deren Bedeutung das faschistische Italien wie kein anderes totalitäres Land Europas glaubte. Deshalb konnte Mussolini auf das Engagement hochmotivierter Architekten nicht nur konservativer, sondern auch modern-rationalistischer Ausrichtung zählen. Wurden die städtebaulichen Interventionen in Bozen oder Brescia und die problematische Neugestaltung des Borgo oder der Kaiserforen in Rom mit herrisch oder martial anmutenden baulichen Akzenten durchsetzt, so dominierte in den Feriendörfern am Meer oder in den Neustädten der Pontinischen Sümpfe eine moderate Moderne, die selten nur durch ein brachial-klassizistisches Vokabular gestört wurde. Formal ähnlich ausgewogen plante man das E'42-Gelände, das nach der Weltausstellung ausgebaut werden sollte. Denn hier wünschte Mussolini sich ein neues Rom, das als «visione classica ma moderna, modernissima» die faschistische Ideologie in Stein verewigen und zugleich die Stadt zum Meer hin öffnen sollte. (...)
Bis heute spielt EUR in der römischen Selbstwahrnehmung eine wichtige Rolle, nicht nur wegen des Skandals um Fuksas' neuen Kongresspalast, sondern ebenso weil hier die Ewige Stadt mit den beiden jüngst errichteten, 120 Meter hohen Torri Eurosky und Europarco erneut zu glitzern sucht. Gleichwohl haben sich in den vergangenen Jahrzehnten die Mythen wie ein Schleier über die Planstadt gelegt. Diesen versucht nun eine grosse, materialreiche und von einem informativen Katalog begleitete Schau in Richard Meiers Ara-Pacis-Museum zu lüften, indem sie die EUR-Entwicklung von den faschistischen Visionen bis zum Bauboom der Wirtschaftswunderzeit minuziös nachzeichnet, ohne aber im neusten Baufilz zu stochern. (...)
17.04.2015
Architektur der sieben Sinne, Juhani Pallasmaa
text URSULA SEIBOLD-BULTMANN foto HELENE BINET
Unlängst wurde der finnische Architekt Juhani Pallasmaa in Karlsruhe für sein theoretisches Werk mit dem Schelling-Architekturpreis ausgezeichnet. Von einem phänomenologischen Ansatz ausgehend, fordert der Preisträger eine zu allen Sinnen sprechende Baukunst.
Theorieversessen ist Juhani Pallasmaa als Architekturtheoretiker keineswegs. Für ihn soll die Architektur nicht intellektuellen Vorgaben folgen, sondern den ganzen Menschen in existenzieller Weise berühren und das menschliche Dasein mit ihren Metaphern unterbauen.
...
In den 1960er Jahren der finnischen Sektion der Congrès Internationaux d'Architecture Moderne (CIAM) und dem amerikanischen Erfinder Buckminster Fuller verbunden, hing er damals dem Fortschrittsglauben der Moderne durchaus an. Aber dann erreichte ihn der Ruf auf eine Professur in Addis Abeba, und die Erfahrungen in Äthiopien erschütterten seinen Glauben an rationalistische und universalistische Utopien und an einen zwangsläufigen Nutzen neuer Technologien.
Seither macht sich Pallasmaa für eine Architektur stark, welche die Vorstellungskraft und die empathischen Fähigkeiten ihrer Nutzer nähren soll. Da die Architektur uns Orientierung im Raum biete sowie das Erleben von Zeit strukturiere und damit unser Verhältnis zu Welt, Leben und Tod wesentlich forme, komme ihr – so sein Standpunkt – ein moralischer Imperativ zu. Zugleich versteht er das Erkennen und Erleben von Schönheit und damit ästhetische Erfahrungen als Basis für ethische Werte; an dieser Stelle bezieht er sich auf den russisch-amerikanischen Dichter Joseph Brodsky.
>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“
08.04.2015
KAMEL DAUD - Religion und Kultur
interview JAN MAROT autor KAMEL DAOUD
Mit Waffen könne man gegen den radikalen Islamismus nichts ausrichten, sagt der algerische Autor Kamel Daoud. Er selbst wird durch eine Fatwa bedroht. Sein letztes Buch wurde für den Prix Goncourt nominiert.
(...)
STANDARD: Sind Sie Atheist, Agnostiker oder gar gläubig?
Daoud: Ich bin gläubig, aber nicht im Sinne von Riten. Ich glaube nicht an Religionen, für mich sind sie Dogmen und Ideologien. Die Frage, ob man glaubt oder nicht, ist sehr persönlich. Ich für mich lehne die Religion ab. Denn leider hat uns Religion nicht den Frieden gebracht, sondern sehr viel Gewalt, eine enorme gesellschaftliche Spaltung und viele, viele Lügen. All das lehne ich ab. In einem meiner Bücher habe ich geschrieben: Zu Gott gehe ich selbst und zu Fuß. Ich brauche niemanden, der mir die Reise zu ihm organisiert.
STANDARD: Welche Erinnerungen haben Sie an das sogenannte Schwarze Jahrzehnt in Algerien, den Bürgerkrieg? Gibt es Parallelen zur Gegenwart und zum Krieg gegen den „Islamischen Staat“?
Antwort: Ich glaube, die Islamisten und die Jihadisten kommen aus demselben Milieu, und sie haben dieselben Ziele, die sie mit denselben Methoden verfolgen. Für uns in Algerien ist das, was jetzt aktuell in der Welt passiert, eine Erinnerung. Das ist uns bereits passiert. In den 1990er-Jahren haben wir denselben Horror erlebt. Es gab Leute, die Kinder ermordet haben. Es gab Leute, die Journalisten und Karikaturisten getötet haben. Wir haben diesen Terror in Algerien bereits durchlebt. Wir haben die Angst erlebt, und es ist nicht lange her.
STANDARD: Gibt es eine „Waffe“, mit der man dem Islamischen Staat entgegentreten kann? Und was richten die Sprache, die Literatur aus?
Daoud: Ich glaube, es ist die Kultur ganz generell. Es gibt auch gar keinen anderen Weg. Man wird nicht als Islamist geboren, man wird zum Islamisten gemacht. Eben weil man einzelne Bücher gelesen hat, weil man Personen zugehört hat. Weil man bestimmte Dinge gesehen hat und selbst keine andere Lösung findet. Wissen Sie, in Algerien oder Marokko kostet einer meiner Romane 17 Euro, was, gemessen an der Kaufkraft, mehr als 150 Euro für die Käufer bedeutet, ein Vermögen. Während die Bücher der Islamisten gratis verteilt werden. Dabei darf man auch nicht vergessen, dass es eben Saudi-Arabien ist, das viele dieser Bücher finanziert. Zudem gibt es abertausende hochreligiöse junge Muslime, die, ebenso von Saudi-Arabien finanziert, in Nordafrika und der arabischen Welt predigen. Sie sind sehr zahlreich und haben immer mehr Einfluss auf die Jugend, auf die Frauen, die Gesellschaft. Ich bin mir sicher, dass man nicht mit Waffen gegen diese Strömung gewinnen kann, sondern einzig und allein mit Kultur. (...)
Kamel Daoud (44), 1970 in Mostaganem geboren, ist Romanautor und gilt als einer der brillantesten Intellektuellen Algeriens und des Maghreb. Im Dezember 2014 wurde gegen den Autor und Kolumnisten der Tageszeitung „Quotidien d’Oran“ eine Fatwa, ein islamisches Todesurteil, seitens eines radikalen Klerikers ausgesprochen – nicht einzig wegen seines für den diesjährigen Prix Goncourt nominierten Romans „Meursault. Contre-enquête“ (2014).
06.04.2015
Ein-Dollar-Brille für Millionen
text CHRISTOPH EISENRING
Wenn die bunten Glasperlen im Sonnenlicht funkeln, freut sich Martin Aufmuth immer noch. Die Perlen zieren seine «Ein-Dollar-Brille», ein einfaches, aber sehr stabiles Drahtgestell, dessen Materialkosten bei einem Dollar liegen.(...)
Aufmuth pröbelte fünf Jahre, bis er eine Biegemaschine entwickelt hatte, mit der sich derart günstig Brillen herstellen lassen. Die Linsen aus Polykarbonat bezieht er von einem chinesischen Betrieb, dessen Besitzer er kennt. Dabei stellte Aufmuth harte Bedingungen an seine Erfindung: Die Brille muss lokal gefertigt werden können und zwar ohne Elektrizität. Sie soll zudem keine Teile enthalten, die leicht verloren gehen können wie kleine Schräubchen.
So ist ein Holzwürfel von 30 cm Seitenlänge entstanden, in dem alle Utensilien für die Produktion Platz finden. (...) Aufmuth wirkt sanftmütig, ist aber ein hartnäckiger Kämpfer für seine Idee. Was treibt ihn an? Dass sechs Flugstunden entfernt Menschen an Krankheiten leiden oder gar sterben, die leicht kurierbar sind, beschäftigt ihn schon lange. Er hätte ja genauso gut dort geboren sein können. Und er ist überzeugt, dass ein Einzelner mit einem guten Projekt etwas bewirken kann. (...)
21.03.2015
Das Leben der Anderen
essay BARBARA FRISCHMUTH
(...)
Jetzt ist er da, der Frühling. Höchste Zeit, um sich ein paar Gedanken über die Natur zu machen.
(...)
Der Diskurs über den Anderen beschäftigt Philosophen, Soziologen, Anthropologen schon seit langem. Und trotz aller Beteuerungen, dass der Andere auch die Andere meint, fällt es mir meist schwer, eine weibliche Person vor Augen zu haben, wenn ich eine Abhandlung lese, in der über den Anderen nachgedacht wird. Und so bleibt auch der Andere, den wir in unserem Spiegelbild nicht erkennen wollen, obwohl er uns in so vielem gleicht, für mich männlich konnotiert. Vielleicht gerade, weil wir davon ausgehen, dass im Anderen immer noch mehr vom Gorilla lebt (wie der Gorillaforscher George B. Schaller es allen Menschen zuschreibt) als in uns selbst.
Die wirklich Anderen
Auch wenn es uns gelingt, den Anderen geschlechtsneutral zu sehen, ist erwiesen, dass Mensch und Tier mehr miteinander gemein haben, als uns gemeinhin lieb ist. Wenn wir also von den Tieren als den Anderen sprechen, geht es eher um verschiedene Entwicklungsstufen und Ausprägungen eines uralten Bauplans. Wenn wir aber vom Leben als solchem ausgehen, sind die Pflanzen die wirklich Anderen, unterscheidet sich doch ihr Bauplan in vielem radikal von dem der Tiere (uns eingeschlossen).
Pflanzen sind ebenso vielfältig, wahrnehmungsbegabt, entscheidungsmächtig und (das gilt für viele noch als umstrittene Erkenntnis) intelligent wie alle anderen Lebewesen, die es geschafft haben, auf dieser nicht immer wirtlichen Erde zu überleben. Nebenbei gesagt, ein paar hundert Millionen Jahre länger und wesentlich erfolgreicher als wir und die Tiere, machen sie doch je nach Hochrechnungsart 90 Prozent (Michael Pollan) bis 99,5 Prozent (Stefano Mancuso) der gesamten Biomasse aus. Um uns darunter etwas vorstellen zu können, erinnere man sich an all die Pflanzenreste, aus denen seit Jahrhunderten Kohle und Erdöl gewonnen werden. (...)
15.02.2015
BATH ART GALLERY 01
o.T. © 2014 wolfgang KATHAN
07.02.2015
OSAMU NISHIDA japan WOHNEN IM ZWISCHENRAUM
Text ULF MEYER foto OSAMU NISHIDA
Zwischen Räumen leben
Der Wohnbau in Japan schafft Wohnqualität auf wenigen Quadratmetern. Ein Wohnzimmer kann in flexiblen Raumkonzepten auch zur öffentlich zugänglichen Zone für jedermann werden.
Wozu besitzen, wenn man auch teilen kann? Ein Haus in Yokohama, Japans drittgrößter Stadt, macht das zwischenmenschliche, urbane Miteinander exemplarisch vor. Architekt Osamu Nishida hat mit seinem Kanagawa Apartment House ein Konglomerat aus privaten Hausteilen geschaffen, die sich rund um eine öffentliche Hausmitte gruppieren. In diesem frei zugänglichen Atrium wird gekocht, gegessen und gewohnt. Quasi mitten auf der Straße.
Um den zentralen Zwischenraum, „chanoma“ genannt, auch bei kühlem Wetter nutzbar zu halten, hat der Architekt Osamu Nishida dicke, durchsichtige Plastiklamellen, wie man sie aus Kühlhäusern kennt, einfach in die Öffnungen gehängt. Schlanke, weiße Stahltreppen führen frei durch den Raum und erschließen die privaten Schlaf- und Rückzugsräume im Obergeschoß. Auf diese Weise ist es gelungen, auf einem nur 140 Quadratmeter großen Grundstück ein ebenso großes Haus hinzustellen, ohne jedoch dabei die winzige Parzelle voll zu bebauen. In jedem Raum des schlohweißen Gebäudes gibt es Tageslicht.
Das Kanagawa Apartment House ist typisch für die zeitgenössische japanische Wohnbauszene, die aus Nöten Tugenden macht.
(...)
Das Talent für das Kleine, so Kuma, entspringe aus der Tradition der „cha-shitsu“, der kleinen japanischen Teehäuser, die im Garten oft als Ausblickspunkt und Ort der inneren Einkehr gebaut werden. Die bonsaihafte Miniaturisierung und der Rückgriff auf das bauliche Erbe bringen auch wieder Wärme und Wohnlichkeit zurück in die zeitgenössische Architektur.
(...)
>> Weiterlesen auf der Website "der standard", Der Standard, Album 7.2.2015
07.02.2015
Emanzipation im Dorf
Text ALBERT KIRCHENGAST
Was heutiger Städtebau vom Gestern lernen kann
Knapper Wohnraum in Wien und historische Dörfer im Burgenland waren jüngst der Ausgangspunkt eines «Versuchslabors». Das Ergebnis sind Architekturentwürfe, die den Traum vom Leben auf dem Lande neu interpretieren, gegen Zersiedelung und für die Vernetzung eines alt-neuen Grossraums eintreten.
(…)
Können nur wenige Neubauten einen Vergleich mit Wiens gründerzeitlicher Bausubstanz überhaupt bestehen, ist es doch ein anderer, pragmatischer Grund, der die Wohnungssuchenden aus der Stadt vertreibt: der konsequente Preisanstieg auf dem Wiener Wohnungsmarkt. Dies meint jedenfalls der Architekt András Pálffy, wenn er von einer wahren «Gegenreformation» spricht, bei der ein jährlicher Wohnungsbedarf von bis zu 15 000 Einheiten das Eigenheim auf dem Land – samt Pendeln in die Stadt – höchst attraktiv mache. Der Blick auf die täglich überquellenden Wiener Autobahnen kann das nur bestätigen. Kein Wunder, zahlt man doch im Umland nicht selten einen Vierzigstel für Grund und Boden im Vergleich mit der Stadt.
Während andere über das planerische Desaster im steuerlich attraktiven Speckgürtel der Bundeshauptstadt debattieren, sich den Begriff Metropolitanregion selbstverständlich anverwandeln und damit kein singuläres Phänomen beschreiben, hat Pálffy sein eigenes Szenario entwickelt.
Nüchtern abwägend, plädiert er im Gespräch für eine Stärkung historischer, dichter Dorfstrukturen.
Was Generationen von Architekten vergeblich versuchten, machte Pálffy im letzten Semester zum universitären Kurs an der TU Wien. Zum sechsten Mal hat der Professor für Gestaltungslehre und Entwerfen ein Joint Venture initiiert, das ausgewählte Hochschulen aus Deutschland, Italien, Japan, Schottland und dem Tessin unter einem kernigen Thema versammelt: «Village Textures». (…)
1961, drei Jahre vor Bernard Rudofskys «Architecture without Architects», veröffentlichte der für die österreichische Nachkriegsmoderne so wichtige Architekt Roland Rainer, Professor an der Akademie der bildenden Künste und kurzzeitiger Stadtplaner Wiens, das Buch «Anonymes Bauen Nordburgenland»; darin eingeschlossen die Kritik eines modernen Architekten an der architektonischen Moderne, den Blick auf die Kontinuität architektonischer Entwicklungen gerichtet. Allerdings führte sein prächtig ausgestatteter Bildband eine bereits schwindende ländliche Baukultur vor: (…)
Das trügerische Bild ist gleichwohl heute noch von Aktualität. Denn es zeigt keineswegs bäuerliche Siedlungen anonymer Planerschaft – die nostalgische Sehnsucht nach vergangenen Lebensweisen. Viele nordburgenländische Dörfer wurden nämlich zentral, sozusagen am Wiener Reissbrett, entwickelt. Als «Ingenieursiedlungen» wurden sie teilweise im 18. Jahrhundert zur Wiederbesiedlung des nach Osten offenen, in den «Türkenkriegen» immer wieder von osmanischen Reitern überrollten Gebiets angelegt. Sie demonstrieren städtebauliche Prinzipien, die noch heute gültig und wiederholbar sind.
(…)
>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“, 07.02.2015
06.02.2015
Wien – zurück zu alter Grösse
Text MERET BAUMANN
In Wien wird an allen Ecken gebaut. Um das Bevölkerungswachstum der Metropole bewältigen zu können, werden gänzlich neue Wohngebiete errichtet, Schulen, Spitäler, Altersheime und Bahnhöfe erstellt, die Stadtbahn angelegt. In der zentralen Kärntnerstrasse drängen sich die Menschen vor den Schaufenstern, und in der Strassenbahn herrscht ein Stimmengewirr verschiedenster Sprachen. Um die Verbauung auch der Naherholungsgebiete zu verhindern, beschliesst der Gemeinderat, den Wienerwald westlich und südlich der Stadt unter Schutz zu stellen.
Eine solche Schilderung würde in weiten Teilen auf die heutige Zeit zutreffen, beschreibt aber die Situation zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
(…)
In den Jahren 2001 bis 2011 legte diese in Wien um knapp elf Prozent zu – in Europa wuchsen nur Madrid, Stockholm und Brüssel in derselben Periode stärker. Bewahrheiten sich die Prognosen der Statistiker, dürfte Österreichs Hauptstadt in diesem Ranking in den nächsten Jahren gar noch weiter vorstossen und mit München um den Spitzenplatz ringen. (…)
Allein in der laufenden Planungsperiode bis 2025 müssen laut Winkler 120 000 Wohnungen gebaut werden. Dabei profitiert Wien davon, dass es bis vor kurzem auch an zentraler Lage noch grossflächige Bahn- und Industrieanlagen aus der Zeit der Donaumonarchie gab, die nach dem Zerfall des Reichs nicht mehr gebraucht wurden. Am alten Nordbahnhof etwa wird derzeit ein Gelände von 85 Hektaren überbaut, etappenweise entstehen 10 000 Wohnungen und 20 000 Arbeitsplätze. Ebenfalls ein gänzlich neues Stadtquartier mit 5000 Wohnungen wird am Südbahnhof errichtet, der seit kurzem als Hauptbahnhof in Betrieb ist.
Kritik von Experten
Doch das Bauen auf der grünen Wiese stösst immer wieder auf Widerstand, unzählige Bürgerinitiativen wehren sich jeweils gegen die Projekte. Dazu kam zuletzt aber auch vermehrt Kritik von Experten, die der Stadt vorwerfen, Investoren gegenüber zu nachgiebig zu sein. So protestierten im Frühling namhafte Architekten in einem offenen Brief gegen die Neugestaltung des Areals des Wiener Eislaufvereins und die Errichtung eines Hochhauses mit Luxuswohnungen.
>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“, 06.02.2015, Seite 7
Wien erlebt, wie bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, einen enormen Boom. Die Politik steht vor ähnlichen Herausforderungen wie damals.
19.01.2015
Alles ist nachhaltig – oder doch nicht?
Text JENNI ROTH foto 19.1.2015
Alles ist «nachhaltig»; die Pizza, die Firmenphilosophie, selbst die Geldanlage. Und diesen Anspruch erhebt ausgerechnet eine Konsumgesellschaft, die rücksichtslos im Überfluss badet.
Gleich am Morgen geht's los: Das Shampoo entfernt Schuppen «nachhaltig». Den Kaffee trinkt man dann mit seinem Partner, dem man in einer «nachhaltigen Lebensgemeinschaft» verbunden ist. Dann fährt man zur Arbeit in seine Firma, die für eine «nachhaltige Unternehmensphilosophie» steht, und kümmert sich in der Mittagspause um sein «nachhaltig» angelegtes Geld. Auf der Heimfahrt schliesslich hört man im Radio eine Sendung über die «Nachhaltigkeit des Kulturerbes», bevor man sich, wieder zu Hause, eine Thunfischpizza in den Ofen schiebt. Aus – laut Verpackung – «nachhaltiger Erzeugung», versteht sich.
Kann das sein?
Offenbar gibt es nichts, was heute – zumindest dem Namen nach – nicht nachhaltig ist. Selbst ein im Aussterben begriffener Fisch wird nachhaltig gefangen. Kann das alles sein?
Dass die Nachhaltigkeit sich in allen Lebensbereichen eingenistet hat, ist ein neues Phänomen. Ziemlich alt hingegen ist der Begriff an sich, im vergangenen Jahr hat er seinen 300. Geburtstag gefeiert. Und der Sprachwissenschafter Jochen Bär von der Universität Vechta weist darauf hin, dass es auch bei Goethe in «Wilhelm Meisters Lehrjahren» heisst: «Wilhelm [. . .] schien nunmehr zum erstenmal zu merken, dass er äusserer Hülfsmittel bedürfe, um nachhaltig zu wirken.»
Doch der Begriff kommt eben nicht von Goethe, sondern aus dem Wald: Im 17. Jahrhundert ging – wegen Übernutzung – das Gespenst der Holznot um. In den frühindustriellen Zentren des alten Europa, aber auch im noch hermetisch abgeschlossenen Japan. Aus Angst vor einem Kollaps von Land und Wirtschaft forderte 1713 der leitende Beamte des kursächsischen Silberbergbaus, Carlowitz, die «nachhaltende Nutzung» der Wälder. Wobei die Idee an sich viel älter sei, sagt Ulrich Grober, Kulturwissenschafter und Autor von «Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs»: Die Walfänger auf Kamtschatka etwa hätten schon immer ihre Schonzeiten strikt eingehalten, und die Erbauer der chinesischen Reisterrassen über Tausende von Jahren die Fruchtbarkeit der Böden gesichert. «Nachhaltigkeit als Kind der Krise und als Gegenbegriff zu Kollaps – das finde ich heute wieder höchst aktuell», sagt Grober. (...)
>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“
19.01.2015
Nachhaltigkeit als positives Tabu
Interview: Jenni Roth
Der Philosoph Norbert Bolz erklärt, wie aus dem Begriff «Nachhaltigkeit» ein quasireligiöses Heilsversprechen geworden ist
Herr Bolz, Sie sind bekannt dafür, in gesellschaftlichen Diskursen gern einmal Contra zu geben. Was halten Sie vom zeitgeistigen Begriff der Nachhaltigkeit? Ein ökologischer Fundamentalismus?
Wenn Nachhaltigkeit als ökologischer Fundamentalismus benutzt würde, wäre das ja sinnvoll. Aber auch nur dann – etwa im ursprünglichen Sinn der Forstwirtschaft. Aber so, wie der Begriff heute verwendet wird, halte ich ihn für gewaltigen Unsinn. Er wird inflationär über alle möglichen gesellschaftlichen Zusammenhänge gestülpt und in den absurdesten Kombinationen benutzt, um zu signalisieren: «Ich bin ein guter Mensch.» Es gibt kaum mehr einen gesellschaftlichen Bereich, der nicht «nachhaltig» ist, der Begriff hat auch Eingang gefunden in die Unternehmensphilosophien, das ist absurd.
Wie erklären Sie sich diesen Siegeszug?
Er klingt – gemäss seinen forstwirtschaftlichen Ursprüngen – ungemein beruhigend: Es wächst was nach, alles ist balanciert. Aber die Balancemodelle der älteren ökologischen Bewegungen funktionieren nicht. Die Grünen brauchten nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ein neues Thema – und das war mit der Natur schnell gefunden. Aber der Grundgedanke der Grünen von einer Balance zwischen Gesellschaft und Umwelt im Sinne von Natur ist unvereinbar mit der Theorie komplexer Systeme. (...)
03.01.2015
DIE MITTELLOSEN von Szilárd Borbély
Die Einsamkeit der Primzahlen
Neue Zürcher Zeitung vom 03.01.2015, Seite 53:
In der tiefen Provinz des Menschlichen – Szilárd Borbélys Kindheitserinnerungen «Die Mittellosen».
Von Andreas Breitenstein
Wollte man das kleine ungarische Dorf, in dem Szilárd Borbélys zum Roman gestaltete autobiografische Kindheitserinnerungen «Die Mittellosen» spielen, als Dystopie erfinden – man müsste über eine Einbildungskraft von desperater Düsternis verfügen. Es ist eine Welt ohne Würde und ohne Erbarmen, ohne Herkunft und Zukunft, ohne Glauben, Liebe und Hoffnung. Alles, was einem Erdenbürger an Sicherheit in die Wiege gelegt wird, steht in dieser tiefen Provinz des Menschlichen zur Disposition. Armut herrscht und schlechte Laune, die gängige Sprache ist jene des Schweigens. Verloren sind die Seelen und verroht die Einwohner; über die Tiere, mit denen sie in grobschlächtiger Symbiose leben, sind sie zwar Herr, doch was sie über diese erhebt, ist vor allem der Alkohol, die Gemeinheit und die Gewalt. Es gilt das Gesetz der Hackordnung, und so sieht jeder zu, dass er einen noch Niedereren findet als sich. Was hingegen alle eint, ist der Hass jenen gegenüber, die nicht im Raster des beschädigten Lebens aufgehen. (...)
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>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“ zum Tod des Dichters Szilárd Borbély
30.12.2014
BAUHAUS und WCHUTEMAS: zwei Ausstellungen
Labore der klassischen Moderne
Neue Zürcher Zeitung vom 30.12.2014, Seite 43:
Zwei Ausstellungen über sowjetische Architektur-Utopien und freie Gestaltung am Bauhaus
Den wohl legendärsten Gestaltungsschulen im frühen 20. Jahrhundert, dem deutschen Bauhaus und den Wchutemas in Moskau, widmen sich derzeit zwei Ausstellungen in Dessau und in Berlin. Beide Institutionen verfolgten trotz intensivem Austausch divergente Lehrkonzepte, ihre Schüler aber rangen um das Gleiche.
Text: Bettina Maria Brosowsky
Auf der diesjährigen Architektur-Biennale in Venedig kommentierte Russland das vorgegebene Motto «Absorbing Modernity 1914–2014» mit einem parodistischen Beitrag. Eine fingierte Baumesse präsentierte die Grundfesten russischer Baukultur, darunter auch eine Neuauflage der Architekturschule Wchutemas, die 1920 gegründet und bereits 1930 wieder aufgelöst wurde. Besucher durften mit Knetmasse deren neuartiges pädagogisches Konzept probieren: «Das analoge Training für eine digitale Welt». In schlichten Regalen wurde zudem der Inspirationsquell postrevolutionärer Architekturformen demonstriert, die in manch aktuellem Investorenprojekt in Moskau oder St. Petersburg megalomane Repliken erleben.
Grundlehre «Raum»
Ohne Zweifel: Von dem ästhetischen und didaktischen Wirken der Wchutemas geht eine ungebrochene Faszination aus. Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin belegt dies eindrucksvoll anhand von rund 250 Architekturskizzen, Planzeichnungen und Modellen aus dem Moskauer Schtschussew-Museum für Architektur.
(...)
>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“
Die Wchutemas-Ausstellung ist bis 6. April 2015 im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen
Die Bauhaus-Schüler-Ausstellung ist bis 1. März 2015 im Bauhaus Dessau zu sehen.
29.12.2014
Aus dem Geist der Aufklärung
text GOTTFRIED HÖFFE
Nur ein regenerationsfähiger Liberalismus erweist sich als zukunftstauglich.
In der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts vorgeprägt, wird der Liberalismus im 19. Jahrhundert zum entscheidenden Herold und Vorkämpfer für eine freiheitliche Wirtschaftsordnung (Wirtschaftsliberalismus), für eine zunehmend offene Gesellschaft (Gesellschaftsliberalismus) und für einen demokratischen Verfassungsstaat bzw. eine konstitutionelle Demokratie (politischer Liberalismus). Als aufgeklärten Liberalismus bezeichne ich hier eine Grossfamilie von Theorien und Programmen, die sich durch drei Kernelemente der Aufklärung auszeichnen.
Ein aufgeklärter Liberalismus ist erstens gegen jede ideologische und autoritäre, dabei wirklichkeitsresistente Politik allergisch; stattdessen vertraut er lieber auf die Erfahrung. Diese beginnt mit einer anthropologischen Erfahrung: dass sich der Mensch durch die Doppelnatur von Kooperation und Konflikt auszeichnet. Einerseits ist er auf ein vielfältiges Zusammenwirken angewiesen. Es beginnt mit der wechselseitigen Hilfe und reicht über die Arbeitserleichterung durch Arbeitsteilung und Spezialisierung bis zur gegenseitigen Anerkennung, selbst Liebe und Freundschaft. Andererseits herrschen schon deshalb Konkurrenz und Konflikt, weil weder ökonomische Dinge wie Güter und Dienstleistungen noch ausserökonomische wie Anerkennung und die freundschaftliche Zuwendung in paradiesischer Überfülle existieren. Hinzu kommt, dass die Menschen sich voreinander auszeichnen wollen, dass nicht zuletzt Neid und Eifersucht drohen. (…)
22.12.2014
Exerzitien eines Löffelschnitzers
text PHILIPP MEIER
Jeden Tag einen Löffel schnitzen. Dies tut der Brasilianer Alvaro Abreu seit vielen Jahren. Nicht um davon zu leben, nein. Er war von Berufs wegen Produktionsingenieur, Universitätsprofessor und Unternehmer und hätte dies sicher gar nicht nötig. Er tut es aber gleichwohl, um davon zu leben – in einem ganz anderen Sinn. Es ist sein täglich Brot geworden, sein Lebenssinn gewissermassen. Das Bambuslöffelmachen wurde ihm zur Berufung.
Alvaro Abreu begann mit seinem Exerzitium vor knapp zwanzig Jahren. Von einem solchen zu sprechen, ist dabei nicht so falsch. Abreu hat daraus ein Ritual gemacht. Oder vielmehr ist der Umgang mit Bambus, Messer und Schleifpapier für ihn zu einer unerlässlichen Gewohnheit geworden. Tausende von Löffeln hat er schon gemacht.
Schaut man ihm bei der Arbeit zu – die Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur zeigt auch ein Video –, so wird man Zeuge einer sehr konzentrierten Tätigkeit, bei der jeder Handgriff völlig natürlich erscheint und sich wie von selbst aus der Abfolge der einzelnen Arbeitsprozesse ergibt. Auch scheint das Löffelschnitzen für Abreu eine erfüllende Beschäftigung zu sein. Man ist an japanische Handwerker erinnert und an deren Demut vor dem Material, deren Ruhe und Geduld auch im Umgang mit diesem.
Immer schnitzt Abreu seine Löffel aus einem einzigen Stück Bambus. Er belässt sie unlackiert, in ihrem Naturzustand. Allein durch Schleifen und Polieren erhalten sie ihren sanften Glanz. Die sichtbare Maserung des Holzes, die Knoten des Bambus werden dabei zu Gestaltungselementen.
Bei seinem geradezu spielerischen Tun erfindet Abreu immer wieder neue Formen, als ob ihm das Material je nach Beschaffenheit selber die ideale Gestaltung einflüstern würde. Dabei geht es ihm tatsächlich um eine rein gestalterische Idee: Was alles kann ein Löffel sein, welche Formen ermöglicht das äusserst vielseitig verwendbare Material Bambus? Wie weit kann man das einfache Thema Löffel variieren? (…)
18.12.2014
Zwei leere Stühle, die sich gegenüberstehen
text ALEIDA ASSMANN foto IMRE BELLON
In Budapest gibt es Widerstand gegen ein neues Denkmal, das mit dem Erinnern das Vergessen betreibt. Von Aleida Assmann
In Ungarn herrscht ein Krieg der Erinnerungen. Es gibt zurzeit kein anderes Land in Europa, in dem die Vergangenheitsbilder so radikal aufeinanderprallen. In Budapest wird derzeit um ein mittels Generalisierung Verharmlosung betreibendes Denkmal zum Einmarsch deutscher Truppen 1944 gestritten.
Es gibt in Budapest schon seit längerem eine Reihe von Denkmälern und Zeichen, die an die Ermordung der ungarischen Juden während des Zweiten Weltkriegs erinnern, so etwa das Denkmal der Schuhe am Donauufer, das 2005 von den Künstlern und Filmemachern Gyulas Pauer und Can Togay geschaffen wurde, oder die Trauerweide aus Metall, genannt: «Der Baum des Lebens» des Künstlers Imre Varga vor der Grossen Synagoge.
Ein neues Kapitel in der Denkmalgeschichte der Hauptstadt hat mit dem Staatsdenkmal begonnen, das am Platz der Freiheit in der Nacht auf den 20. Juli 2014 aufgestellt wurde. Es kam vier Monate zu spät, denn es sollte eigentlich am 19. März, siebzig Jahre nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Ungarn, bereit sein. Dieser Zeitplan scheiterte, weil schon im Vorfeld der Denkmalsetzung Widerstand aufkam und juristische Nachfragen abgeklärt werden mussten.
Am Freiheitsplatz war nicht mehr viel Platz für ein weiteres Denkmal. Von zwei Seiten ist er mit stattlichen Gebäuden gesäumt, an einer weiteren Seite steht das sowjetische Befreiungsdenkmal, und auf der Grünfläche befindet sich die gläserne Überdachung einer Tiefgarage. An der letzten freien Seite steht nun das Okkupationsdenkmal, das von einer Konstruktion abgebrochener Säulen gerahmt ist, wie man sie als Standardsymbol für Trauer von europäischen Friedhöfen kennt.
17.12.2014
Bee Home
Ohne Bienen kein Obst
text NATALIE AVANZINO foto CHRISTOPH RUCKSTUHL
Die Zahl der Bienen ist weltweit rückläufig, entsprechend gefährdet ist die ausreichende Bestäubung vieler Pflanzenarten. Ein ETH-Spin-off hat nun ein Projekt entwickelt, das den Bestäubungsprozess in der nächsten Umgebung unterstützt.
Bienen sind die wichtigsten Mitarbeiterinnen der Obstbauern, denn ohne bestäubte Blüten gibt es kein Obst. Neben Honigbienen gibt es allein in der Schweiz über 600 Arten Wildbienen. Rund ein Drittel unserer Lebensmittel wird aus Pflanzen hergestellt, die auf die Bestäubung durch Insekten, vor allem durch Bienen, angewiesen sind.
Mauerbienen stechen nicht
Dieser Prozess ist durch das weltweite Bienensterben gefährdet. In den vergangenen Jahrzehnten sind die Populationen vieler Arten markant zurückgegangen. Dies ist auf verschiedene Faktoren zurückzuführen: Die meisten Bienen sind auf ein sehr spezifisches Blütenangebot und geeignete Nistplätze angewiesen. Durch die Zersiedlung und die Intensivierung der Landwirtschaft wurden diese Habitate immer weiter voneinander getrennt, so dass die Bienen weniger geeignete Flächen für die Aufzucht ihrer Brut finden.
Zwei Zürcher Biologen bringen nun die lokale Bienenpopulation in Schwung. 2014 haben Claudio Sedivy und Tom Strobl das ETH Spin-off Wildbiene und Partner gegründet und vertreiben ein eigens dafür entwickeltes Bienenhäuschen an Private. Das «Bee Home» enthält ein Bambusröhrchen mit einer Startpopulation von 15 Mauerbienenkokons. Jeder dieser ungefähr erdnussgrossen Kokons enthält eine voll entwickelte einheimische Mauerbiene im Stadium der Winterruhe. Im Frühling schlüpfen die Bienen aus dem Röhrchen und bestäuben die Pflanzen im Umkreis von etwa dreihundert Metern. «Keine Sorge, die Mauerbienen sind harmlos, sie stechen nicht», betont der 33-jährige Strobl. Dafür könne man aus nächster Nähe in deren faszinierende Welt eintauchen. Die emsigen Weibchen sammelten Pollen und Nektar, um in den Bambusröhrchen ihre Jungen zu versorgen, erzählt der Jungunternehmer. (...)
28.11.2014
Geld ist Entmachtung
interview SIGRID SCHAMALL
Unser Geldsystem verdirbt, macht gierig und schürt Neid, sagt Psychologe Tarek el Sehity.
Geldknappheit spürt paradoxerweise das reiche Prozent der Gesellschaft besonders intensiv.
Standard: Ist Geld Macht?
El Sehity: Ganz im Gegenteil: Geld ist Entmachtung. Weil wir uns daran gewöhnt
haben, Geld aus der Perspektive des Geldgebers – also des Käufers – anzusehen,
erleben wir den Geldbesitz als eine ungemeine Ermächtigung. Die wenigsten Käufer
könnten jedoch erklären, warum sie sich für das bunte Papier in der Hand ihre
Bedürfnisse erfüllen können. Welche Macht bewirkt, dass wir ab einer bestimmten
Geldmenge auch unsere kostbarsten Leistungen und Güter anbieten? Wenn wir als
Verkäufer nämlich unser Angebot mit Erleichterung einem Geldgeber überreichen,
passiert etwas äußerst Denkwürdiges: Reales wird für etwas Fiktives gegeben. Die
bedruckten Scheine haben an und für sich keinen Gebrauchswert. Wie es
funktioniert, wird kaum verstanden, und die genaue Bedeutung der Zahlen auf den
Scheinen und Konten lässt sich eigentlich auch nur vermuten. Dieses rätselhafte
Artefakt ist für uns die Grundbedingung, damit wir geben. Und dies, ohne dass
das Geld in der Produktion oder auch in irgendeiner Produktionskette eine
praktische Relevanz für unser Tun und Handeln hätte. Die Macht des Geldes ist
also keine praktische, da es uns zu nichts befähigt. Vielmehr besteht die Macht
des Geldes in der Leistungshemmung, nämlich den Leistungs- und Gütertransfer zu
stoppen, wenn kein Geld angeboten wird.
Standard: Wollen Sie darauf hinaus, dass wir ein paar Tausend Jahre zurück in den
Tauschhandel sollen?
El Sehity: In einer Welt, die in den vergangen 400 Jahren ein Kontinuum an
technologischen Revolutionen erlebt hat und Maschinen unsere Fabriken und
Wohnungen bevölkern, mutet es doch seltsam an, dass wir zur Regulierung unseres
Angebotes nach wie vor die Logik eines künstlich verknappten Artefakts bedienen. Wozu?
(...)
08.11.2014
Yun Dong-Ju, Selbstporträt
Yun Dong-Ju (1917–1944)
Allein gehe ich um den Berg
zum Brunnen am Ackerrand.
Still blicke ich hinein.
Darin leuchtet hell der Mond,
Wolken ziehen dahin,
Der Himmel liegt ausgebreitet,
blauer Wind weht,
und der Herbst weilt dort,
ebenso ein Mann.
Irgendwie mag ich ihn nicht
und wende mich ab.
Als ich so fortgehe,
überfällt mich Mitleid für ihn.
Ich blicke wieder in den Brunnen,
da ist immer noch der Mann.
Auch diesmal mag ich ihn nicht
und wende mich ab.
Als ich so fortgehe, überkommt mich die Sehnsucht nach ihm.
Im Brunnen leuchtet hell der Mond, Wolken ziehen dahin,
Der Himmel liegt ausgebreitet,
blauer Wind weht,
und der Herbst weilt dort.
Einer Erinnerung gleich
steht der Mann immer noch da.
Aus dem Koreanischen von Hoo Nam Seelmann. Yun Dong-Ju ist einer der berühmten Dichter der Moderne in Korea. Mit nur 27 Jahren starb er im japanischen Gefängnis in Fukuoka und hinterliess einen kleinen Band von Gedichten. Er wurde verhaftet, weil er auf Koreanisch Gedichte geschrieben hatte.
Neue Zürcher Zeitung vom 08.11.2014, Seite 55:
02.11.2014
"Ach, Europa!" Ash ARMIN, Stadtforscher
interview WOJCIECH CZAJA
„Ach, Europa! Da ist nichts mehr zu erwarten“
der Standard: Wann haben Sie das letzte Mal Stadt genossen?
Amin: Heute in der Früh. Ich war spazieren im Park.
Was ist Stadt für Sie?
Amin: Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Ich lebe und unterrichte in Cambridge bei
Boston. Mitten auf dem Cambridge Square gibt es einen Typen, der den ganzen Tag
in einer öffentlichen Mülltonne sitzt und Gitarre spielt. Noch nie hat sich
irgendwer darüber mokiert. Die Boheme findet ihn cool, die Bourgeoisie duldet
ihn. Das ist für mich Stadt.
Gibt es denn einen Unterschied zwischen der Stadt der Bourgeoisie und der Stadt
der Boheme?
Amin: Natürlich neigt man dazu, zu glauben, dass die Bohemian City mehr
öffentliches Leben birgt als die Ville bourgeoise. Der Verstand sagt uns, dass
Berlin öffentlicher, lebendiger, vielfältiger ist als etwa Paris, dass das New
Yorker West Village eine höhere Lebensqualität bietet als die sehr
traditionelle, konservative Upper East Side. Und ja, das stimmt auch. Doch Fakt
ist auch, dass die Stadt der Boheme eine sehr egoistische, eine sehr
selbstsichere sein kann.
Inwiefern?
Amin: In der Stadt der Bohemiens werden öffentliche Freiräume von Künstlern in
Beschlag genommen, da wird Tag und Nacht musiziert, da wird gemalt und an die
Wand gesprüht. Die Stadt der Bohemiens ist schrill und laut – und bisweilen sehr
anstrengend. Wem das nicht gefällt, der ist weg vom Fenster, der ist
Außenseiter, der wird niemals in die Gemeinschaft aufgenommen. Das ist sehr
brutal.
Ist es nicht umgekehrt genauso? Trifft das nicht auf jede geschlossene
Gemeinschaft beziehungsweise Gesellschaft zu?
Amin: Nein. Die internationale Stadtforschung hat gezeigt, dass bourgeoise
Gesellschaften weniger anspruchsvoll, weniger ausschließend sind als die
sogenannten Bohemiens, wenngleich die Lebensmodelle des Bürgertums wie etwa
Güterbesitz, Grundstückseigentum, Reichtum und Einbettung in wirtschaftliche
Strukturen das Gegenteil vermuten lassen.
In welcher Gesellschaft fühlen Sie sich denn persönlich wohler?
Amin: Weder noch. Die Stadt, in der ich mich wohlfühle, ist eine durchmischte, in
der eine pluralistische Gesellschaft zu Hause ist. Ich bin ein Freund eines
gewissen Chaos, das jedem und niemandem zugleich gehört. Ich bin ein Freund
gewisser Reibungen und Auseinandersetzungen. Das ist es, was Qualität für mich
ausmacht.
(...)
>> Weiterlesen auf der Website „der standard“, 2. November 2014
Ash Amin ist Stadtforscher an der University of Cambridge. Er spricht über Lebensqualität im Chaos, über den Stillstand der europäischen Stadt und die bevorstehende „Verdrittweltung“ der westlichen City.
01.11.2014
ALLERHEILIGEN
26.10.2014
NATIONALFEIERTAG
25.10.2014
3 WANDERER Raiding HIROSHI HARA
Text LISA ZENTNER Foto LISA ZENTNER, EVA FRUHSTUCK
Skulpturaler Unterstand vom Meister der großen Form
Eröffnung der „Radstation“ durch Initiator Roland Hagenberg mit den Projektbeteiligten der Umsetzung und dem Ehrengast Dr. Wolfgang Petritsch.
Wandern. Gehen. Unterwegs sein. Freiwillig? Unfreiwillig?
Der existentiellen Unbehaustheit des Menschen Behausung geben: erfahrbar hier in elementarster Form.
>> Weiterlesen auf der Website „Raiding Foundation“
18.10.2014
Im digitalen Gestell
Martin Heideggers Technikphilosophie – heute
text EDUARD KAESER foto BERNAT ARMANGUE
Bei allem zweifelhaften Ruf, in dem Martin Heidegger – zuletzt durch die Veröffentlichung seiner «Schwarzen Hefte» – steht: Kein Philosoph im 20. Jahrhundert hat eine radikalere Technikanalyse geliefert als er. Von ihr aus fällt auch Licht auf unsere digitale Gegenwart.
Martin Heidegger spricht von der Technik als vom «Gestell». Damit ist nicht eine fertige Konstruktion gemeint, sondern eine Tätigkeit des Stellens. Moderne Technik ist für ihn die Kulmination der «Eroberung der Welt als Bild». Das Wort «Bild» bedeutet für Heidegger: «das Gebilde des vorstellenden Herstellens» – einer Aktivität «der Berechnung, der Planung und der Züchtung aller Dinge». Die Gesamtheit dieses vorstellenden Herstellens, ebendas Gestell, ist selbst nichts Technisches, sondern ein – schicksalhaftes – Verhältnis des Menschen zu seiner Welt und zu sich selber. Im Stellen und Bestellen der Natur, so Heidegger, macht der Mensch sie zum «Bestand». Wälder, Kohleflöze, Ölquellen, Erzminen gehören zum Material- und Energiebestand der Erde.
Heute, liesse sich – daran anknüpfend – sagen, verwandelt sich der Mensch immer mehr in Datenbestände. Und dass er sich – oder das, was er für sich hält – ins Netz stellt, gehört schon zur emblematischen Grundhandlung unserer Zeit. 1949 diagnostizierte Heidegger am Beispiel des Radios: «Die Menschen sind jetzt nicht nebenbei auch Bestand-Stück des Rundfunks. Sie sind in ihrem Wesen schon auf diesen Charakter, Bestand-Stück zu sein, gestellt.» Als Datenbestände sind wir «Bestand-Stücke» des digitalen Gestells. Im Gestell ist alles Stückwerk, verfügbar und auswechselbar.
Das erinnert unweigerlich an die Welt heutigen Konsums, zu der Heideggers Position den denkbar schärfsten Kontrast markiert. Heidegger führt ein scheinbar banales Neutrum ins Treffen: das Ding.
(...)
>> Weiterlesen auf der Website „Neue Züricher Zeitung“, 18.10.2014
05.10.2014
ATMOSPHÄRE
VIENNA DESIGN WEEK Hommage Hermann Czech
„Atmosphäre:
Dieser Begriff ist neuerdings in die Architekturtheorie eingetreten. Der Diskurs geht davon aus, dass Atmosphäre bewusst produziert werden soll und kann. (Ist das eine Wiederkehr von Walt Disneys „Imagineering“?)
Hermann Czechs Restauranträume von 1984, im Souterrain von Hildebrandts und (Fischer von) Erlachs Palais Schwarzenberg, reichen in den Zusammenhang von Anmutung, von „Atmosphäre“ (was in der Fachwelt nicht nur Zustimmung hervorrief!).
In der Methodik des Entwurfsprozesses spielte aber diese Absicht keine Rolle. „Atmosphäre“ entstand allenfalls als Ergebnis, in der produktiven Reihe der einzelnen Entwurfsentscheidungen waren Assoziationen jeder Art ebenso tragfähige Grundlagen wie Kriterien der Konstruktion und der Nutzung.
„Atmosphäre“ gehört also der Wahrnehmung danach an. Nach dreißig Jahren kommt die Wirkung der Zeitdistanz dazu; das Alter von Architektur ist ebenfalls nicht im Entwurf produzierbar.
Und jetzt sind die Räume fast ein Jahrzehnt unbenutzt, nicht gewartet und verwahrlost. Alter und Verwahrlosung ergeben eine Atmosphäre der doppelten Zeitdistanz, wenn diese Räume jetzt für einen speziellen Zweck zugänglich sind.
Atmosphäre ist im Wesentlichen nicht produzierbar, sie entsteht unbeabsichtigt und unvorhergesehen.“
25.09.2014
VIENNA DESIGN WEEK
25.9.2014 - 5.10.2014
Palais Schwarzenberg
Gastland: UNGARN
MOME LABARATORIES presents: sound weaving by Zsanett Szirmay
23.09.2014
Wohnzimmer Sonnwendviertel
14.09.2014
Wenn die Zeit knapp wird
text DIETHARD LEOPOLD
(...)
Von alten Menschen heißt es gelegentlich, dass sie der Ewigkeit nahe seien.
Nicht für alle älteren Leute, die ich kenne, kann ich das bestätigen, ja sogar
eher nur für wenige. Sie sind die Ausnahme von der Regel. In einem Alter, das
dem Dasein in Zeitlosigkeit am nächsten zu sein scheint – und was ist Ewigkeit
anderes als die Abwesenheit der vergehenden Zeit –, sind eher die 40- bis
50-Jährigen, mit einer Schwankungsbreite von sagen wir fünf Jahren nach oben und
unten.
Sie haben den Wettlauf um Positionen und Güter hinter sich, haben die
wichtigsten Weichenstellungen ihres Lebens meist nicht mehr vor sich. Zugleich ist ihnen der Tod so fern, dass sie die allseits beliebte Illusion, man lebe
ewig, zwar nicht intellektuell, wohl aber dem Gefühl nach pflegen wie zu keiner
anderen Zeit ihres Daseins.
(...)
Die Alten leben nicht in solcher Seinsvergessenheit.(...)
Nicht mehr alle Zeit der Welt zu haben, im Gegenteil, immer weniger Zeit vor
sich als hinter sich zu haben, erzeugt bei den Menschen jenseits der Fünfzig
eine nur allzu gut bekannte Rastlosigkeit. Eine Art Syndrom breitet sich aus,
jetzt noch schnell dies und jenes erleben zu müssen, tun oder erreichen zu
wollen, durchzusetzen, durchzubringen und wie für die Ewigkeit möglichst fix
einzurichten.
(...)
Und junge Leute eilen in Gebiete, wo sie ihrer Gnadenlosigkeit freien Lauf
lassen, oder tun ihre widerredelose militärische „Pflicht“, geschult und
angestiftet von der Erbarmungslosigkeit der herrschenden Gesellschaften und
ihrer Staatengebilde, angeblicher Religionen und vorgetäuschter, aus bloßem
Eigennutz zusammengebastelter Ethnien. Alle diese jungen und erwachsenen
Menschen scheinen keine Zeit zu haben, auf allseits verträgliche Lösungen warten
zu können, sie wollen das Paradies, jetzt, und erzeugen dabei nichts als die
Hölle.
(...)
>> Weiterlesen auf der Website DerStandard: 13.09.2014 (Album), Seite 3 - Gnadenlos. Wenn die Zeit knapp wird
Jenseits der fünfzig beginnt die Gnade des Wahns vom grenzenlosen Zeithaben zu schwinden. Wie aber bewältigen wir die Einsicht in unsere Endlichkeit? Wie die daraus resultierende Unduldsamkeit und Intoleranz?
13.09.2014
Musts
text ALFRED KOMAREK foto RUDOLF SEMOTAN
(...)
Aber ich schweife ab, wende mich also unverzüglich dem Thema dieser Geschichte
zu. Ich bin beharrlich mit einem alten Steyr-Waffenrad unterwegs, weil wir uns
in vielen Jahren sehr aneinander gewöhnt haben. Außerdem ist es recht
beruhigend, in manchem von gestern zu sein, weil so mehr Zukunft Platz hat.
Neulich überholte mich, unschlüssig in zahllosen Gängen wühlend, ein
papageienbunter, futuristisch behelmter Radfahrer und rief: „Sie müssen schon
auch einmal mit der Zeit gehen, Herr Komarek!“
Meine präpotente Antwort, dass die Zeit gefälligst mit mir gehen solle, nahm er
schon nicht mehr wahr. Und weil es der Zeit genügt, einfach da zu sein, ohne mit
irgendjemandem irgendwohin zu gehen, habe ich ohnedies verzichtbaren Unsinn
geredet.
(...)
Aber es gibt sehr viele, die sich ohne das offenbar hilfreiche Diktat von
Trendsettern, Animateuren, Marketingstrategen, Vorkostern, Vorreisenden,
Vorempfindern, Vordenkern, Vorlebern, Vorglaubern, Meinungsbildnern,
Lebensberatern, Coaches, Kultpredigern, Marken-Vermarktern und weiß der Teufel
was noch alles (natürlich beiderlei Geschlechts) in der Welt nicht mehr
zurechtfänden. Auf sich selbst zurückgeworfen, für sich selbst und für ihr Tun
verantwortlich, aller Wegweiser, Hinweiser und Anweiser ledig, wäre nichts mehr
als orientierungslose Ödnis und Einsamkeit um sie und in ihnen.
Wer nicht mitmacht, ist nicht dabei, und wer sich nicht sagen lässt, wohin es zu
gehen hat, muss sehen, wo er bleibt. Das darf nicht geschehen.
(...)
>> Weiterlesen auf der Website „Der Standard“, 13.09.2014 (Album), Seite 8
"Warum müssen wir immer alles müssen?" - Umzingelt von „Musts“, bedrängt von Zwängen, belehrt von Gebrauchsanweisungen, vom Erfolgsdruck gejagt und mit Glücksversprechen belogen, will ich von alldem nichts mehr wissen müssen.
13.09.2014
Sichuanpfeffer
text SAMUEL HERZIG
Auch wenn sie auf keiner Karte Chinas zu finden ist, so ist doch klar, dass es eine Stadt namens Sichuan geben muss. Sichuan ist eine Stadt, in der man mit der Eisenbahn ankommt – nicht mit irgendeiner Eisenbahn allerdings: Es sind lackschwarz glitzernde Waggons, die von einer dunkelorangen Dampflok ganz langsam in den Bahnhof gezogen werden. Es ist Nacht, und der Bahnsteig gleicht einem gelblichen Fluss, durch den die Schatten grosser Fische huschen.
Wir treten aus der Bahnhofshalle und stehen oben an einer leicht abschüssigen Strasse, über der eine dichte Wand aus Dunst hängt, in der sich die Äste mächtiger Bäume in einem leichten Sommerwind hin und her bewegen: die Hauptstrasse von Sichuan. Die Strasse ist kaum beleuchtet, doch stehen in unregelmässigen Abständen kleine Buden an ihrem Rand, von deren Küchen ein flackerndes Licht ausgeht. An allen Herden wird leise, aber tüchtig gekocht, und es sind die ganzen Töpfe und Pfannen, die den Dunst über der Strasse produzieren. Hinter diesen Buden glänzen die dunkelfarbig bemalten Holz-Fassaden grosser Restaurants, an einigen sind Girlanden aus papierenen Lampions befestigt. Die Speisesäle gleichen Terrassen und sind zur Strasse hin offen. Geschickt tragen Kellner Tabletts mit feucht schimmernden Köstlichkeiten zwischen den Gästen hindurch, die sich mit leiser Stimme unterhalten.
Man fragt sich, ob die Stadt wohl jenseits dieser einen Strasse weitergeht, ja ob es überhaupt etwas ausserhalb dieser Strasse gibt. Autos sind keine zu sehen. Nur Fahrradfahrer huschen dann und wann wackelnd durchs Dekor: Sie tauchen plötzlich zwischen den Bäumen auf, um kurz darauf wieder im Dunkeln zu verschwinden. Ab und zu kommt es vor, dass einer klingelt – doch es ist ein ganz leises Klingeln, wie ein ferner Gong. Das einzig Laute hier ist der Duft von frisch geröstetem Sichuanpfeffer – als hätte man ein ebenso teures wie geheimnisvolles Holz verbrannt. Es ist dieser Duft, der die Stadt Sichuan hervorbringt und ihr einen festen Platz zuweist auf der grossen Weltkarte der Aromen.
Neue Zürcher Zeitung vom 13.09.2014, Seite 51- MunDstücke
13.09.2014
Das große Innovations-Paradoxon
Text RICHARD STRAUB
Wir leben in einer Zeit eines großen Paradoxons. Digitale Technologie mit ihrer
exponentiellen Entwicklung bringt uns ein in der Menschheitsgeschichte bisher
nie gekanntes Potenzial für Innovation – wie etwa neue Geschäftsmodelle, neue
Industrien und Wirtschaftszweige, neue Lern- und Arbeitsformen.
(...)
Es fließen einfach zu wenig Mittel in wahre unternehmerische Innovation. Die
Wall Street gibt den Takt vor – die Unternehmen, die die Gewinnerwartungen im
Quartal nicht erreichen, werden postwendend mit Kurseinbrüchen bestraft. CEOs,
die nicht in der Lage sind, den Aktieninhabern einen raschen Anstieg des Kurses
zu bieten, bleiben nicht lange CEOs.
Die Bereitschaft, in längerfristige, risikoreiche Innovationsprojekte zu
investieren, hält sich daher in engen Grenzen. Den klaren Vorrang bekommen
Rationalisierungsprojekte, die Möglichkeiten der Informations- und
Kommunikationstechnologien nutzen, um Kosten zu reduzieren und somit
kurzfristige Gewinnverbesserungen zu erzielen. Die Shareholder-Value-Logik
erfordert, dass das damit freigesetzte Kapital wiederum für weitere
Verbesserungen von Effizienz und Produktivität eingesetzt wird.
(...)
Dabei hatten die großen Gesellschaften nie so viele Mittel zur Verfügung wie
heute. Die Cash-Bestände sind auf Rekordniveau, und zusätzliche Mittel werden
über Kredite hereingeholt. Damit schwimmen zahlreiche Großunternehmen geradezu
in Liquidität, deren überwiegender Teil jedoch für Aktienrückkäufe eingesetzt
wird. Mit Aktienrückkäufen wird der Kurswert gepflegt, wie man so schön sagt.
Man könnte auch von Manipulation sprechen, wenn derartig gewaltige Mittel zur
kurzfristigen Gewinnmehrung von spekulierenden „Eigentümern“ und dem
Topmanagement selbst eingesetzt werden. Diese Situation ist skandalös und unhaltbar.
(...)
>> Weiterlesen auf der Website Der Standard 13.09.2014, Seite 12
Das Potenzial für Innovationen ist groß wie nie. Gleichzeitig befinden wir uns in einer akuten Innovationskrise. Warum das so ist und weshalb die EU möglicherweise einen weiteren heilsamen Schock benötigt.
13.09.2014
Shoppingcenter vor historischer Kulisse
text MARIANNE SCHULZE, FRANZISKA ZOIDL
Im deutschen Bad Münstereifel gibt es seit kurzem ein neuartiges Einkaufskonzept: Statt auf der grünen Wiese wurden Outlet-Läden im mittelalterlichen Stadtkern errichtet – die Innenstadt wird dadurch zu neuem Leben erweckt. Betreiber ist die österreichische ROS.
Bad Münstereifel liegt am Ostrand der Eifel im Süden von Nordrhein-Westfalen und
ist ein mittelalterliches Städtchen mit einer nahezu vollständig erhaltenen
restaurierten Stadtmauer. Doch wer den Kneipp-Kurort vor ein paar Jahren
besuchte, der erlebte eine graue Stadt mit einer überschaubaren Auswahl an
Geschäften. Die einzige Attraktion: das Café von Schlagersänger Heino.
Heute ist das anders: Die alten Häuser wurden restauriert oder zumindest frisch
gestrichen. Entlang dem Flüsschen Erft, das sich durch den mittelalterlichen
Stadtkern schlängelt, bummelt man an Schaufenstern vorbei. Tische stehen vor den
Lokalen, und selbst an einem Freitagmorgen herrscht schon Leben in der Stadt.
Der Grund: In den teils denkmalgeschützten Häusern der historischen Innenstadt
wurde ein Outlet-Center entwickelt, das rund 30 Geschäfte mit bekannten Marken
umfasst. Hinzu kommen noch die Geschäfte, die hier schon lange ansässig sind,
beispielsweise eine Buchhandlung, ein Haushaltswarengeschäft und ein Hutladen.
Hier scheint die vieldiskutierte Wiederbelebung der Innenstadt durch den
Einzelhandel also tatsächlich funktioniert zu haben.
Das Konzept des „City Outlet Bad Münstereifel“ ist neu und bislang einzigartig (...) Eine der Herausforderungen des Konzepts
sei gewesen, dass jedes Haus aufgrund des Denkmalschutzes individuell mit
Architekten und der jeweiligen Marke geplant werden musste (...)
Insgesamt wurden so 12.000 Quadratmeter Mietfläche für den Einzelhandel
entwickelt, außerdem 4000 Quadratmeter Gastronomie.
06.09.2014
Baukultur denken ohne jedes Tabu
text WOJCIECH CZAJA
Die heurigen Baukulturgespräche beim Europäischen Forum Alpbach widmeten sich der lebenswerten und gerechten Stadt. Dazu gehört auch die viel zitierte und selten eingelöste Leistbarkeit von Wohnraum. Ein paar Ansätze im Vergleich.
Ein Rückblick.
Vor wenigen Tagen gingen im hübschen Tiroler Kleinod Alpbach die Europäischen
Baukulturgespräche zu Ende. Das übergeordnete Thema lautete heuer: „At the
Crossroads. Lebenswerte und gerechte Städte schaffen“. Präsentiert wurden
Initiativen und künstlerische Quartiersimpulse zwischen Ljubljana und Rio de
Janeiro, Überlegungen zu einer neuen Form von urbaner Nachbarschaft sowie
architektonische und stadtplanerische Reaktionen auf die stetig wachsende Stadt.
Und dann war da noch die Leistbarkeit, die in vielen Vorträgen und Diskussionen
angeschnitten wurde. Denn leistbar – darin waren sich fast alle Diskutanten
einig – ist das Wohnen in den Ballungsräumen schon lange nicht mehr. „Einen
hohen, ernstzunehmenden Grad an Leistbarkeit zu erreichen erfordert Fokus und
Durchhaltevermögen in der Willensbildung“, sagte Michael Wagner-Pinter, CEO der
Synthesis Forschung Gesellschaft in Wien. „Das kann man nicht einfach an die
Politik delegieren. Da muss die Privatwirtschaft mit anpacken.“
Leichter gesagt als getan. Denn tatsächlich werden die Zentren immer teurer und
teurer. Schuld daran sind nicht nur Grundstückspreise, sondern auch die
kontinuierlich steigenden Anforderungen an den Wohnbau.
„Wenn wir von leistbarem Wohnen sprechen, dann müssen wir die Häuser für
Menschen in Zukunft von jenen für Autos trennen“, forderte Verkehrspapst Hermann
Knoflacher. „Wenn wir uns dazu nicht überwinden, wird das nicht klappen, denn
ein großer Teil unserer Wohnkosten fließt in unterirdische Garagen.“ Und Georg
Pendl, Präsident der Bundes-Architektenkammer, meinte: „Wir alle zitieren immer
wieder die wunderbaren Wohnbauten der Pariser Architekten Lacaton & Vassal, wenn
es um leistbares Wohnen geht. Völlig zu Recht! Doch die Wahrheit ist: Wenn ich
so ein Haus in Österreich baue, dann lande ich im Gefängnis.“ (…)
05.09.2014
Temporäres für Erdgeschoß und Container
text FRANZISKA ZOIDL
In Wien sind Pop-up- Angebote angekommen. Ob kleines Geschäftslokal oder Frachtcontainer: Die Standorte können unkompliziert und temporär gemietet werden – und könnten dem Handel wichtige Impulse geben.
Für eine Woche ist Anna Zajac mit ihrem Modelabel Sternentau in der Gumpendorfer
Straße 68 zu Gast. Hier verkauft sie in einem kleinen Geschäftslokal
selbstdesignte Handtaschen. Dann zieht sie weiter – und jemand anderer hier ein.
„Jeder interpretiert den Raum anders“, sagt Georg Demmer vom Unternehmen Co
Space, das das Pop-up-Geschäft seit März vermietet.
Denn die Regale, in denen momentan schicke Handtaschen ausgestellt werden,
können rasch zu Bänken umfunktioniert werden. Selbst Konzerte wurden hier schon
veranstaltet. „Ich kann ausprobieren, wie meine Taschen ankommen“, erzählt die
Designerin. Ein eigener Shop wäre ihr zu riskant.
Glaubt man Experten, ist das ein Konzept der Zukunft: Die RegioPlan Consulting
vermeldet für das vergangene Jahr österreichweit einen Rückgang der
Einzelhandelsflächen um 0,8 Prozent. Gänzlich verschwinden werde die
Handelsfläche zwar nicht, Shops der Zukunft würden aber andere Funktionen
erfüllen, etwa der Inspiration dienen oder Synergieeffekte mit dem Onlinehandel
generieren. Von Pop-up- bis Pick-up-Stores sei alles denkbar.
Unweit der neuen Wirtschaftsuniversität gibt es seit Juni ein temporäres
Einkaufszentrum: Das Stadtbiotop, bestehend aus Frachtcontainern, bietet Flächen
für Handel und Gastronomie zur flexiblen und kurzfristigen Miete.
(...)
15.03.2014
Think Global, Build Social! Bauen für eine bessere Welt
Ausstellung im AzW Architekturzentrum Wien
bis 30.Juni 2014
„Wir zeigen Beispiele aus der Gegenwart, in denen sich die Architekten um die 99 Prozent kümmern, die keinen Zugang zum Markt haben“ sagt Kurator Andres Lepik. Projekte, an denen Architekten aus Idealismus arbeiten, oft selbst mit Hand anlegen; Bauten, die mit den Menschen vor Ort entstehen.
„Es war unser Anspruch, alles zu zeigen, was in den letzten zehn Jahren auf diesem Gebiet entstanden ist“, sagt Sonja Pisarik, Projektleiterin am AzW.
„Wir haben bei dieser Recherche ungeahnte Dimensionen entdeckt“, ergänzt AzW-Direktor Dietmar Steiner begeistert. Der größte Anteil österreichischer Projekte stammt vom Verein s2arch, der 2004 vom Grünen-Politiker Christoph Chorherr gegründet wurde und inzwischen 42 Projekte in Südafrika realisiert hat.
Dass die Bauten oft von Studenten vor Ort errichtet werden, ist ein Indiz dafür, dass einheimische Hochschulen wie der Kunstuniversität Linz mit dem BASEstudio
habitat, die TU Wien mit dem Design Build Studio oder die Wiener Angewandte inzwischen eine Vorreiterrolle beim Bauen in der südlichen Hemisphäre haben.
Noble Hilfestellungen aus der Ersten Welt für die, die es alleine nicht schaffen: Da wird trotz hohem Idealismus immer wieder der Vorwurf des Neokolonialismus laut. Dietmar Steiner widerspricht entschieden: „Diese Bauten sind nicht Teil einer Entwicklungshilfeindustrie. Es geht um Selbstbestimmung.“
Wenn alle mit Hand anlegten, lernten schließlich beide Seiten gleichermaßen, betont Kurator Andres Lepik. Die Studenten könnten dabei ein anderes Berufsbild
lernen. „Wenn man beim Bauen Teil eines Prozesses ist, hört das Einzelkämpfertum automatisch auf. Dieses Gemeinsame kann man bei uns nicht trainieren. Das lernt man nur dort.“
© Maik Novotny, Der Standard 14.3.2014
06.03.2014
Zu Blüten ging ich
Zu Blüten ging ich
und unter Blüten schlief ich:
Die wahre Muße!
Buson
Einladung zur Ikebana-Ausstellung der Ikenobo Ikebana Gruppe Wien Alsergrund:
Eröffnung am 6. März um 18.30
im Festsaal des Amtshauses
1090 Wien, Währinger Straße 43
Öffnungszeiten:
Freitag und Samstag 10 – 18 Uhr,
Sonntag 10 – 13 Uhr
15.02.2014
Epiphanie für jedermann
text HANNELORE SCHLAFFER foto WDR
Das Licht von hinten ist Licht von innen - warum uns Computerbildschirme süchtig machen.
Über die Computersucht ist schon viel nachgedacht worden - meist wird sie auf Inhalte wie Fun und Sex, Gewalt und Games zurückgeführt. Dass es das Licht von hinten ist, das uns derart fasziniert, ist ein neuer Gedanke. Er findet Halt in einer uralten ikonografischen Tradition.
Das iPhone, dies so praktische und handliche Gerät, aus dem sich Termine, Wetterlagen, Stadtpläne, Fahrbahnauskünfte abrufen lassen, ist zum ständigen Begleiter des modernen Menschen geworden. Informationen aber sind es am wenigsten, weshalb es so eifrig genutzt wird von Stadtbesuchern und Leuten auf dem Weg zur Arbeit, von Mädchen vor allem, denen es inzwischen auch die Mütter nachtun, und Knaben, die so beschäftigt aussehen wollen wie Manager. Kaum haben sich diese Leute niedergelassen in Bus, Bahn oder Café, schon tun sie den wohlbekannten, ihnen selbst kaum bewussten Griff in die Tasche. Auch auf Strassen sieht man Mädchen laufen, mit dem Blick auf das Bildchen gerichtet, an Ampelübergängen warten sie, ohne aufzusehen, sie überqueren die Fahrbahn, ohne um sich zu blicken. Traumwandler sind sie alle, sobald sie nach dem kleinen Ding, einem Handschmeichler, gegriffen haben. Wer dann noch sein Auge von ihm wendet, hat einen geistesabwesenden Blick.
07.02.2014
Good Morning Kapfenberg
Frühling bis Herbst 2014
Gestaltungsinterventionen im öffentlichen Raum Kapfenberg, Steiermark
Die Stadtgemeinde Kapfenberg startet eine Image-Kampagne zur Attraktivierung des öffentlichen Raums. Als Industrie- und Sportstadt möchte sie sich als lebenswerte Stadt an der Mürz positionieren. Verschiedene Gestalter setzen an neuralgischen Punkten Akzente:
Raimund SEIDL, Graz: Stadteinfahrt ("zwei Köpfe") und Fußgängerunterführung Europaplatz. Bei der Fußgängerunterführung werden 20m lange Acrylgemälde für Wand und Decke realisisert, für die die "größte Staffelei der Welt" in Graz aufgebaut wurde.
Büro Zwo, Kapfenberg: Unterführung ÖBB-Trasse
TDC und Lisa ZENTNER ARCHITEKTUR, Unterpremstätten/Wien: Stadteinfahrt S6
Im Archiv DOMUS findet sich eine schöne Anküpfung: Hans HOLLEIN realisisert Ende der 60ger Jahre seine Skulptur "Inflatable Monument Sculpture" im Park von Kapfenberg: vielleicht gelingt es, an diese Aufbruchsstimmung anzuknüpfen.
07.02.2014
Utopie und Realität
El Lissitzky – Ilya und Emilia Kabakov
In über 40 Originalarbeiten El Lissitzkys aus den Jahren 1919–1930 sowie beeindruckenden Rekonstruktionen seiner Modelle als räumliche Gesamtkunstwerke werden allgemein verständliche geometrische Formen als konstruktivistische und zugleich politische Visionen spürbar.
Dem gegenüber entwerfen die installativen und malerischen Arbeiten von Ilya Kabakov ein Bild von bodenständiger Realität, gepaart mit konzeptueller Metaphysik.
01.02.2014
Bauten von globaler Präsenz
text LILIAN PFAFF foto TIMOTHY HURSLEY
grosse Retrospektive im Skirball Cultural Center in Los Angeles gewidmet dem Architekten Moshe Safdie
Internationale Bekanntheit erlangte der Architekt Moshe Safdie schon früh mit der Wohnsiedlung Habitat 67 in Montreal. Seither hat er ein umfangreiches Werk verwirklicht, das derzeit in einer grossen Retrospektive im Skirball Cultural Center in Los Angeles gezeigt wird.
Die erste amerikanische Retrospektive des 1938 in Haifa geborenen Architekten Moshe Safdie, der 1953 mit seinen Eltern nach Kanada auswanderte, startete in der von ihm errichteten National Gallery of Canada in Ottawa und gastiert nun in einem weiteren Safdie-Bau, dem Skirball Cultural Center in Los Angeles. Die in vier Phasen errichtete Anlage für jüdische Kultur, deren erste Teile schon vor 28 Jahren entstanden, konnte soeben mit der Integration eines Lern- und Konferenzzentrums abgeschlossen werden. Das Skirball Cultural Center, mit dem sich Safdie in den USA etablierte, erweist sich als idealer Ausstellungsort. Kuratiert wurde die Retrospektive, die anhand von Zeichnungen, Modellen, Fotos und Filmen rund 30 Projekte aus Safdies 50-jährigem Schaffen auffächert, vom Architekturkenner Donald Albrecht. Die chronologisch angelegte Schau beginnt mit der legendären Wohnsiedlung Habitat 67 in Montreal, die den jungen Architekten ins internationale Rampenlicht katapultierte. Auf einem «Newsweek»-Cover wurde das Projekt als «The Shape of Things to come» bezeichnet. Die Dokumentationen zur Siedlung Habitat 67 und zu weiteren, zum Teil ungebauten Nachfolgeprojekten, welche die ersten beiden Ausstellungsräume füllen, veranschaulichen Safdies damalige architektonische Ideen. Insgesamt wurden 85 vorfabrizierte Betonboxen für die Expo 1967 so aufeinandergestapelt, dass die Wohneinheiten als individuelle Häuser funktionieren. Die von den Hügeldörfern Israels inspirierte Struktur steht für günstigen Wohnraum und gemeinschaftlich genutzten sozialen Raum, der auf das Wachsen der Städte mit Verdichtung und Komfort antwortet.
Bis 2. März im Skirball Cultural Center in Los Angeles, anschliessend vom 31. Mai bis 2. September im Crystal Bridges Museum of American Art in Bentonville Arkansas. Begleitpublikation: Global Citizen - The Architecture of Moshe Safdie, Scala Publishers
31.12.2013
Silvester
22.12.2013
LEERGUT
text LISA ZENTNER/LEERGUT foto LEERGUT
Wir hatten heute die Gelegenheit, LEERGUT kennenzulernen. Zuhause sind die Erfinder und Produzenten dieser wunderbaren Idee in Röns, in Vorarlberg.
"In jedem Abfallprodukt ist ein Sinn verborgen, den es zu entdecken gilt."
Leergut macht es sich zur Aufgabe, entsorgten Kanistern eine neue Chance zu geben - aus Einweg wird Vielweg. Aus Plastikabfall entstehen individuell gestaltete Taschen, Behälter und Möbel.
"Weil Müll ein Designfehler ist."
Und das mit unglaublich hoher handwerklicher Qualität und Liebe zu präzisen Details. Typisch vorarlbergerisch.
Ich freue mich auf "meine" Tasche, die erst individuell aus der neuen Serie in schwarz produziert wird!
die formschönen Produkte kann man sehen auf >> leer-gut.com
16.12.2013
Kunsthaus Graz - Romuald Hazoume
text LISA ZENTNER
Immer wieder besuchen wir Ausstellungen im Kunsthaus. Selten ist eine Ausstelllung so stimmig in diesen schwierig zu bespielenden Räumen, wie diese: gestrandet im Bauch des verendeten Wals nach langer Reise über das Mittelmeer.
26.10.2013
STORCHENHAUS raiding_Burgenland TERUNOBU FUJIMORI
text LISA ZENTNER fotos LISA ZENTNER
Am 26. Oktober gab es die Gelegenheit, den japanischen Architekten des „Storchenhauses“, Terunobu Fujimori, in Raiding zu begrüßen. Zum ersten Mal hat er selbst im Haus übernachtet. Wir konnten das Haus mit ihm besichtigen, und im anschließenden Vortrag Entwicklungslinien seiner Architektur und kulturhistorischen Analogien in Ost und West folgen. Das „Storchenhaus“ ist das erste einer Reihe von neun geplanten Häusern, die als Wohn-Objekte auf Zeit von neun der bedeutendsten zeitgenössischen Architekten in der Geburtsstadt von Franz Liszt errichtet werden. Und ein wunderbarer Auftakt zu einer ganz neuen Musik an diesem Ort!
01.09.2013
SCHÖNHEIT kommentar ANNA HERINGER
text ANNA HERINGER foto ANNA HERINGER
Artikel aus der "domus 03, deutsche Ausgabe" 09/10 2013, Seite 1, "Nachhaltigkeit als Synonym für Schönheit"
Architektur hat Macht. Sie ist ein Werkzeug, das Lebensbedingungen wesentlich verbessern kann. Ihre Ästhetik stärkt das individuelle und kollektive Selbstbewusstsein. Ihr Bedarf an Ressourcen beeinflusst die Gesellschaft unseres Planeten. Architektur kann Arbeitsplätze schaffen und wirtschaftliche Entwicklungen unterstützen. Durch die Wahl der Bauart und des Bauprozesses kann die Geldflüsse dirigieren und zur sozialen wie wirtschaftlichen Gerechtigkeit beitragen.
Sind wir Planer und Architekten uns dieser Macht bewusst? Die Eitelkeit in uns hört diese Frage gern, doch wie gehen wir mit dieser Macht um? (…)
lesen sie weiter >> Anna Heringer, Gastkommentar „Ethik und Ästhetik“
19.08.2013
URBAN ZENGARDENING schweiz LENA ERIKSSON
text LISA ZENTNER zeichnung LENA ERIKSSON
Lisa Zentner art collection
Lena Erikssons Zeichnungen sind stille, oft humorvolle Ausschnitte des Alltags. Reale und erdachte. Wunderbare Momente der Weltbeobachtung, achtsam, liebevoll und manchmal melancholisch.
10.08.2013
INCHfurniture Möbel aus Basel und Jawa
INCHFURNITURE möbel aus teakholz BASEL/ JAWA
Text LISA ZENTNER foto INCHfurniture
Handwerklich gefertigte Möbel von großer Prägnanz des Labels INCHfurniture entstehen in der Holzfachschule PIKA/ Jawa unter Verwendung von Teakholz aus nachhaltiger Waldbewirtschaftung. Hinter dem Label INCHfurniture stehen die Designer Thomas Wüthrich und Yves Raschle aus Basel. Ihr Ziel ist es, mit den Ressourcen möglichst schonend umzugehen und langlebige Möbelstücke zu schaffen. Die Bank „Jawa“ ist in ihrer Eleganz eine Augenweide, das Beistelltischchen „Loro“ ruft Erinnerungen an Entwürfe aus den 50ger Jahren des Wiener Designers Carl Auböck wach. Fotos aus Semerang geben Einblick in den Produktionsbetrieb PIKA auf Jawa.
27.07.2013
MUSIK LÄSST MATERIELLE ARMUT ZU GEISTIGEM REICHTUM WERDEN salzburg JOSÉ ANTONIO ABREU
text José Antonio ABREU foto MERIDITH KOHUT
Artikel aus „Der Standard“, Samstag, 27. Juli 2013 Seite 30
Musiklehrer, Instrumente, Orchester für alle – die Demokratisierung von Bildung und Kunst ist unabdingbar, um Gesellschaft und Staat zu verändern. Ausgewählte Auszüge aus der Eröffnungsrede zu den diesjährigen Salzburger Festspielen. (...)
(...) "Der Begriff von Schönheit lässt sich, objektiv betrachtet, auf bestimmte künstlerische Eigenschaften und Werte anwenden. Doch die persönliche Erfahrung von Schönheit ist etwas Unaussprechliches: eine Ahnung von der Erfüllung durch die Liebe im Akt der Kontemplation."(...)
10.07.2013
ARBEITEN IM CHALET architekt SHIGERU BAN
08.07.2013
GENERISCHES MASKULINUM interview LUISE F. PUSCH
text CLAUDIA WIRZ foto TAZ.DE
Artikel aus „Neue Zürcher Zeitung“ Montag, 8. Juli 2013 Seite 38
Interview: Claudia Wirz
Die Sprachwissenschafterin Luise F. Pusch erklärt, warum es den Sprachfeminismus
braucht
"Frau Pusch, was ist schlecht am Wort Fussgängerstreifen?"
"Fussgänger haben keine Streifen. Zebras wohl. Aber Spass beiseite. «Zebrastreifen» ist
sogar kürzer als «Fussgängerstreifen» oder «Fussgängerinnenstreifen». Also eine elegante
Lösung eines komplexen Sprachproblems. Das Problem ist das «generische Maskulinum»,
für das «Fussgängerstreifen» nur ein - noch relativ harmloses - Beispiel ist. Mehr dazu
später." (--)
>> Weiterlesen auf der Website "Neue Züricher Zeitung"
Luise F. Pusch ist Sprachwissenschafterin und eine der Begründerinnen der feministischen Linguistik in
Deutschland. Sie unterhält ihren Blog «Laut und Luise» auf www.fembio.org.
06.07.2013
WERKRAUM andelsbuch PETER ZUMTHOR
text JUB foto WERKRAUM
Artikel aus "Der Standard", Samstag, 6. Juli 2013 Seite 11
NEULAND
Ein Haus für das Handwerk vom Stararchitekten
Andelsbuch – Der Schweizer Architekt Peter Zumthor hat eine Leidenschaft für
gutes Handwerk aus dem Bregenzerwald. Die Handwerker wiederum, vereinigt im
Werkraum Bregenzerwald, können mit dem anspruchsvollen Pritzkerpreisträger. Seit
dem Bau des Kunsthaus Bregenz arbeitet man miteinander. Die Freundschaft
gipfelte am Freitag in der Eröffnung des Werkraum Haus in Andelsbuch. Zumthor
plante den anthrazitfarbenen Solitär aus Holz und Glas, die Werkraum-Mitglieder
bauten und finanzierten. Entstanden ist ein Versammlungsort und Schaufenster für
Handwerk und Form. Nun wird mehrere Wochen gefeiert. (jub)
29.06.2013
IM MUSEUM IST KEINER ALLEIN Lentos Linz OLAFUR ELIASSON
Text WILTRUD HACKL Foto LENTOS
Artikel aus "Der Standard" vom 11.04.2013, Seite 32.
Mit „Your Cosmic Campfire“ bespielt der isländisch-dänische Künstler Olafur Eliasson einen 800 m2 großen Raum im Linzer Lentos mit einer einzigen Lichtinstallation. Darüber hinaus ist er auch als Unternehmer und Aktivist präsent. Ein Gespräch.
Linz – Der Mann hat eine Mission. Und alle hören ihm genau zu. (...)
29.06.2013
LANGSAM. UNENTBEHRLICH. Interview mit ALVARO SIZA
Text Wojcziech CZAJA Foto ABITARE
Artikel aus "Der Standard" vom 29.06.2013, Seite 40.
Am Dienstag feierte der portugiesische Architekt und Pritzker-Preisträger Álvaro Siza Vieira seinen 80. Geburtstag. Wir gratulierten ihm mit ein paar Fragen.
>> Weiterlesen auf der Website "Der Standard"
>> SIZA SIGN kurzfilm FERNANDO GUERRA www.ultimasreportagens.com
08.06.2013
FAVELA CAFÉ Art Basel TADASHI KAWAMATA
Text PHILIPP MEIER Fotos KARIN HOFER / NZZ
Artikel aus der "Neue Zürcher Zeitung" vom 08.06.2013, Seite 83
EIN RASTPLATZ FÜR DURCHREISENDE
Der Basler Messeplatz ist nicht wiederzuerkennen. Die städtebauliche Entwicklung hat an diesem für die Rheinstadt wichtigen Ort zu einer starken Verdichtung geführt. Ein aus silbernem Garn geflochtener, monumentaler Riegel hat sich quer über den Platz geschoben und die einst zur Innenstadt hin offene Raumsituation in einen abgeschlossenen Hof verwandelt. (...)
08.06.2013
SOMMER-PAVILLON SERPENTINE GALLERY London SOU FUJIMOTO
Text MARION LÖHNDORF Fotos ARCHDAILY & IWAN BAAN
Artikel aus der "Neuen Zürcher Zeitung vom 08.06.2013, Seite 59.
EIN MÄRCHENHAUS AUS LUFT UND SCHATTEN
Einen Gartenpavillon als Märchenhaus des 21. Jahrhunderts baute Sou Fujimoto vor die Serpentine Gallery in den Kensington Gardens. Im Sonnenschein strahlt es als Wunderwerk an Transparenz, Geometrie und Poesie. Im Grunde ist der Bau des japanischen Architekten vor allem ein Gerüst aus weiss gestrichenen Eisenstangen, die zu Quadraten und Rechtecken zusammengesetzt wurden und am oberen Ende der Gesamtkonstruktion offen bleiben. Doch was auf den ersten Blick so klar und linear aussieht, verschwimmt beim Betrachten mit dem Effekt optischer Täuschungen eines Op-Art-Gemäldes. (...)
07.06.2013
TANZENDE BETONKUBEN berlin SERGEI TCHOBAN
06.06.2013
DIE AKROBATISCHE RÜCKEROBERUNG DER STÄDTE zofingen WALTER AESCHLIMANN
text WALTER AESCHLIMANN foto ADRIAN BAER/ NZZ
Artikel aus der "Neue Zürcher Zeitung" vom 08.06.2013, Seite 83
Die akrobatische Rückeroberung der Städte
Mit einer Gruppe von Traceuren unterwegs in Zofingen
Skateboarder, Urban Climber, Breakdancer, BMX-Fahrer oder Slackliner: Subkulturelle Körperakrobaten erfüllen eine vielschichtige Rolle im öffentlichen Raum.
Joel misst den Abstand von einem Holzpfahl zum anderen mit den Füssen. Fast drei Meter. Dies ist sein Limit. «Wenn du diesen Sprung nicht schaffst, bist du übel dran», sagt er. Ohne Helm, auch schutzlos an Rücken und Gelenken, setzt er zum «Präzisionssprung» an. In der Hocke steht er auf dem zwei Meter hohen Pfosten. Zum anderen will er springen. Die Augen auf das Ziel fixiert, die Muskeln angespannt. Dann schnellt er los. (…)
05.05.2013
FRÜHLING wien KÉRT
text LISA ZENTNER foto LISA ZENTNER
Frühling wie ein Sommer. Auf der Suche nach der Blauen Blume, im Botanischen Garten hinter dem Schloss Belvedere.
03.05.2013
BEOBACHTERIN DES ALLTAGS Inga Sempé
text ANDREA ESCHBACH foto MONTICELLODESIGNS
Artikel aus "Neuen Züricher Zeitung" vom 3.05.2013, Seite 45.
Ein Besuch bei der französischen Designerin Inga Sempé.
Die Designerin Inga Sempé gehört zu den anregendsten Gestalterinnen unserer Zeit. Aus Entwürfen resultieren wohldurchdachte Gegenstände voller Witz und Poesie, die den Alltag besser machen sollen.
Andrea Eschbach
Es herrscht Baulärm rund um die Place de la République. Am berühmten Platz im 10. Arrondissement sind die Bauarbeiten zu dessen Neugestaltung in vollem Gange. Zufahrtsstrassen wurden umgeleitet, Fussgänger drängen sich an Bauzäunen vorbei. Nicht weit von dem Getöse ist es in einem Hinterhof am Boulevard Magenta 46 überraschend ruhig. Dort, in einer Altbauwohnung im vierten Stock, lebt und arbeitet Inga Sempé. (...)
20.04.2013
DAS FÜNFUNDDREISSIGSTE JAHR wien PETER TRUSCHNER
text STEFAN GMÜNDNER foto PETER TRUSCHNER
Artikel aus "Der Standard", Album vom 20.04.2013, Seite 1.
STÄNDIGE MOBILMACHUNG DES EGO
Peter Truschner hat einen Roman über einen Mittdreißiger geschrieben. Stefan Gmünder sprach mit dem Autor über Druck, Selbstoptimierung, das Geschlechterverhältnis und Schreibprozesse.
Das Problem sei, so der Erzähler in Peter Truschners neuem Roman Das
fünfunddreißigste Jahr (Zsolnay-Verlag, € 19,50), „dass man ab einem bestimmten
Punkt das Gefühl hat, dass nichts Großartiges mehr nachkommt“. Dass man zudem
fürchtet, seine Chance nicht genutzt zu haben, sich - weiters - „am Anfang jeder
Beziehung fragt, wie lange sie dauern wird“, und einen zudem das Gefühl
beschleicht, dass der Job einen zwar ernähren, aber nicht erfüllen wird. Ein
grauer Schleier legt sich somit über das Leben, „der schlimmer ist, als es die
Entdeckung der ersten grauen Haare sein könnte“.
11.04.2013
VOM VERSTOSSENEN ARCHITEKTEN ZUM OPERNVATER linz TERRY PAWSON/ ARCHINAUTEN/ ARCHITEKTURCONSULT
text WOJCIECH CZAJA foto BR
Artikel aus "Der Standard" vom 11.04.2013, Seite 32.
In Österreich war der hagere Brite mit graumelierter Igelfrisur bisher völlig
unbekannt. Das hat sich nun geändert. Heute, am Tag der offiziellen Eröffnung
der neuen Linzer Oper, ist der Londoner Architekt ein „big name“. Die
oberösterreichische Landespolitik schmückt sich mit seiner Internationalität und
reicht ihn als den großen „Vater des Musiktheaters“ herum. Dabei ist die
Vergangenheit eine ganz andere.
>> Weiterlesen auf der Website "Der Standard"
02.02.2013
LISA ZENTNER design collection
text LISA ZENTNER fotos LISA ZENTNER ARCHITEKTUR
Seit dem Studium sammle ich Stühle und Sessel. Sie sind die Essenz von Einrichtung: nichts bestimmt so sehr den Charakter eines architektonischen Raumes, wie ein Sitzmöbel. Wird es benützt, muss es den Kriterien der Ergonomie entsprechen und soll einen der Funktion angemessenen Sitzkomfort bieten. Wird es nicht benutzt, wirkt es als Objekt im Raum. Dann entfaltet es seine skulpturalen Eigenschaften innerhalb der Raumhülle.
19.01.2013
GEMEINSCHAFTSSINN UND HUMANISMUS architektin FLORA RUCHAT-RONCATI
text SACHA MERZ foto JÜRG ZIMMERMANN
Artikel aus der "Neue Zürcher Zeitung", Samstag, 19. Jänner 2013 Seite 63
Flora Ruchat-Roncati - die erste grosse Tessiner Architektin
Am Bau des Freibades von Bellinzona, einem Meisterwerk der neueren Schweizer Architektur, war sie massgebend beteiligt: Flora Ruchat-Roncati (1937-2012). Ihr stilles, zukunftsorientiertes OEuvre und ihre Lehrtätigkeit an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich machten sie zur ersten grossen Tessiner Architektin.
Die Auseinandersetzung mit dem Territorium sowie mit dessen natürlichen und städtischen Grössenordnungen prägte das Schaffen der im Oktober 2012 verstorbenen Architektin Flora Ruchat-Roncati (NZZ 29. 10. 12). Dennoch boten sich für die Tessinerin zeitlebens erstaunlich selten Gelegenheiten, im urbanen wie im landschaftlichen Kontext zu intervenieren. Diese wenigen Arbeiten wusste sie präzise zu nutzen, als Versuch, den Ort zu ergänzen, bewusst in diesen einzugreifen und ihn in die Dimension der Gegenwart überzuführen.
01.01.2013
Der Nino aus Wien - Schlusslied
1. Jänner 2013
SCHLUSSLIED | der Nino aus Wien
Text | Musik NINO MANDL
" ... immer diese lauten, unangenehmen Leute und sie reden viel zu viel. Immer dieses Diskutieren. Als hätt' mich das jemals interessiert. Ihr wisst nicht, wie selten ich irgendwas darunter find', was mir wirklich wichtig ist ..."
31.12.2012
Am Anfang stand die Schrift
FF Chambers von Verena Gerlach
Mit ihr beginnt alles: die Wahl der Typografie steht am Anfang und ist für mich das A und O jeder visuellen Identität.
Helga, meine Lieblingsgrafikerin, hat mir diese Schift - neben anderen - am Beginn der Arbeit am CI meines Büros vorgestellt.
Ich habe mich für Chambers entschieden. Eine Schifttype mit starker Identität. Und jeden Tag freue ich mich, wenn ich ihr wieder begegne.
>> Verena Gerlach, type graphik design
>> Helga Innerhofer, Visuelle Kommunikation