text DIETHARD LEOPOLD
(...)
Von alten Menschen heißt es gelegentlich, dass sie der Ewigkeit nahe seien.
Nicht für alle älteren Leute, die ich kenne, kann ich das bestätigen, ja sogar
eher nur für wenige. Sie sind die Ausnahme von der Regel. In einem Alter, das
dem Dasein in Zeitlosigkeit am nächsten zu sein scheint – und was ist Ewigkeit
anderes als die Abwesenheit der vergehenden Zeit –, sind eher die 40- bis
50-Jährigen, mit einer Schwankungsbreite von sagen wir fünf Jahren nach oben und
unten.
Sie haben den Wettlauf um Positionen und Güter hinter sich, haben die
wichtigsten Weichenstellungen ihres Lebens meist nicht mehr vor sich. Zugleich ist ihnen der Tod so fern, dass sie die allseits beliebte Illusion, man lebe
ewig, zwar nicht intellektuell, wohl aber dem Gefühl nach pflegen wie zu keiner
anderen Zeit ihres Daseins.
(...)
Die Alten leben nicht in solcher Seinsvergessenheit.(...)
Nicht mehr alle Zeit der Welt zu haben, im Gegenteil, immer weniger Zeit vor
sich als hinter sich zu haben, erzeugt bei den Menschen jenseits der Fünfzig
eine nur allzu gut bekannte Rastlosigkeit. Eine Art Syndrom breitet sich aus,
jetzt noch schnell dies und jenes erleben zu müssen, tun oder erreichen zu
wollen, durchzusetzen, durchzubringen und wie für die Ewigkeit möglichst fix
einzurichten.
(...)
Und junge Leute eilen in Gebiete, wo sie ihrer Gnadenlosigkeit freien Lauf
lassen, oder tun ihre widerredelose militärische „Pflicht“, geschult und
angestiftet von der Erbarmungslosigkeit der herrschenden Gesellschaften und
ihrer Staatengebilde, angeblicher Religionen und vorgetäuschter, aus bloßem
Eigennutz zusammengebastelter Ethnien. Alle diese jungen und erwachsenen
Menschen scheinen keine Zeit zu haben, auf allseits verträgliche Lösungen warten
zu können, sie wollen das Paradies, jetzt, und erzeugen dabei nichts als die
Hölle.
(...)
>> Weiterlesen auf der Website DerStandard: 13.09.2014 (Album), Seite 3 - Gnadenlos. Wenn die Zeit knapp wird
Jenseits der fünfzig beginnt die Gnade des Wahns vom grenzenlosen Zeithaben zu schwinden. Wie aber bewältigen wir die Einsicht in unsere Endlichkeit? Wie die daraus resultierende Unduldsamkeit und Intoleranz?