Interview: Marion LÖHNDORF mit Edmund de WAAL
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In «Die weisse Strasse» kommen Sie immer wieder auf den Begriff der Perfektion zurück.
De Waal: Eines der fabelhaften Dinge im Zusammenhang mit Porzellan ist, dass man Perfektion anstrebt, aber stets scheitert. Ich bin in Wirklichkeit nicht an Perfektion interessiert. Das ist eine Idee, die absolut tödlich ist. Ich interessiere mich für Vitalität, Wechsel und Wandlungsfähigkeit, die Beziehung zwischen einem lebenden Menschen und einem neutralen Material. Wenn die Idee der Perfektion funktioniert, treibt sie bestenfalls wissenschaftliche intellektuelle und ästhetische Fragen an. Schlimmstenfalls kann sie gefährlich sein. Sie ist nicht geradlinig, sondern ein schwieriges, gefährliches Konzept.
Was hat es mit der Farbe Weiss auf sich, die in Ihrer Arbeit als Töpfer und auch im neuen Buch eine so grosse Rolle spielt?
De Waal: Weiss ist eine Frage, ein Fragezeichen. Eine neue Möglichkeit, ein neuer Weg. Es kann auch negativ werden: verneinend, antiseptisch, es kann ein Problem werden, wie etwas, das ein Geschehen verhindert, das etwas anhalten kann, das etwas anderes übertüncht oder auslöscht – all diese Dinge. Aber für mich bedeutet es eine grosse Möglichkeit eines Beginns.
Weiss kann auch die Farbe der Trauer sein.
De Waal: Ja, denn Trauer ist eine extrem komplizierte Erfahrung. Es geht dabei um Verlust und ausschliesslich um Erinnerung. Manchmal ist Erinnerung nur schwer zugänglich. Und Bilder und Gedanken verschwinden in einem weissen Nebel.
Inzwischen machen Sie schwarze Gefässe.
De Waal: Ich benutze immer noch weisses Porzellan. Aber die Stücke werden zum Schluss schwarz glasiert. Dreierlei hat es damit auf sich. Schwarze Glasuren sind sehr giftig, bevor sie gebrannt sind. Der Prozess, toxisches Material zu benutzen, führt mich zur Alchemie. Mir gefällt, erstens, die Idee, dass dem bourgeoisen Porzellan diese Gefahr innewohnt. Zweitens erlaubt mir das Herstellen schwarzer Gefässe, mir Schatten ganz genau anzusehen. Jun'ichirō Tanizaki schrieb
darüber.
In «Lob des Schattens».
De Waal: Genau. Und drittens bezieht es sich auf Celans «schwarze Milch», das Gefühl, wenn ein Material durch Druck und Erinnerung in etwas anderes verwandelt wird. Wird es darüber ein neues Buch geben? Im Moment bin ich so glücklich, wie ich nur sein kann, und denke: keine Bücher mehr. Aber fragen Sie mich in fünf Jahren noch einmal.
Edmund de Waal: Die weisse Strasse. Auf den Spuren meiner Leidenschaft. Aus dem Englischen von Brigitte Hilzensauer. Zsolnay-Verlag, Wien 2016. 464 S.
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