interview SIGRID SCHAMALL
Unser Geldsystem verdirbt, macht gierig und schürt Neid, sagt Psychologe Tarek el Sehity.
Geldknappheit spürt paradoxerweise das reiche Prozent der Gesellschaft besonders intensiv.
Standard: Ist Geld Macht?
El Sehity: Ganz im Gegenteil: Geld ist Entmachtung. Weil wir uns daran gewöhnt
haben, Geld aus der Perspektive des Geldgebers – also des Käufers – anzusehen,
erleben wir den Geldbesitz als eine ungemeine Ermächtigung. Die wenigsten Käufer
könnten jedoch erklären, warum sie sich für das bunte Papier in der Hand ihre
Bedürfnisse erfüllen können. Welche Macht bewirkt, dass wir ab einer bestimmten
Geldmenge auch unsere kostbarsten Leistungen und Güter anbieten? Wenn wir als
Verkäufer nämlich unser Angebot mit Erleichterung einem Geldgeber überreichen,
passiert etwas äußerst Denkwürdiges: Reales wird für etwas Fiktives gegeben. Die
bedruckten Scheine haben an und für sich keinen Gebrauchswert. Wie es
funktioniert, wird kaum verstanden, und die genaue Bedeutung der Zahlen auf den
Scheinen und Konten lässt sich eigentlich auch nur vermuten. Dieses rätselhafte
Artefakt ist für uns die Grundbedingung, damit wir geben. Und dies, ohne dass
das Geld in der Produktion oder auch in irgendeiner Produktionskette eine
praktische Relevanz für unser Tun und Handeln hätte. Die Macht des Geldes ist
also keine praktische, da es uns zu nichts befähigt. Vielmehr besteht die Macht
des Geldes in der Leistungshemmung, nämlich den Leistungs- und Gütertransfer zu
stoppen, wenn kein Geld angeboten wird.
Standard: Wollen Sie darauf hinaus, dass wir ein paar Tausend Jahre zurück in den
Tauschhandel sollen?
El Sehity: In einer Welt, die in den vergangen 400 Jahren ein Kontinuum an
technologischen Revolutionen erlebt hat und Maschinen unsere Fabriken und
Wohnungen bevölkern, mutet es doch seltsam an, dass wir zur Regulierung unseres
Angebotes nach wie vor die Logik eines künstlich verknappten Artefakts bedienen. Wozu?
(...)