Bericht zu Libyen-Intervention
text: Christian WEISFLOG
Zwei Monate nach dem kritischen Chilcot-Bericht über Tony Blairs Irak-Feldzug kommt nun ein parlamentarisches Komitee zum Schluss, dass David Cameron in Libyen in ähnlicher Weise versagt hat. Die Fehler hätten dazu geführt, dass Libyen heute ein gescheiterter Staat am Rande eines vollständigen Bürgerkriegs sei, heisst es im Bericht.
Der mittlerweile abgetretene Premierminister Cameron hatte die Libyen-Intervention von 2011 im vergangenen Januar mit dem Schutz der revoltierenden Bevölkerung in Benghasi verteidigt: «Ghadhafi drohte, die eigenen Bürger wie Ratten zu erschiessen.» Einer der zentralen Kritikpunkte des jüngsten Berichts ist jedoch, dass sich die Intervention nicht auf ihr ursprüngliches Ziel – den Schutz der Bevölkerung in Benghasi – beschränkte. Dieses Ziel sei innerhalb von 24 Stunden erreicht worden, sagte David Richards, der ehemalige Chef des britischen Generalstabs, aus. Danach habe die Regierung aber entschieden, weiterzugehen und Ghadhafis Diktatur zu beenden: «Eine limitierte Intervention zum Schutz von Zivilisten wandelte sich in eine opportunistische Politik des Regimewechsels mit militärischen Mitteln.» Dieser Entscheid und die darauffolgende Strategie hätten auf falschen Annahmen und einem unvollständigen Verständnis der Fakten beruht, heisst es in dem Untersuchungsbericht. Der Charakter des libyschen Aufstandes sei nicht sauber analysiert worden. Aufgrund der Erfahrungen in Afghanistan und im Irak hätte die Regierung wissen müssen, dass islamistische Gruppierungen in Libyen von der Revolution profitieren könnten. Zudem habe die Regierung die effektive Bedrohung der Zivilbevölkerung durch das Ghadhafi-Regime nicht verifiziert: «Sie hat Elemente aus Ghadhafis Rhetorik selektiv für bare Münze genommen.» Auch für die Zeit nach dem Sturz des Ghadhafi-Regimes hatte die britische Regierung gemäss dem Bericht keine wirkliche Strategie: «Wir verfügten nicht über ein wirkliches Verständnis von Libyen und einen wirklichen Plan für die Konsequenzen.» Für dieses Fehlen einer kohärenten Strategie macht der Bericht David Cameron persönlich verantwortlich.
Das britische Aussenministerium indes versuchte am Mittwoch die Verantwortung auf die internationale Staatengemeinschaft abzuschieben. «Die Intervention war eine internationale Entscheidung, gefordert von der Arabischen Liga und autorisiert durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen», sagte ein Sprecher. Er verwies zudem darauf, dass Grossbritannien dieses Jahr der libyschen Einheitsregierung mit zehn Millionen Pfund helfe, die politische und wirtschaftliche Stabilität im Land wiederherzustellen. Der Untersuchungsbericht kommt indes zum Schluss, dass London bisher nur halb so viel Geld in den Wiederaufbau gesteckt hat wie in die Militärintervention.
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