text MICHAEL MÖSENEDER

 

Wien – Wenn eine Richterin „Hat der noch gelebt?“ fragt, wird gemeinhin ein Schwerverbrechen verhandelt. Im Prozess wegen schwerer Körperverletzung gegen Eva M. ist das nicht der Fall. Die Besorgnis von Richterin Nicole Baczak gilt einer Pflanze. Die soll die 44-jährige Angeklagte samt Topf einer Untergebenen auf den Fuß geschmissen haben, infolgedessen die Frau einen Knochenbruch erlitten hatte.

Schauplatz ist eine Kanzlei des Verteidigungsministeriums. Frau M. ist dort Amtsdirektorin, bis zum Vorfallstag, dem 8. August 2016, teilte sie sich mit Frau J. das Zimmer. Die scheint eine Pflanzenliebhaberin zu sein, vier Stück, darunter zwei Birkenfeigen, besser bekannt unter dem Namen Ficus, und ein Elefantenfuß, stellte sie ins Büro.

Im Sommer war Frau J. auf Urlaub. „Es war so heiß, da habe ich die Pflanzen von der Fensterbank genommen, damit man lüften kann, und einen Ficus umgestellt. Da habe ich bemerkt, dass der Lichteinfall viel besser geworden ist“, sagt die Angeklagte.

Am Tattag kam die Kollegin aus dem Urlaub zurück. „Sie ist in die Teeküche gegangen, die ist geputzt worden. Dann hat sie gleich gefragt, wer ihre Sachen umgeräumt hat“, erzählt die Unbescholtene. Dramatisch wurde es, als Frau J. in ihrem Zimmer den 1,60 Meter hohen Ficus nicht sah, der neben der Tür stand.

Aus Sicht der Besitzerin ein schlechter Platz, sie wollte ihn offenbar wieder näher ans Licht stellen. „Ich habe ihr dann eine Dienstanweisung erteilt, dass sie die Stöcke wegstellen muss“, erinnert sich die Angeklagte. „Eine Dienstanweisung?“, fragt Bazcak ungläubig. Nicht nur das hat sie, sie wollte auch den Vorgesetzten um eine letztinstanzliche Entscheidung bezüglich des Pflanzenstandorts bitten.

„Bis dahin wollte ich den Stock von der Fensterbank nehmen. Er ist mir aber auf den Boden gefallen.“ Frau J. habe sie dabei nicht getroffen. Dann habe die Kontrahentin alle Blumentöpfe ins Auto getragen und sich krankgemeldet.

„Als ich gekommen bin, war eine ganz eigenartige Stimmung, eher feindselig“, erzählt Frau J. dagegen schluchzend. Als sie ihren Ficus auf seinen angestammten Platz stellen wollte, sei die Situation eskaliert. „Sie ist herübergestürmt und hat mit der Hand den Blumentopf vom Fensterbrett geschmissen“, behauptet die 49-Jährige. Der rund fünf Kilo schwere Topf habe sie mit der Kante dann am Fuß erwischt. Im Spital sei diagnostiziert worden, dass das sogenannte Sesambein gespalten sei.

„Waren Sie früher sportlich?“, stellt der medizinische Sachverständige Christian Reiter eine zunächst überraschend klingende Frage. „Ja, ich bin gelaufen, geklettert, gewandert“, bekommt er als Antwort. Ein Umstand, der eine Rolle spielt, als Reiter sein Gutachten erläutert. „Die Dreiteilung des Sesambeins muss deutlich vor dem 8. August passiert sein“, stellt er nämlich fest. „Eine derartige Verletzung kann auch eine Ermüdungsfraktur sein, die bei Läufern vorkommt.“ – „Vereinfacht gesagt: Da war kein Blumentopf?“, bringt die Richterin es auf den Punkt. „Ich würde mit wesentlich schwereren Verletzungen rechnen, wenn es einen gegeben hätte“, antwortet der Experte.

Die logische Folge ist ein nicht rechtskräftiger Freispruch.

 

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