Flücht­lings­bü­ro­kra­tie: Wie Hil­fe un­mög­lich wird

Un­ter­stüt­zung und In­teg­ra­ti­ons­leis­tun­gen, die Pri­va­te in die­sem Land er­brin­gen, qua­si von Amts we­gen zu un­ter­bin­den ist zy­nisch, feig und men­schen­ver­ach­tend. Ein Fall­bei­spiel aus Wien.

Kommentar der anderen   Al­fred J. NOLL

 

E s ist ein ty­pi­scher Fall, und er ist völ­lig un­spek­ta­ku­lär: Va­ter, Sohn und Toch­ter, der Rest ei­ner sy­risch-christ­li­chen Fa­mi­lie aus Alep­po, sind seit En­de No­vem­ber 2015 in der Pfar­re Er­lö­ser­kir­che im 23. Wie­ner Be­zirk gut un­ter­ge­bracht. Ei­ne ös­ter­rei­chi­sche Fa­mi­lie hat sie auf­ge­nom­men, sorgt für sie.

Der Va­ter, er be­saß ei­ne Fa­brik für T-Shirts, schafft es, sei­ne Toch­ter (25) und sei­nen Sohn (13) über die Bal­kan­rou­te nach Ös­ter­reich zu brin­gen. Die Mut­ter bleibt, krank­heits­hal­ber, zu­rück. In Grie­chen­land wer­den sie re­gis­triert, Kroa­tien und Slo­we­nien schie­ben sie wei­ter.

In Ös­ter­reich stel­len sie Asy­lan­trä­ge. Ehr­lich ge­ben sie bei der Be­fra­gung an, wie sie zu uns ge­kom­men sind. Ein kla­rer Du­blin-III-Fall – Ös­ter­reich hat nur zu prü­fen, ob wir sie nach Kroa­tien oder Slo­we­nien „aus­schaf­fen“ kön­nen, nach Grie­chen­land darf nicht zu­rück­ge­schickt wer­den. Man er­kun­digt sich in Slo­we­nien und Kroa­tien, Slo­we­nien lehnt die Zu­stän­dig­keit ab, Kroa­tien „ver­schweigt“ sich, und al­so ist Kroa­tien zu­stän­dig, weil es drei Mo­na­te ab An­fra­ge kei­ne Rück­mel­dung ge­ge­ben hat. Das be­hörd­li­che Tem­po nimmt zu: Be­scheid­mä­ßig wird fest­ge­stellt, dass es zu kei­ner In­teg­ra­ti­ons­ver­fes­ti­gung ge­kom­men und dass die Fa­mi­lie ab­zu­schie­ben sei.

Da­ge­gen wird Be­schwer­de beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt ein­ge­bracht. Ei­ne auf­schie­ben­de Wir­kung hat die­ses Rechts­mit­tel aber nur, wenn die­se vom zu­stän­di­gen Rich­ter bin­nen acht Ta­gen ge­währt wird. Er ge­währt nicht – re­fu­gee-bu­si­ness as usu­al. (...)

An­fang Ok­to­ber steht die Po­li­zei früh­mor­gens vor der Tür. (...)

 

In­teg­ra­ti­ons­ver­dich­tung

Hier bei uns sah die Sa­che an­ders aus: Al­le drei Fa­mi­li­en­mit­glie­der wa­ren eng in die Pfarr­ge­mein­de in­te­griert. Der Va­ter half beim Sor­tie­ren der Floh­markt­ar­ti­kel, die Toch­ter gab Flücht­lings­kin­dern aus Sy­rien Nach­hil­feun­ter­richt – sie ist aus­ge­bil­de­te Eng­lisch­dol­met­sche­rin; der 13-jäh­ri­ge Sohn be­such­te die drit­te Klas­se ei­nes Gym­na­si­ums im 23. Be­zirk. Rasch ent­stan­den Freund­schaf­ten. Die Pfar­re un­ter­stütz­te fi­nanz­iell die Deutsch­kur­se der Fa­mi­lie (als Nicht­asyl­be­rech­tig­te hat­ten sie kei­nen An­spruch). Der Bub sprach durch sei­nen Be­such und die In­teg­ra­ti­on in der Schu­le schon sehr gut Deutsch, die Toch­ter stand kurz vor der Ab­le­gung der B1-Sprach­prü­fung. Der Be­scheid sprach den­noch da­von, dass es noch zu kei­ner „In­teg­ra­ti­ons­ver­dich­tung“ ge­kom­men sei. (...)

Was ist das für ei­ne Bü­ro­kra­tie, die den Ös­ter­rei­che­rin­nen und Ös­ter­rei­chern nicht zu­traut, sich um Hil­fe­su­chen­de zu küm­mern? Welch un­er­mess­li­che be­hörd­li­che Ig­no­ranz steckt hin­ter der „Aus­schaf­fung“ von Men­schen, die hier pri­va­te Für­sor­glich­keit, An­teil­nah­me und Hil­fe schon ge­fun­den ha­ben – aber den­noch au­ßer Lan­des ge­schafft wer­den? (...)

Al­fred J. NOLL (Jahr­gang 1960) ist Rechts­an­walt in Wien.

 

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